Mann mit Bart

Zum Fest Der Weihnachtsschreck

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Es sollen ja die großen Ereignisse sein, die ihren Schatten vorauswerfen. In diesem Fall war der Schatten die Adventszeit und das Ereignis hieß Weihnachten. Ich ging noch nicht zur Schule, ging auch nicht in den Kindergarten und hatte demzufolge viel Zeit. Als „Hauskind“, dessen Mutter keiner Arbeit nachging, verträumte ich die Tage vor dem Fest. Ich war geborgen in der Familie und lebte vom Urvertrauen auf Vater und Mutter, Oma und Opa. Ich konnte noch nicht lesen und vermisste es nicht. Ich schaute mir die Bilder in meinen Kinderbüchern an und reiste so in fremde Welten. Manchmal las mir mein Vater Märchen vor und ich durfte auf seiner Sessellehne Platz nehmen und lauschen.

Dass meine Eltern vielleicht auch schon damals die Vorweihnachtszeit als stressig empfunden haben könnten, bekam ich in den jungen Jahren nicht mit. Ein Weihnachtsbaum kam ins Haus. Damals wurden noch „richtige“ Kerzen am Baum angebracht. Mit Lametta wurde sparsam umgegangen. Die Weihnachtsbaumkugeln wurden sorgsam aus dem Papier ausgepackt und an die Zweige gehangen. Die Kerzen waren weiß und rot und steckten in Kerzenhaltern aus Blech.

Aus der Küche drang der Geruch von selbst gemachtem Rotkohl in alle Räume. Irgendein großes und mir damals vollkommen unbekannt scheinendes Stück Fleisch, dass sich später als Weihnachtsgans zu erkennen geben sollte, brutzelte und schmurgelte im Backröhr. Es war eine aufregende Zeit für einen Fünfjährigen, der dem Fest und den Geschenken entgegenfieberte.

Für meine Eltern war es sicher nicht immer einfach, in Zeiten des Mangels alle notwendig scheinenden Dinge, die ein ordentliches Weihnachtsfest erfordern, zu beschaffen. Da wollten Geschenke besorgt, Geschenkpapier beschafft, Fleisch- und Wurstwaren unterm Ladentisch hervorgelockt und bei all dem noch gute Stimmung verbreitet werden. Mit meinem Adventskalender zählte ich die Tage bis zum Fest herunter. Hinter jedem Türchen verbarg sich ein Versprechen aus fernen Weihnachtstagen, welches meine Phantasie und Vorfreude beflügelte.

Auch die meines Vaters wurde offenbar beflügelt. Er hatte sich im Schreibwarengeschäft eine Weihnachtsmannmaske zugelegt und sich vorgenommen, den rot bemantelten Alten für mich zu spielen. Soweit, so gut. Ich selbst hatte offenbar keine Erfahrung mit dem Weihnachtsmann als personifizierte und leibhaftige Erscheinung. Für mich spielten mehr die Geschenke selbst eine Rolle, nicht deren Überbringer. Warum mein Vater, der sonst eher rational dachte und alles Übernatürliche als Humbug ablehnte, diesmal den Knecht Rubrecht geben wollte, bleibt mir auch heute noch ein Rätsel.

Nun geht es im Leben gelegentlich wie im Theater zu. Manches muss geprobt werden. So auch das Erscheinungsbild des Weihnachtsmannes, den mein Vater zu spielen gedachte. Ich befand mich in meinem Kinderzimmerchen. Vater setzte sich die frisch erworbene Maske auf, öffnete die Tür zu meinem Zimmer einen Spalt breit und schaute unschuldig zu mir herein. Es war eine Generalprobe, die vollkommen ohne Wort auskam und den Jungen, der ich war, augenblicklich in Angst, Schrecken und Panik versetze. Ich war so erschrocken vor dem starren Maskengesicht mit dem weißen Bart, dass ich in einen spontanen Heulkrampf verfiel.

Mein Vater schloss sofort die Tür wieder, als er sah, was er mit seinem Auftritt angerichtet hatte. Meine Mutter eilte herzu, nahm mich in den Arm und versuchte mich zu trösten, was ihr nur leidlich gelang. Zwischen Schluchzen und Tränen brachte ich nur immer wieder die Worte „Sooon Bart hat!“ hervor. Die Angst vor einem, der „sooon Bart hat“, war groß genug, dass meine Eltern darauf verzichteten, am Heiligen Abend einen Weihnachtsmann auftreten zu lassen.

So, wie zu jedem Weihnachtsfest danach auch nicht. Ich erhielt meine Geschenke jahraus, jahrein nie von einem Weihnachtsmann, Knecht Rubrecht oder Santa Claus. Ganz geheuer ist mir die Familie des unheimlichen Alten mit dem starren Blick bis heute nicht. Vielleicht leide ich mit meiner „sensiblen Seele“ seitdem an einer Weihnachtsmannphobie.

Der Freude über die Geschenke tat das aber im Laufe der Jahre nie einen Abbruch.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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