Marx und Murks

Jubiläumsnachlese Mal so nachgedacht

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Da jährte sich nun der Geburtstag des Philosophen und Kapitalismusanalytikers Karl Marx auf runde Weise. Und als wolle man beweisen, wie Recht er hatte mit seiner Kritik an den herrschenden Verhältnissen, wurde er zur Ware gemacht, wurde vermarktet, was die Marketingmaschinerie hergab. Neben wirklich gut gemachten Büchern, die sein Werk verständlich darzustellen versuchten, war, wie immer bei runden Jubiläen, auch jede Menge Kitsch und Plunder im Angebot. Da ist zu hoffen, dass Marx Humor hätte, würde er davon wissen.

Und mehr verschämt als offen gibt die eine oder andere Presseveröffentlichung sogar zu, dass der bärtige Alte vielleicht doch so ziemlich ins Schwarze getroffen haben könnte mit der Analyse kapitalistischer Produktionsverhältnisse. Natürlich fehlte meist der Hinweis nicht, dass die sich sozialistisch genannt habenden Staaten samt und sonders im Orkus der Geschichte gelandet sind, dass der „Kommunismus“ Millionen Todesopfer in Zeiten von Stalinismus und diktatorischen Staatssystemen gefordert haben. Den Verteidigern der sogenannten „sozialen Marktwirtschaft“ scheint nicht klar zu sein, dass es nirgendwo auf der Welt diesen „Kommunismus“ bisher gab, dass er im Stadium des Sozialismus stehen- und steckenblieb und dann (vorerst) starb?

Nur was hat das mit Marx zu tun? Karl Marx hat ziemlich prägnant den Kapitalismus analysiert, ohne eine detaillierte Handlungsanweisung dafür zu geben, was nach seiner Überwindung zu tun sei. Das hat er den handelnden Menschen selbst überlassen. Der Murks staatssozialistischer Mangelwirtschaft, wie er sich allenthalben im Ostblock entwickelte, ist den allwissenden und immer Recht habenden Parteigranden anzulasten, ob er systemimmanent ist, wäre einer Analyse würdig. Warum sollte eine Wirtschaft, die nicht der Profitmaximierung wegen, sondern für die Bedürfnisbefriedigung produziert, nicht funktionieren können? Voraussetzung wäre, dass dies von einer Mehrheit der Menschen gewollt ist. Derzeit ist das nicht zu erkennen. Auch ist fraglich, ob lokal begrenzte alternative Wirtschaftssysteme im globalen Kapitalismus überhaupt überlebensfähig sind.

Dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt, kann man sehr schön an der Akzeptanz des gegenwärtigen Systems sehen. Eine große Mehrheit hat kaum Zweifel daran, dass dieses System dem Wesen des Menschen entspricht: Gier nach immer mehr Reichtum, Egoismus statt Altruismus und letztlich das Überleben des Stärkeren. Wie sehr sich diese Ideologie gegen den Menschen selbst richtet, wird besonders im Gesundheitswesen deutlich: da werden nicht medizinisch notwendige Operationen und Behandlungen durchgeführt, um das wirtschaftliche Überleben der „Gesundheitseinrichtung“ zu sichern.

Der Grundwiderspruch des Kapitalismus, die Vergesellschaftung der Produktion bei privater Aneignung des Gewinns, wird nicht nur nicht erkannt und damit nicht kritisiert, er wird sogar stillschweigend allgemein akzeptiert. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem scheint „vom Himmel gefallen“, quasi gottgewollt und damit für die Ewigkeit gemacht zu sein. Dass es ein Davor ohne Kapitalismus gab, wird verdrängt. Dass es ein Danach geben könnte, ebenfalls ohne Kapitalismus, scheint mehrheitlich nicht denkbar.

Unser westlicher Wohlstand gründet sich auf Ausbeutung. Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft. Dass sich diese Arbeitskraft zu großen Teilen in fernen Regionen befindet, in Entwicklungs- und Schwellenländern, wird gern ignoriert. Nur weil durch inländische Sozialgesetzgebungen die Widersprüche des Kapitalismus hier bei uns verwischt wurden, darf dies nicht über ihre Existenz hinwegtäuschen.

Dass Karl Marx mit seiner tiefgehenden Analyse des Kapitalismus weitgehend Recht hatte, seine kritischen Texte noch heute Gültigkeit besitzen, macht vor allem der Blick in Dritte-Welt-Länder erkennbar. Der globale Kapitalismus hat die Erde fest im Griff. Da erhält das alte Bonmot, Marx sei die Theorie und Murks die Praxis, eine ganz neue und etwas andere Bedeutung.

Denn es ist viel mehr als Murks, der zu überwinden wäre, wollte man ein wahrhaft humanistisches Wirtschaftssystem errichten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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