Mir geht’s gut

Zukunft Gedanken zu einem Widerspruch

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Noch sehr genau kann ich mich erinnern, was mein Vater in seinen letzten Lebensjahren gern wiederholte. „Noch nie ging es mir so gut wie heute, ich habe satt zu essen und alles was ich brauche.“ Dieser Satz, gesprochen in der späten DDR-Zeit, war angesichts des nicht zu übersehenden Mangels an allem Möglichen, eigentlich ein Hohn. Hinter jedem Ersatzteil musste der gelernte Ostmensch hinterherjagen, eine Schraube war in benötigter Größe gerade nicht lieferbar und wenn der rechte Moped-Spiegel defekt war, gab es mit Sicherheit gerade nur linke zu kaufen. Manche Häuser ostdeutscher Kleinstädte wurden nur noch von Gerüsten vor dem Zusammensturz bewahrt, der Putz war ab und von oben her war manches nicht dicht, was sowohl Gebäude wie auch das ganze Land betraf.

Und trotz des Widerspruchs empfand mein alter Herr es so: es ging ihm noch nie so gut. Wer die letzten Kriegsjahre bewusst erlebt hatte, der musste wahrscheinlich so empfinden. Satt zu essen und ein Dach überm Kopf, das war nach dem Krieg viel und mancher hat sich die Bescheidenheit bis in späte Jahre bewahrt. Nach der Wende, die zunächst den materiellen Überfluss brachte, ging es ihm persönlich weiterhin gut. Und er wählte sozialdemokratisch, wieder und wieder. Die Partei mit dem christlichen Anschein und ihrem klerikalen Weltbild zwischen Gott und Profit war nicht wählbar für ihn und die Linken waren noch zu zeitnah am untergegangenen Ostländchen mitschuldig.

Lässt man sich heute von den offiziellen Verlautbarungen der Regierungsparteien einlullen, dann kommt man zu dem gleichen Ergebnis wie damals. Uns geht es so gut wie lange nicht. Die Arbeitslosenzahlen sind niedrig, die Erwerbsquote hoch, viele Menschen können teilhaben am gesellschaftlichen Reichtum, wenn auch lange nicht alle und schon gar nicht in gleichem Maße. Aber weitgehend ist Hunger und Obdachlosigkeit kein großes Thema in unserem Weltenteil.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Aber es reicht trotzdem nicht für alle. Und der Wohlstand gründet sich auf die globale Ausbeutung von Ressourcen und Menschen. Nur wenn wir die Augen vor den großen Widersprüchen unserer Zeit verschließen, könnten wir glauben, dass dieser hohe Lebensstandard von Dauer ist. Wer aber sehenden Auges und mit wachem Verstand auf die Welt blickt, wird gewahr, dass wir auf Pump und auf viel zu großem Fuß leben. Viele unserer Produkte werden in Billiglohnländern unter frühkapitalistischen Bedingungen gefertigt. Wir verlagern vieles, was mit Dreck, Gestank und Handarbeit zu tun hat, in fernste Regionen, freuen uns der gesunden deutschen Luft und vertrauen der Hochtechnologie. Wie lange noch?

Es kann auf einer begrenzten Erde mit endlichen Rohstoffen kein grenzenloses Wachstum geben. Das, was wir heute als Flüchtlingskrise bezeichnen und was in Wahrheit eine weltweite Verteilungsungerechtigkeit ist, zeigt uns die Spitze des Eisberges an, zu dem die Probleme in Zukunft anwachsen werden. Denn wenn der Kampf um lebenswichtige Grundlagen, wie beispielsweise Trinkwasser, beginnen wird, dann werden wir uns in unserer lauschigen Weltenecke sehr warm anziehen müssen. Und wenn sich immer mehr Reichtum in immer weniger Händen konzentriert, dann ist das gesellschaftlicher Sprengstoff und es ist nur eine Frage der Zeit, wann er zündet.

Wenn alternative politische Heilsbringer glauben, die Lösung globaler Probleme wäre durch mehr Nationalstaat möglich, dann könnte man Herzinfarkt auch per Gesetz verbieten. Eine rein profitorientierte Wirtschaft wird nicht mehr ewig so weitermachen können, weil sie sich selbst die materiellen Grundlagen entzieht. Wer ein gerechtes und humanistisches Wirtschaftssystem für eine sichere Zukunft der Kinder und Enkel möchte, schaue sich vor der nächsten Wahl die Programme der Parteien sehr, sehr genau an.

Es gibt nur wenige, die am bestehenden System etwas ändern möchten. Wählen wir sie endlich!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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