Postwurfsendung

Jahresende Dieser Tage stehen Spendenaufrufe wieder hoch im Kurs. Dabei bedarf es eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels, der weit über bloße Gewissensberuhigung hinausgeht

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Wenn der Zusammenhalt nur noch als Werbung auf Einkaufstüten stattfindet, braucht es statt Spenden ein viel grundlegenderes gesellschaftliches Umdenken
Wenn der Zusammenhalt nur noch als Werbung auf Einkaufstüten stattfindet, braucht es statt Spenden ein viel grundlegenderes gesellschaftliches Umdenken

Foto: Adam Berry/Getty Images

Da lag er im Briefkasten, so wie jedes Jahr. Der Bettelbrief einer gemeinnützigen Organisation. Und ich erwarte noch einige mehr von der Sorte. Die Weihnachtszeit bietet sich geradezu an, den Menschen auf die Tränendrüse zu drücken und ihnen Geld aus der Tasche zu betteln. Aufgrund dieser Mitleidstour kommen jährlich wohl einige Milliönchen an Euronen zusammen.

Man möge mich nicht falsch verstehen. Ich sehe das Elend auf der Welt mit klaren Augen. Ich sehe, dass täglich Kinder verhungern, weil es an den einfachsten Nahrungsmitteln mangelt. Ich sehe das fehlende saubere Trinkwasser. Ich sehe die Kriegstoten, die umsonst und ohne jeden Sinn gestorbenen Menschen. Ich sehe die religiösen Fanatiker, die sich selbst und mit ihnen vollkommen Unbeteiligte in die Luft jagen. Ich sehe ganze Generationen der dritten Welt ohne jegliche Zukunftsperspektive.

Was ich aber auch sehe, ist der unermessliche Reichtum der westlichen Welt. Die übervollen Regale unserer Supermärkte, das Überangebot an jeglichem Schnickschnack. Ich sehe die Unternehmensgewinne der Großkonzerne und Banken, deren Manager keine Pupillen, sondern Dollarzeichen in den Augen haben. Ich sehe das westliche Anspruchsdenken, das Gewinnstreben und die Arroganz, mit der Europa sich vom übrigen, insbesondere ärmeren Teil der Welt abzuschotten versucht.

Ich sehe auch diejenigen, welche jetzt in der Weihnachtszeit versuchen, ihr eventuell vorhandenes schlechtes Gewissen durch Geldspenden zu besänftigen. Es sind genau diese Menschen, ja es sind letztlich wir alle, die wir im Überfluss baden, die das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit in der Welt zu verantworten haben.

Wir kaufen Klamotten, die unter ärmlichsten Verhältnissen in der dritten Welt hergestellt wurden. Es ist vollkommen egal, welcher Konzern sein Firmenlogo da aufdruckt. Es ist ganz egal, ob als Käufer billig oder teuer bezahlt. Gefertigt wird in Billiglohnländern, damit wir im Westen scheinbar preiswert einkaufen können. Wir benutzen Smartphones, die sämtlich unter unwürdigsten Bedingungen zusammengeschraubt werden. Uns ist es letztlich egal, ob an unserem Überfluss anderswo Menschen leiden müssen.

Und zur Gewissensberuhigung erlauben wir uns am Jahresende dann die eine oder andere Geldspende, um dem „Hunger ein Ende zu machen“. Das ist lächerlich. Nicht Geldspenden werden die Welt retten. Was sich ändern muss, ist unser Verhalten, unser Denken, unsere Form des Zusammenlebens. Solange es die private Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums gibt, solange wird es Armut und Ungerechtigkeit geben. Daran werden Spenden nichts ändern, so gut sie gemeint sind und mit welch ehrlichem Herzen sie gegeben wurden.

Es bedarf eines grundlegenden Wandels der menschlichen Gesellschaft, um dem Hunger und dem Mangel global ein Ende zu machen. Leider sehe ich nicht, dass sich unsere Welt in diese Richtung bewegt. Eher gibt es eine Zunahme an Ungleichheit, an Ausbeutung und letztlich ein Wachstum an privatem Kapital.

Wir Deutschen exportieren Waffen und Munition, um dann einmal im Jahr mit einer Geldspende jene zu unterstützen, deren Angehörige durch eben diese Waffen getötet wurden. Wir handeln schizophren in einer schizophrenen Welt. Es würde mehr nützen, damit endlich Schluss zu machen. Wir verhalten uns wie jemand, der versucht, mit einem Sieb Wasser zu schöpfen. Und statt an Stelle des Siebes eine Kelle zu benutzen, versuchen wir es immer wieder mit dem Sieb.

Anstatt auf Geldspenden sollten wir auf Verzicht setzten. Auf Verzicht an Konsum, Wohlstand, Überfluss und privatkapitalistischem Wirtschaften. Wenn die Früchte der Arbeit allen Menschen zu Gute kommen würden, wären weihnachtliche Bettelbriefe überflüssig.

In diesem Sinne ein friedliches und gesundes neues Jahr!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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