Rohdiamanten schleifen

Sehenswert Eine berührende Filmpremiere

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Gibt es etwas Neues bei Strittmatters? Wer glaubt, dass es nichts gäbe, irrt. Zum 105. Geburtstag des Dichters hatte auf dem Strittmatter-Hof in Bohsdorf ein neuer Film Premiere. „Die Mücke am Blatt“ heißt der halbstündige Streifen von Peter Moschall. Der langjährige ZDF-Kameramann, der sich nun im verdienten (Un-)Ruhestand befindet, hatte bei dieser Filmproduktion als Regisseur und hinter der Kamera die Fäden in der Hand. Begonnen hat Peter Moschall seine Karriere nach einem Studium an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Babelsberg beim Fernsehen der DDR.

In dem Film spielt Peter Moschalls Nichte Lara Kantor eine junge Frau, die von ihrem Freund verlassen wird. Im Gespräch mit ihrem Großvater schöpft das Mädchen neuen Lebensmut, lernt vom Leben und seinen Widersprüchen. Die Antworten des Großvaters auf die vielen Fragen der Enkelin stammen aus Erwin Strittmatters Werken „Schulzenhofer Kramkalender“ und „Selbstermunterungen“. Damit hebt der bildgewaltige Film Strittmatters Literatur noch einmal auf eine ganz neue Stufe. Nicht zuletzt trägt die Filmmusik von Melanie Minuit dazu bei, dass hier eine berührende Geschichte sehr behutsam erzählt wird.

Der Film entstand mit Unterstützung durch den Erwin-Strittmatter-Verein, insbesondere dessen Chefin Renate Brucke, und ist ein nicht-kommerzielles Projekt. Zahlreiche Sponsoren trugen zum Gelingen bei.

Ich hatte Gelegenheit, mit Peter Moschall (P.M.) sowie der Protagonistin und Hauptdarstellerin Lara Kantor (L.K.) das folgende Gespräch zu führen.

Eingebetteter Medieninhalt
Lara Kantor und Peter Moschall (Foto: M. Stark)

Woher stammt die Idee, diesen Film zu drehen?

P.M.:
Das ist eine lange Geschichte. Ich bin in den Vorruhestand gegangen und hatte, weil ich beruflich immer sehr engagiert und beansprucht war, Angst, in ein schwarzes Loch zu fallen. So habe ich nach Ideen gesucht. Inspiriert wurde ich bei Laras Jugendweihe. Ich war ihr Fotograf und bat sie, sich in ihrem Kleid unter den Lindenbäumen zu bewegen. Mein Fotoapparat kam nicht zu Ruhe, klack, klack, klack. Danach habe ich zu ihr gesagt: „Lara, mit Dir mache ich einen Film.“ Das zweite Ereignis war mein Klassentreffen in Spremberg. Da wurde ein Rundgang durch das Strittmatter-Gymnasium gemacht, der uns auch in die Bibliothek führte. Als Schüler war die immer tabu für uns. Ich sah die „Location“ und mir war klar, hier musste ich mal einen Film drehen. Der dritte ausschlaggebende Punkt war eine Zeitungsnotiz. Da stand drin, dass Joachim Jahns sein Buch „Strittmatter und die SS“ vorstellt. Es war ein riesiges Interesse an Strittmatter bei dieser Lesung. Ich erfuhr, dass zur Diskussion stand, den Namen Strittmatter „meinem“ Gymnasium abzuerkennen. Das hat mich persönlich getroffen. Erwin Strittmatter ist in dieses Gymnasium gegangen, ich bin in dieses Gymnasium gegangen und Lara geht immer noch dort hin. Ich stellte mir die Frage, was man aus diesen drei Dingen machen konnte: Lara, der Bibliothek und der Geschichte um Strittmatter. So wurde dann die Idee zu diesem Film geboren. Renate Brucke, die Vorsitzende des Strittmatter-Vereins übergab mir eine Menge an Aphorismen und Zitaten. Ich legte mir außerdem eine große Strittmatter-Bibliothek zu. So stand ich vor einem riesigen Berg an Material, dass mit einem roten Faden verbunden werden wollte. Daran arbeitete ich, bis es zu einem Halbstundenfilm taugte, auch mit großer Unterstützung meines Dramaturgen. Lara sollte die Fragen stellen, deren Antworten Strittmatter bereits vor Jahrzehnten gegeben hat. Wir wollten sehen, ob die Fragen der heutigen Jugend auch jene von Strittmatters Generation gewesen sind. Das hat funktioniert. Wir haben lange überlegt, was Lara dazu bewegen könnte, aus der Klasse zu rennen. Die Idee, dass ihr jemand den Freund ausspannt, kam von ihr selbst. Wir haben dann an dem Rohdiamanten gemeinsam geschliffen. So ist der Film entstanden.

Lara, haben Sie sofort „Ja“ zu dem Filmprojekt gesagt?

L.K.:
Als mir Peter beim Tee seine ersten Ideen vorstellte, war meine Reaktion: „Ja, warum nicht.“ Die Erkenntnis, wie groß das Ganze eigentlich werden würde, kam bei mir erst, als wir schon mit dem Drehen begonnen hatten. Natürlich wusste ich von Anfang an, dass ein Film entstehen sollte. Aber nach den ersten Drehtagen wurde mir bewusst, das wird was wirklich Großes, Wichtiges. Es kamen auch erste Bedenken: wer wird das sehen, wie wird das Publikum den Film aufnehmen. Ich wurde dann schon ein wenig skeptisch, es war aber nie so, dass ich es hätte nicht machen wollen. Mir hat die Arbeit viel Freude gemacht, ich war gern dabei und bin froh, dass ich die Rolle übernehmen durfte.

Wie war die Arbeit mit Lara vor der Kamera?

P.M.:
Als die Dreharbeiten begannen, wir die Szenen mit den Sonnenblumen drehten, war sie noch ein ganzes Jahr jünger. Leute, die den Film bisher sahen, staunen darüber, wie Lara über ein Jahr hinweg die Rolle verkörpern konnte, sie nie vergessen hat, wer und wie sie war. Sie hat die Rolle unglaublich gut gespielt. Wir haben chronologisch gedreht, das ist beim Film etwas ungewöhnlich. Dafür, dass Lara zum ersten Mal gespielt hat, ist sie mit eiserner Disziplin drangeblieben. Das hat mir sehr imponiert. Sie hat am Set dann auch selbst Vorschläge gemacht, sich eingebracht. Ich habe schon viele Menschen vor meiner Kamera gehabt. Aber Lara ist etwas ganz besonderes.

Gab es irgendwann Momente, in denen Sie die Lust am Spielen verließ?

L.K.:
Manchmal gab es diese Momente. Wenn man immer und immer wieder dieselbe Szene dreht, ist es manchmal schwierig. Aber das geht schnell vorbei.

Lara, Sie sind noch Schülerin. Wäre es vielleicht Ihr Wunsch, später einen Beruf in Richtung Film und Kunst zu ergreifen?

L.K.:
Es schwirrt mir schon manchmal durch den Kopf. Die Frage ist aber, ob man davon auch leben kann. Es ist sicher schwer, da rein zu kommen und genommen zu werden. Einerseits würde es mich interessieren, aber ich weiß noch nicht, ob ich da dranbleiben werde. Andererseits versuche ich erstmal, Einblicke zu bekommen, die Abläufe kennenzulernen. Ich habe ja schon an mehreren, kleinen Filmprojekten und Kursen in der Schule, auch an der Lausitziale, teilgenommen. Das macht schon Spaß. Vielleicht findet sich ja noch mal ein Projekt, wo ich sage, das will ich wirklich machen. Aber momentan bin ich mir da noch ziemlich unsicher.

Hat die Arbeit am Film dazu beigetragen, Strittmatter zu lesen?

L.K.:
Ja, das stimmt. Das erste Strittmatter-Buch, das ich gelesen habe, hat mir Peter geschickt. Es waren die „Selbstermunterungen“. Manches mochte ich mehr, manches weniger, aber insgesamt hat mir das Buch sehr gefallen. Als in der Schule die Frage anstand, welche Bücher gelesen werden, habe ich mich für Erwin Strittmatter entschieden. Ich habe dann mit dem „Laden“ begonnen. Mittlerweile lese ich gern seine Bücher und setze mich mit ihnen auseinander. Ich finde es etwas schade, dass viele andere in meinem Alter nicht so sehr an Erwin Strittmatters Literatur rankommen oder es nicht wollen.

Peter, wie sind Sie zu Strittmatters Literatur gekommen?

P.M.:
In meinem Berufsleben war oft wenig Zeit und Muße für Literatur. Erst durch die Geschichte mit der umstrittenen Militärvergangenheit und das Buch von Jahns wurde ich wieder an Strittmatter herangeführt. Ich hatte in Renate Brucke einen guten Ansprechpartner. Sie hat mir vieles empfohlen. Und jetzt bin ich wieder ganz eng bei Strittmatter, lese ihn gern, mein Bücherschrank ist voll. Zuletzt habe ich mit viel Vergnügen den „Wundertäter“ gelesen und gemerkt, Strittmatter meint sich selbst in diesem Roman. Er wollte Dichter werden und hatte keine Lust, sich totschießen zu lassen. Er war die „Mücke am Blatt“.

Was sind Ihre Zukunftspläne?

P.M.:
Ich werde gar nicht anders können, als wieder etwas Neues anzufangen. Aber es gibt zwei Prämissen: Lara sollte dabei sein und Melanie Minuit muss wieder die Musik zum Film einspielen. Entscheidend ist natürlich eine tragfähige Geschichte.

L.K.:
Ich werde auf jeden Fall am Filmen und Fotografieren dranbleiben. Wir haben hier in Spremberg ja viele Möglichkeiten. Es gibt die Lausitziale mit Filmschule, auch an unserer Schule gibt es Verschiedenes. Aber ich hoffe sehr, dass wir irgendwann zusammen mit Peter ein neues Filmprojekt starten werden. Es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht, ich würde jederzeit wieder mitmachen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Der Film von Peter Moschall ist im Internet bei Youtube unter diesem Link verfügbar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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