Schulzenhofer Klatschgeschichten

(K)eine Rezension Die respektlosen Enthüllungen eines Strittmatter-Sohnes

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Er hat es also getan. Erwin Berner, der erste leibliche, gemeinsame Sohn des Schriftstellerehepaares Eva und Erwin Strittmatter hat ein Buch über seine Kindheit und Jugend geschrieben. Und es ist auf der Bestsellerliste gelandet. Zu Recht? Erwin Berner will das Seine sagen über die Zeit, die er in Schulzenhof, dem Wohn-, Schreib- und Lebensort der beiden hochangesehenen Autoren, verbrachte oder eben auch nicht verbrachte. Dabei lässt er seine Eltern nicht unbedingt gut aussehen. Als Kind wurde er lange Zeit zur Großmutter nach Neuruppin abgeschoben, im Hause Strittmatter wurde Ruhe gebraucht für die Produktion von Literatur. Eva und Erwin Strittmatter führten ein Leben, das fast ganz der Kunst gewidmet war. Das Primat bei Erwin Strittmatter hatte das Schreiben, dabei durfte niemand stören, am wenigsten die Kinder. Im Lebensmittelpunkt stand das Werk, alles andere musste sich drum herum arrangieren. Dabei fand er in seiner Frau Eva die Unterstützerin, die es ihm ermöglichte, das Leben so zu poetisieren, wie wir es aus seinen zahlreichen Büchern kennen. Und dass Ehefrau Eva quasi „nebenher“ ein eigenes, einmaliges literarisches Werk schuf, die Leser ihrer Lyrik in die zehntausende geht, ist beachtlich und anerkennenswert, verdient jeden Respekt. Eva Strittmatters Gedichte und Erwin Strittmatters Romane, Erzählungen und Kalendergeschichten sind und bleiben ein unerschöpflicher Quell an Lebensweisheit, Poesie und literarischer Kraft.
Und nun das. Sohn Erwin kratzt am Image. Die Frage ist, warum? Was erfahren wir an Neuem aus dem Hause Strittmatter? Das Erwin Choleriker war, Tyrann sein, tagelang schweigen konnte und kein Wort mit den Söhnen sprach, wenn es Streit gab? Geschenkt, wir wissen es von ihm selbst aus den Tagebüchern und aus Evas Veröffentlichungen. Das es streng zuging in einem Haushalt, in dem Literatur geschrieben und nebenher eine größere Landwirtschaft betrieben wurde? Erwin Strittmatter war Pferdezüchter aus Passion. Auf dem großen Hof gab es jede Menge Arbeit und die Söhne mussten mit anpacken. Auch das ist nicht neu. Natürlich wäre ein Jugendlicher lieber baden gegangen als auf dem Hof zu helfen. So ging und geht es in vielen bäuerlichen Wirtschaften zu. Erwin jr. aber breitet nun seine diesbezüglichen Erlebnisse zum Schmach seiner Eltern aus. Oder ist es die Ablehnung der homosexuellen Veranlagung des Sohnes durch Vater Erwin Strittmatter? Auch hier geht es dem Junior wie ganz vielen anderen der damaligen Zeit. In der Generation Erwin Strittmatters war Homosexualität noch tabuisiert und oft als Krankheit angesehen, die Zeiten haben sich dankenswerter Weise geändert. Oder ist es die Tatsache, dass Eva die Kinder, namentlich die älteren Söhne, für längere Zeit aus dem Haus gab, damit Ruhe zum Schreiben herrschte? Auch das ist schon bekannt und Eva selbst hat es in Selbstzeugnissen bereut. Und auch, dass Erwin Berner ein unerwünschtes Kind war, Eva eine Abtreibung versuchte, ist schon bekannt und nicht neu.
Was also ist es, das „Neue“, das wir erfahren? Warum tritt Erwin Berner so auf seine Eltern ein? Erwin Strittmatter starb bereits 1994, Eva folgte ihm im Jahr 2011. Was sind die Enthüllungen, was hat Wert, aufgeschrieben worden zu sein? Welche Tatsachen sind es, von denen die Leser und Freunde der Strittmatter-Literatur in Berners Buch Kenntnis erhalten und die zum Verständnis des Lebensweges der beiden Schriftsteller oder auch des Autors selbst beitragen? Wir wissen es nicht, wir erfahren es nicht. Sein Buch gibt keine Auskunft darüber. Und die Tatsache, dass Eva Strittmatter in den letzten Jahren vor ihrem Tod tablettenabhängig war, hätte Erwin Berner aus Respekt vor seiner Mutter verschweigen können. Das Buch gehört ganz in die Linie moderner Veröffentlichungen, die Sensationsgier befriedigen wollen und dabei wenig oder gar keine Substanz haben. Wir erfahren aus Berners Buch nichts wirklich Neues, es leistet aber seinen Beitrag zur Demontage des Bestseller-Autorenpaares der ehemaligen DDR. Und damit passt es in die Zeit!
Natürlich ist das Trauma zu verstehen, wenn man sich als Kind mehr ungeliebt als geliebt fühlt. Erwin Berner hat sich das nun, respektlos vor seinen Eltern, von der Seele geschrieben. Musste er uns seine persönlichen Kränkungen mitteilen? Er hätte es lassen können. Denn das Werk seiner Eltern wird die Zeiten überdauern, sein Buch nicht.

Erwin Berner „Erinnerungen an Schulzenhof“, Aufbau-Verlag 2016, ISBN 978-3-351-03615-7

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden