Steckengeblieben

Mittlerweile alltäglich Schicht im Schacht

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Seit einigen Monaten lebe ich gesund, zumindest was die körperliche Betätigung angeht. In dem Geschäftshaus, in welchem sich mein Büro befindet, wird gerade die Fahrstuhlanlage erneuert. So bin ich gezwungen, zu Fuß in die dritte Etage zu laufen, manchmal mehrmals am Tag. Das hält fit und ist nicht das Schlechteste, was passieren kann.

Der Fahrstuhl, den wir dort seit Jahren benutzt haben, war schon ein Senior unter seinesgleichen, hatte bereits viele Jahre treue Dienste geleistet. Er hätte das auch noch einige Zeit lang weiter getan. Leider war das Gefährt nicht mehr das, was man im Allgemeinen „Stand der Technik“ nennt. Technisch noch vollkommen funktionstüchtig, vom TÜV in Augenschein genommen und für brauch- und benutzbar befunden, sollte das Ding trotzdem einer neueren Ausführung weichen. Nicht zuletzt deshalb, weil ein neuer Chef im Hause Einzug gehalten hatte, der sich unbedingt ein Fahrmöbel moderner Ausführung wünschte.

So kam es nun, dass eine Firma, die mit Fahrstuhlbau ihre Brötchen verdient, zu Werke ging. Das alte Exemplar, welches uns hunderte Male zuverlässig in die Höhe und wieder nach unten befördert hatte, wurde demontiert. Es wurde laut im Fahrstuhlschacht. Da wurde gesägt, geschweißt und gehämmert, das es eine Lust war. Neue Türen wurden eingesetzt und es schien als würde die Benutzung des nunmehr zeitgemäßen Fahrzeuges kurz vor der Tür stehen.

Als es an die letzten Arbeiten ging, so etwa vierzehn Tage vor dem Ende der Bautätigkeit, stellte man plötzlich fest, dass die neue Kabine des Senkrechtstarters um ein Weniges kleiner werden würde, als die alte. Gerade so viel kleiner, dass ein Hubwagen mit einer Europalette, der bisher gerade Platz gefunden hatte, da nicht mehr reinpasst. Gerade das aber ist für Lieferanten extrem wichtig. Mit Bekanntwerden dieser Tatsache wurde es sofort ruhig im Schacht. Die Arbeiten wurden eingestellt und seitdem schwebt über dem ganzen Bauvorhaben ein großes Fragezeichen.

Für uns, die wir das Gefährt seit Jahr und Tag zu benutzen pflegen, stellt sich die Frage, wie es zu so einem amateurhaften Zwischenfall kommen konnte. Waren hier die gleichen Leute am Werk, die in Berlin Flughäfen zu bauen versuchen? Wieso wird beim Austausch eines Fahrstuhles im haargenau gleichen Schacht die Kabine kleiner?

Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass hier der gleiche Dilettantismus werkelt, der mittlerweile an vielen Orten anzutreffen ist. Da werden die Dinge nach Preis gekauft, werden Ausschreibungen schöngeschrieben um sie zu gewinnen und es ist eine Ahnungslosigkeit am Werke, die Verblüffung auszulösen vermag. Ganz abgesehen von der Frage, warum ein noch funktionstüchtiges Gerät ausgetauscht werden muss. Klar, die Antwort liegt auf der Hand: um Umsatz zu machen, die Wirtschaft anzukurbeln.

Im Ergebnis haben wir alle ganz klar verloren. Anstatt mit einem alten, aber funktionstüchtigen Fahrstuhl zu fahren, wird nun die Treppe benutzt und gelaufen. Der bisher eingesetzte Arbeitsaufwand und das Material waren umsonst, es wird Umbauten erfordern, Zeit und Geld kosten und am Ende werden wir weiter nichts haben, als was wir auch schon vorher hatten: einen Aufzug, der uns nach oben bringt.

Manchmal scheint es sinnvoller, eine Weile weiter auf das Alte und Bewährte zu setzen. Denn wer Anderes als das Vorhandene wünscht, kann durchaus etwas Schlechteres bekommen. Das ins Kalkül zu ziehen, muss offenbar erst noch gelernt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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