Still sein

Über Worte Lerne Schweigen, ohne zu platzen

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Die Wogen schlugen verhalten hoch, als bekannt wurde, dass ein vielfach preisgekrönter Spiegel-Journalist seine Texte, sagen wir es vorsichtig, ein wenig aufgehübscht hat. Das Wort von der L...presse kam wieder auf. Der Journalismus steht derzeit nicht gerade hoch im Kurs, wenn die Frage nach seiner Glaubwürdigkeit gestellt wird. Interessant ist, dass der „Skandal“ für die wenigsten Leute eine Überraschung darstellt. Dass Beiträge in Fernsehen, Funk und Presse sowie im Netz ein wenig „angepasst“ werden, damit sie ins Weltbild des Schreibers, des Herausgebers oder Verlegers passen, scheint natürlich.

Wer an die Unabhängigkeit der Presse glaubt, erklärt Grimms Märchen zum Leitbild des Lebens. Journalismus ist stets parteilich, nicht im Sinne einer politischen Partei, aber doch in jenem Sinn, dass der jeweilige Autor etwas bezweckt. Unabhängigkeit ist ein Mythos, welcher zwar gern beschworen wird, aber er bleibt eben einer. Die Freiheit der Presse endet spätestens bei den monetären Vorstellungen der Herausgeber, den Ansprüchen des Werbekunden, der Auflagenstärke, der Einschaltquote und neuerdings bei der Klickzahl.

Die Medienwelt besteht aus einer Kakophonie unterschiedlicher Ansichten, Meinungen und „Wahrheiten“, die nie, da sie menschengemacht sind, zu einhundert Prozent objektiv sein können. Das ist einleuchtend. Weniger verständlich aber ist, dass gewisse Medienschaffende nicht imstande sind, das zu sehen oder sich selbst zu hinterfragen. Dazulernen ist offenbar nichts für jeden. Ein paar Schritte zurücktreten, um mal das ganze Bild zu betrachten, fällt ihnen selten ein. Natürlich gibt es sie noch, die investigativen Journalisten, die das Geschehen hinterfragen, äußerst kritisch und distanziert berichten. Aber man muss sie schon suchen, im Netz, im Funk und in so manchem Druckerzeugnis.

Wie ist es erklärbar, dass nach der Landung einer chinesischen Sonde auf der Mondrückseite selbst in öffentlich-rechtlichen Medien die Rede davon war, sie sei auf der „dunklen Seite des Mondes“ gelandet? Astronomisch gesehen ist das Unfug, die Mondrückseite ist keineswegs dunkel. Erklärt sich das mit fehlender Bildung? Wo ist hier die Qualitätskontrolle? Und wenn schon bei so banalen Sachverhalten Ungereimtheiten auftreten, wie groß ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass komplexere Themen nicht ganz korrekt dargestellt werden?

Kürzlich wurde im Fernsehen darüber gesprochen, dass es für Privatpersonen in vielen Kommunen verboten ist, im Winter Streusalz zu verwenden. Städte und Gemeinden selbst ist die Benutzung jedoch gestattet. Sollte kritischer Journalismus nicht wenigstens einmal nachfragen, warum der Staat die Umwelt schädigen darf, der Privatmann aber nicht? Fehlanzeige, das wurde unhinterfragt hingenommen.

Wenn bei der Berichterstattung von „Machthabern“ die Rede ist, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es sich um ein zumindest nicht allzu befreundetes Land handelt, welches Gegenstand der Betrachtung ist. Worte werten, fast immer! Ein wenig Häme untergemischt, schon ist Ostdeutsches oder Russisches ein klein wenig abqualifiziert. Das passiert oft ganz subtil, fast in homöopathischer Dosis.

Vor vielen Jahren bereits hat Bastian Sick darauf hingewiesen, dass es nicht die „Wucht der Explosion“ ist, die Schäden anrichtet. Die Explosion selbst ist dafür vollkommen ausreichend. Haben Journalisten dazugelernt? Worte sagen auch etwas über denjenigen aus, der sie benutzt. Vermutlich wird bei der nächsten Katastrophenmeldung wieder davon die Rede sein.

Können geschriebene oder gesprochene Worte aber überhaupt zur Veränderung des Denkens und Handelns beitragen? Offenbar wenig in Anbetracht der Fülle des im Laufe der Jahrhunderte Veröffentlichten. Könnten sie etwas ändern, wäre die Welt längst ein besserer Ort. Worte erklären, verletzten, stiften Verwirrung oder sind nur heiße Luft sein. Von den Letzteren existieren entschieden zu viele. Manche Rede eines Politikers oder Wirtschaftsbosses besteht zu fast einhundert Prozent aus ihnen. Wer gezwungen ist, Floskeln zu benutzen, dessen Rede oder Schreibe ist inhaltslos. Was für ein beschaulicher Ort wäre die Welt, würde nur reden oder schreiben, wer wirklich was zu sagen hat. Die Anzahl an Posts, Blogbeiträgen, Zeitungstexten und letztlich auch Büchern überfordert uns in zunehmendem Maße. Nicht alles, was passiert, ist es Wert, kommentiert zu werden. Die Dinge in Form von Kurztexten in den sich „sozial“ verstehenden Netzwerken zu interpretieren, führt nirgendwohin. Die Welt wird nicht dadurch verändert, dass jeder täglich seinen Senf auf Facebook, Twitter oder anderswo dazugibt.

Manchmal ist Stille die weitaus bessere Art, etwas mitzuteilen. Es gibt eine Art von Schweigen, die beredter ist, als jedes gesprochene oder geschriebene Wort.

Mit diesem Schweigen zu den Dingen der Welt will ich es in Zukunft vorerst mal probieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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