Störenfried

Aufschreibers Auftrag Schreibende und Mücken

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Sie kam, als es gerade hell wurde. Der neue Tag begann, das erste Morgenlicht schimmerte zwischen den Ritzen des Rollos hindurch, Morgendämmerung eben. Ich wurde von einer Mücke aus dem Schlaf gesummt. Sie umkreiste meinen Kopf, entfernte sich, näherte sich wieder. Dann setze sie sich auf mein Ohr und hörte auf zu summen. Offenbar hatte sie sekundenweis Ruhe nötig, sammelte Kräfte, um kurze Zeit später erneut zu starten … und zu summen. Das Summen, dieses leise, feine Geräusch zerteilte die morgendliche Stille, schwoll regelrecht zu Lärm an. Ich versuchte, den Störenfried mit der Hand zu fangen. Ich fing nichts, stieß Löcher in die Luft und hatte aber das unbestimmte Gefühl, die Mücke lache mich aus.

Eine Mücke soll, ich habe es nicht nachgeprüft, etwa 2 bis 3 Milligramm wiegen. Damit ist sie in etwa 40 Millionen Mal leichter als der Durchschnittsmensch. Es kommt ja hier nicht auf die eine oder andere Kommastelle genau an. Eine Mücke ist genau genommen ein Nichts, und es wäre nicht der Mühe wert, überhaupt ein Wort über sie zu verlieren. Sie ist ein absolutes Leichtgewicht, sie ist unscheinbar, wird im Alltag völlig übersehen. Und doch kann sie jeden von uns zur Verzweiflung bringen. Nicht nur durch ihre Stiche kann sie uns zusetzen, auch ihr Summen, zumal in der frühmorgendlichen Stille, kann den letzten Nerv rauben, kann einen schier zur Verzweiflung treiben. So ging es mir. An Schlaf war nicht mehr zu denken.

Das Tierchen hatte offenbar Spaß daran, im Dämmerlicht unsere Kammer zu inspizieren. Das Summen entfernte sich minutenlang, sodass ich schon daran glaubte, die Mücke würde den Spalt des geöffneten Fensters gefunden und das Weite gesucht haben. Aber nein, sie kam zurück, startete einen neuen Angriff, setzte sich auf die Stirn, wenig später auf die Hand, dann auf den Unterarm, um schließlich auf meinem Fuß Platz zu nehmen. Für kurze Zeit dachte ich daran, einfach stillzuhalten, nichts zu tun und die Mücke stechen zu lassen. Das Kalkül dahinter: wenn sie satt ist, ihre Blutmahlzeit zu sich genommen hat, wenn ich ihr also gäbe, was sie möchte und braucht, dann würde sie ruhig sein, sich in einen Winkel verkriechen und ich könnte noch ein Stündchen Schlaf bekommen. Aber während ich das so mit geschlossenen Augen dachte, summte sie schon wieder über meinem Kopf, am Ohr vorüber und schaute dann einfach mal bei meiner Frau vorbei, die mittlerweile ebenfalls wach geworden war. Die Mücke dachte gar nicht daran, mich einfach zu stechen und Ruhe zu geben. Offenbar fand sie Gefallen daran, ihre Erkundungsflüge noch eine Zeitlang fortzuführen und Unruhe zu stiften.

Während ich so dahindämmerte und mir wünschte, die Mücke würde endlich aufgeben, kam mir ein Gedanke. So, wie manchmal ein Gedanke kommt, kurz bevor man in den Schlaf hineindämmert, hinübergeht ins Traumland, in das Reich vom Morpheus. In jenes Reich eintaucht, in dem wir die unglaublichsten Dinge erleben können, die schönsten oder schrecklichsten, je nachdem, was uns der Gott der Träume gerade zugesteht. Ich dachte mir: so wie diese Mücke sollte das Schreiben sein, sowohl das literarische wie auch das journalistische. Es soll nerven, soll aufrütteln, nicht zum Schlafen kommen lassen, soll wach machen, soll piken, soll auf sich aufmerksam machen. Und genau wie diese Mücke soll das Schreiben etwas Leichtes sein, etwas Schwebendes, etwas Kleines, das Großes bewirken kann. Und genau wie diese Mücke, hat der, der schreibt, mit seiner leisen Stimme, mit viel Mühe und Aufwand daran zu arbeiten, gehört zu werden und niemals zu verstummen Obwohl es manchem lieber wäre, wenn gerade der sich schriftlich und kritisch Äußernde schweigen würde, mundtot wäre und nicht mehr den Stachel ins Fleisch der Gesellschaft stechen könnte. Ja, der Schreiber und diese Mücke haben einiges gemeinsam.

Dann dämmerte ich doch wieder ein und fiel in einen traumlosen Schlaf. Von dem kleinen Störenfried aber habe ich vorerst nichts mehr gehört. Aber ich weiß, er ist nicht totzukriegen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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