Strittmatter ist nichts nachzuweisen

Ausgrabungen Wie man Geld in den Sand setzt

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Die Stadt Spremberg beauftragte vor einigen Jahren einen Berliner Historiker, um Nachforschungen darüber anzustellen, ob einer ihrer berühmtesten Söhne, der Schriftsteller Erwin Strittmatter, eventuell in Kriegsverbrechen verwickelt war. Das geschah, nachdem bekannt wurde, dass Strittmatter in der Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht als Wehrmachtssoldat, sondern in einem Ordnungspolizeibataillon Dienst tat. Die „Perle der Lausitz“, wie sich Spremberg gern bezeichnet, ließ sich das Unternehmen immerhin 11000 Euronen kosten. Eigentlich war mit einem Ergebnis schon früher gerechnet worden. Jetzt liegt nach immerhin fünf Jahren „Forschung“ eine schlüssige Aussage zu mutmaßlichen Verstrickungen des Bestsellerautors in Naziverbrechen vor.

Nachdem der Historiker jahrelang verstaubte Archive durchforstet hat, sich durch Stasi- und sonstige Akten grub, gab er kürzlich das Ergebnis seiner Wühlarbeit bekannt. Er verlautbarte, dass man dem Schriftsteller Erwin Strittmatter eine Beteiligung an Kriegsverbrechen des Ordnungspolizeibataillons nicht nachweisen kann.

Und weil das jenen, die das Andenken an Strittmatter in Spremberg lieber heute als morgen getilgt sähen, so nicht gefallen wird, erfolgte der Zusatz „man könne sie aber auch nicht ausschließen“. Ich bin ja nur ein Laie, aber soweit mir bekannt ist, war der Nachweis der Nichtexistenz von Irgendetwas schon immer schwierig. Böse Zungen behaupten sogar, dass sei unmöglich. Was soll dann dieser Zungenschlag, dass man es nicht ausschließen könne? Wenn jemand im Weltkrieg war, ist er, egal an welcher Stelle eingesetzt, immer in die Sache verstrickt gewesen. Wer daran zweifelt, ist ahnungslos oder dumm. Da kann von einer „Schweigegemeinschaft“ jener, die damals halbwegs heil aus dem Krieg zurückkehrten, nicht die Rede sein. Was glauben denn die Spremberger Stadtväter, wie Menschen aus Kriegen heimkommen? Mit einem Lächeln auf den Lippen, zu Hause erzählend, wie viele Treffer sie mit ihren Schießeisen hatten? Oder sind sie zutiefst traumatisiert, versuchen, zu vergessen und sich möglicherweise für eine bessere Welt ohne Krieg einzusetzen, wie es nach 1945 viele, viele Heimkehrer taten? Natürlich schwieg sich diese Generation aus, mal mehr, mal weniger, auch mein Großvater erzählte nur sehr dezidiert von jener Zeit. Wir Nachgeborenen sollten endlich unseren moralischen Zeigefinger wegstecken.

Erwin Strittmatter ließ nie auch nur den Hauch eines Zweifels aufkommen, wie er über die Kriegsschuld seiner Generation dachte. Das ist seinem Werk eindeutig zu entnehmen. Und alle, die anderes behaupten, tun dies in der einen Absicht: möglichst vieles, was irgendwie mit der ehemaligen DDR zu tun hat, zu diskreditieren, madig zu machen und mit Dreck zu bewerfen.

Es sei daran erinnert, dass die Globkes dieser Welt nicht diesseits der Elbe Karriere machten. Strittmatter war mitschuldig, wie seine ganze Generation mitschuldig war am Geschehen damals, nicht mehr und aber auch nicht weniger. Dass ein Hitler an die Macht kam, war Ergebnis von Dummheit und Ignoranz des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung. Auch ein Erwin Strittmatter war vor dem, was man damals „Gefolgschaft“ nannte, nicht gefeit, wie wir heute wissen. Das verarbeitete er später auf subtile Weise in seinem Werk.

Möglicherweise steht die Stadt Spremberg nun vor einem Dilemma. Einige möchten ihren Ehrenbürger loswerden, der aber hat sich nicht viel mehr Schuld aufgeladen, wie viele andere seiner Generation auch. Erwin Strittmatter ist Namensgeber des Gymnasiums und neben der Ehrenbürgerschaft gibt es mehrere Gedenkorte in der Stadt an der Spree. Es wird eine spannende Frage sein, wie nun mit Strittmatters immateriellem Erbe umgegangen wird. Dabei gilt zu bedenken, dass es womöglich keinen Namenspatron und keinen Ehrenbürger auf dem Erdenrund gibt, dessen Biografie nicht wenigstens ein paar dunkle Stellen aufweist.

Der Berliner Historiker beabsichtigt offenbar, seine Forschungsergebnisse in Buchform zu veröffentlichen. Das war zu erwarten. Und weil moralisch richtiges Verhalten so wichtig ist, schlage ich vor, die Tantiemen sowie die 11000 schönen Euros der Stadt Spremberg einer gemeinnützigen Organisation zu spenden. Dann hätte diese ganze „Forschung“ wenigstens noch einen Sinn gehabt und wäre nicht in den Sand gesetztes Geld.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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