Systemfehler

Gestört Es ist, wie es ist

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Eine Maschine als technisches System sollte in aller Regel das tun, was man von ihr erwartet und wofür sie konstruiert wurde. Tut sie das nicht oder nur unzulänglich, liegt ein Fehler vor, der gefunden und beseitigt werden will. Nur sehr wenige Menschen wären bereit, mit einem Gerät vorlieb zu nehmen, welches Unvorhersehbares tut. Fehlerhafte Systeme sind dankenswerterweise austauschbar.

Unser politisches System krankt an einigen Stellen und mittlerweile sind die Symptome nicht mehr zu übersehen. Aber anders als bei der Technik wird unentwegt versucht, dieses System schönzureden und beizubehalten. Es habe sich bewährt. Die Frage ist, wobei?

In unserer sogenannten Demokratie sind Abläufe möglich, die fatal an die Zeit der östlichen Parteidiktaturen des 20. Jahrhunderts erinnern. Denn wo Parteien immer Recht haben ist kein Platz für Alternativen. Schöne Beispiele liefert gern die SPD, die sich als Partei der kleinen Leute begreift und doch mehr offen als heimlich die Bourgeoisie umarmt.

Da trat der Bundestagswahlverlierer, nachdem er von einem Fettnapf in den nächsten stolperte, als Parteichef zurück. Und sofort war klar, wer sein(e) Nachfolger(in) werden würde. Da war keine Diskussion nötig, kein Abwägen, kein Nachdenken. Die Bätschi-Frau war gesetzt, wurde „gewählt“ und somit ist es, wie es ist.

Es tritt im schönen Sachsenlande der amtsmüde Ministerpräsident zurück und schlägt einen Nachfolger vor. Einen, der sein Direktmandat bei der letzten Bundestagswahl verlor, den die Menschen also nicht gewählt hatten, den sie nicht mehr wollten. Aber besagter Wahlverlierer hat das richtige Parteibuch, wurde vorgeschlagen, der Form halber „gewählt“ und ist nun Ministerpräsident des Freistaates. Kein Wählerwille erkennbar, es ist, wie es ist.

Die Sozialdemokratie erhält ein schwaches Wahlergebnis, weil die Menschen nicht für sie votieren. Das Ergebnis ist, dass die Partei als Mehrheitsbeschaffer dienen muss und nun Minister stellt. Der Wähler in der Wahlkabine macht sein Kreuz explizit nicht bei einer bestimmten Partei und bekommt dann von genau dieser Partei Minister vorgesetzt. Das ist, mit Verlaub, schizophren.

Bei einem kürzlich durchgeführten Podiumsgespräch mit nicht ganz unbekannten Politikvertretern wurde argumentiert, die Menschen könnten ja die Parteien abwählen, welche sie nicht wollen. Ich behaupte, dass sie das eben nicht können. Oder nur unter ganz extremen Bedingungen. Egal, wo das Kreuz gesetzt wird, es bleiben stets die sich als „Volksparteien“ begreifenden Gruppierungen in wechselnder Konstellation an der Macht und legen sich hernach ins Bett des Kapitals. Von kosmetischen Reparaturen abgesehen, bleibt alles beim Alten, wirkliche Veränderungen oder Systemwechsel sind ungewollt. Und schon wieder ist es dann, wie es ist.

Gerade weil viele Menschen das Vertrauen in die politischen Eliten verloren haben, geht ein Gutteil nicht mehr an die Wahlurne. Kaum jemand glaubt noch den Parteiprogrammen vor Wahlen, Wahlversprechen sind Wahlversprecher. Obiger sächsischer Ministerpräsident sucht nun Volksnähe, genau wie sein sozialdemokratischer Stellvertreter mitsamt seines „Küchentisches“. Sie wollen die Stimmung im Land zu erkunden. Wenn das einer Regierungspartei nach Jahrzehnten an der Macht plötzlich als neuer Politikstil einfällt, muss die Frage erlaubt sein, an welchen Kriterien ihr Tun bisher ausgerichtet war? Offenbar ja nicht an dem, was man gemeinhin als „Volkes Wille“ oder auch „Wählerwille“ zu bezeichnen pflegt. Diese jahrzehntelange Ignoranz der Wirklichkeit hat gerade unter der weiß-grünen Flagge den Weg für den alternativdeutschen Geist geebnet, der nun nicht mehr in die Flasche zurück will.

Dass die deutsche Politikmaschine ordentlich stottert, ist nicht erst in den letzten Wochen offenbar geworden. Von Einigkeit keine Spur, geschweige denn von Visionen für eine humane, friedliche und gerechte Zukunft. Fraglich bleibt, ob die anspruchsvollen Herausforderungen der kommenden Zeit mit Politiksystemen des vorigen Jahrhunderts lösbar sein werden. Noch ist es, wie es ist und das ist schlecht genug.

Aber muss es so bleiben?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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