Über die Lügenpresse und andere Märchen

Medien im Fokus Gelogene Wahrheiten

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Allenthalben ist Journalismusschelte im Gange. Da wird mit einer großen Keule auf die Medien eingeschlagen und der Gipfel ist erreicht, wenn von der „Lügenpresse“ gesprochen und die Pressevertreter gar tätlich angegriffen werden. Glaubt denn wirklich jemand ernsthaft, im Zeitalter der offenen Kommunikation und des Internets wäre es noch möglich, die Medienwelt gezielt so zu steuern, dass sie regierungsfreundlich berichtet? Ja dass gar von der Regierung per Dekret herausgegebene Falschmeldungen flächendeckend publiziert werden? So etwas gab es sicher über vierzig Jahre lang im kleineren und östlicheren deutschen Ländle. Aber selbst da war die Zensurbehörde keine Institution, sondern im Kopf des Journalisten fest eingebaut. Gab es in der Literatur das Druckgenehmigungsverfahren, welches Zensur ermöglichte, war es im Journalismus oft die eigene Redaktion, die vieles für nicht druck- oder sendbar hielt. Aber heute?

Ich persönlich glaube nicht, dass eine von der Regierung gesteuerte Medienlandschaft existieren könnte. Ich glaube aber sehr wohl daran, dass diese, unsere Medienlandschaft Defizite aufweist. Dabei sind es fünf Dinge, die ich für bedenkenswert halte.

Das ist zum einen etwas, was ich als die Tendenzberichterstattung bezeichnen möchte. Viele Leser, Hörer und Zuschauer stört offenbar, dass oft genau die Meinung bevorzugt und in Aufmachung wiedergegeben wird, die auch von den führenden Parteien, Institutionen und eben auch von der Regierung verlautbart wird. Und meist sind sich die großen Leitmedien offenbar einig, was der tagesaktuelle Aufmacher, die Spitzenmeldung ist. Das erinnert wiederum fatal an die Zeitungslandschaft im früheren Osten mit ihrem Einheitsbrei in immer gleicher Wortwahl. Als Beispiel kann gelten, dass die „Pegida-Spaziergänger“ oder AFD-Wähler automatisch und ohne Differenzierung in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt werden. Auch die Art und Weise der Berichterstattung über diese „unerwünschten“ Gruppierungen ähneln sich immer wieder. In der Reihenfolge des Auftretens sind dies: Ignorieren, Lächerlich machen, Verunglimpfen, abwertend berichten und schlussendlich dann erkennen, dass diese Gruppen als gesellschaftliche Realität existieren, um nun doch halbwegs objektiv darüber zu berichten.

Ein zweiter Punkt ist die Wertungsformulierung. Ganz oft geht es gar nicht um die faktische Berichterstattung, in verstärktem Maße wird mit dem objektiven Bericht gleichzeitig eine Wertung des Berichteten vorgenommen. Als ein Beispiel sei hier die Formulierung „Regime“ genannt. Taucht dieser Begriff auf, ist sogleich klar, dass es um die Regierung eines nicht allzu befreundetet Staates geht. Dass auch die Regierung eines befreundeten Landes ein Regime führt, ist vollkommen undenkbar. Ein weiteres, sehr beliebtes und wertendes Beiwort ist „populistisch“. Einer Partei oder politischen Strömung mit diesem Wort ein Etikett anzuheften, hilft gar nicht, sie inhaltlich zu entlarven. Was in einem Kommentar normal ist, sollte in der Berichterstattung nicht vorkommen, nämlich die persönliche Wertung durch den Journalisten. Damit wird die eigentliche Nachricht sozusagen deobjektiviert. Außerdem entsteht der fatale Eindruck, einen erzieherischen Einfluss auf Leser oder Zuschauer nehmen zu wollen. Was die wiederum meist übel nehmen. Auch der umgekehrte Fall der Wertungsformulierung ist anzutreffen. Das Wort „Kapitalismus“ wird verschämt ersetzt durch „Globalisierung“ oder „Marktwirtschaft“, letztere am besten noch mit dem Beiwort „sozial“ und „Kriege“ werden zu „internationalen Konflikten“ herabgestuft. Die Dinge bei ihrem Namen zu nennen, ist erste Voraussetzung für Objektivität. Und die schlimmste Form der Medienpräsenz erfährt ein Sachverhalt, wenn über ihn gar nicht berichtet wird, weil man glaubt, politisches Öl ins Feuer zu gießen.

Als Drittes existieren Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen oft in einer nur scheinbaren Unabhängigkeit. Die meisten Medien gehören heute zu großen Konzernen, unabhängige Zeitungen und Zeitschriften sind selten. Dabei ist ihnen gemein, dass sie in einer strukturellen und finanziellen Abhängigkeit stehen. Sie sind abhängig von Werbekunden, die nicht verprellt werden sollen und sie sind abhängig von ihren Konzernführungen, die sich möglicherweise in undurchsichtigen Netzwerken aus Politik und Wirtschaft bewegen. „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing“, ist eben doch eine nicht zu leugnende Wahrheit. Deshalb werden manche Journalisten nur selten wirklich systemkritisch berichten und kommentieren.

Viertens halte ich eine Art von sozialer Unausgewogenheit für bedenklich. Viele hauptberufliche Journalisten der großen Leitmedien sind meist gut situierte, nach ihrem Studium fest angestellte Arbeitnehmer. Ihnen ist die Welt derer, die man gemeinhin als „kleine Leute“ bezeichnet, weitgehend unbekannt. Selbst die Situation der in prekären, oft freiberuflichen Existenzen lebenden Berufskollegen ist den meisten Leitartiklern fremd. Deshalb reichen ihre Kommentare oft nicht an die Wurzel der gesellschaftlichen Zustände heran, sie beschreiben die Welt von ihrem Standpunkt aus, nicht aber die grundsätzlichen Ursachen für die Zustände in dieser Welt.

Schließlich gibt es aus meiner Sicht eine Art verborgene Verlogenheit, diese aber nicht nur in den Medien. Es soll ja heute stets und überall möglichst genderneutral und politisch korrekt zugehen. Deshalb sind bereits bestimmte Wörter als Tabu eingestuft. Ein Schwarzer darf beispielsweise nicht mehr mit dem klassischen Wort bezeichnet werden, welches mit „N“ beginnt. Diese Korrektheit hält die meisten von uns aber nicht davon ab, Kleidung zu tragen, die von Kindern in Fernost hergestellt wurde oder unseren Elektronikschrott möglichst billig zu entsorgen, der dann in Dritte-Welt-Ländern unter Missachtung jeglicher Arbeitsschutzbestimmungen auseinander genommen wird. Das ist, wenn wir ehrlich sind, nicht ehrlich!

Dies sind aus meiner Sicht einige Gründe, warum es derzeit eine gewisse Medienschelte gibt. Trotz allem ist aber eine Tendenz zu mehr Objektivität und freierem Diskurs durchausaus bereits erkennbar, und das Vertrauen der Mediennutzer zurückzugewinnen liegt in unser aller Interesse. Über manchen Auskenner, der „Lügenpresse“ ruft, sollte objektiv und sachlich berichtet werden. Das hilft vielleicht, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nur ein Miteinander-Reden wird den sozialen Frieden erhalten können. Dabei sollten die klassischen Medien als vierte Gewalt eine nicht unrühmliche Rolle spielen.

Eine wirkliche „Lügenpresse“ aber müssen wir alle vermeiden helfen, weil wir die um nichts in der Welt nötig haben oder brauchen können.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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