Was uns fehlt

Verlust eines Wertes Ein Plädoyer für respektvollen Umgang

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Woran mangelt es in unserer technisch so weit entwickelten Welt am meisten? Was ist es, was wir vermissen und wonach wir uns, ob bewusst oder unbewusst, sehnen? Die Antwort, die ich persönlich auf die gestellten Fragen finde, ist einfach: Respekt. Uns fehlt im Umgang miteinander der Respekt. Und zwar sowohl der im täglichen, zwischenmenschlichen Miteinander wie auch der zwischen Völkern, Ländern, Nationen, ethnischen Gruppen und den Generationen. Ja, es fehlt auch an Respekt vor dem nichtmenschlichen Leben.

Respekt anderen gegenüber setzt vor allem erst einmal den vor sich selbst voraus. Sich selbst annehmen als ein Wesen, unvollkommen und fehlerhaft, aber mit dem besten ausgerüstet, was die Natur für uns vorgesehen hat: dem Denken. Das ist zunächst die Basis dafür, auch vor anderen Menschen Respekt zu empfinden und ihnen die gleichen Unzulänglichkeiten zuzubilligen, wie sich selbst. Der einzelne Mensch muss sich selber respektieren als das, was er ist. Und was ist er? Er ist ein sterbliches Wesen, voller Egoismen und meist bemüht, den Mitmenschen zu übervorteilen, den eigenen Gewinn zu maximieren und sich Vorteil zu verschaffen. Im Inneren des modernen Menschen wohnt noch immer ein behaartes Urtier das kämpfen will und siegen.

Der allererste Schritt auf dem Weg zu einem besseren Ich ist es, dies zu erkennen. Nur daraus kann der Respekt erwachsen gegenüber den Mitmenschen, der im Kleinen nötig ist für eine bessere Welt im Großen. Ein ehrlicher Respekt ist damit gemeint, ein Respekt der aus tiefstem Herzen kommt und damit keiner, den man durch oberflächliche Höflichkeit ersetzt und der meist unsere aufgesetzte Freundlichkeit im Alltag ausmacht. Das, was uns da oft begegnet, ist gerade jene unverbindliche Art, die respektlos ist, betrachtet man sie genau. Respektvoller Umgang miteinander bedeutet doch nichts anderes, als den anderen zu akzeptieren, wie er ist, ihn nicht zu diskriminieren, zu unterdrücken oder zu benutzen und auszubeuten. Respektvoller Umgang, der ehrlich gemeint ist, schließt die Ausbeutung und Unterdrückung anderer aus. Und Respekt vor sich selbst schließt natürlich auch die Selbstausbeutung, die gerade unter Freiberuflern und Selbstständigen weit verbreitet ist, ebenfalls aus. Die gegenwärtige kapitalistische Welt ist gekennzeichnet durch den respektlosen Umgang untereinander. Jeder ist des anderen Konkurrent, jeder steht im Wettbewerb mit seiner Umwelt, seinen Kollegen, den anderen Firmen oder irgendwem sonst. Ob er dazu fähig ist oder nicht, ist egal. Wer auf der Strecke bleibt, hat verloren und sich als der Schwächere erwiesen. Sozialdarwinisten erklären uns die Welt auf respektlose Weise und verkennen dabei völlig, das in der Natur viel mehr Kooperation existiert, als mancher glauben mag. Konfrontation und Wettbewerb gibt es, wird von der Natur aber selten bis zur totalen Vernichtung betrieben.

Der respektlose Umgang mit der Umwelt, der Natur, den Tieren und Pflanzen, hat uns dahin gebracht, wo wir jetzt stehen. Der Mensch glaubt, entscheiden zu dürfen, welche Lebewesen es braucht und welche eben nicht. Die Erde sich Untertan machen zu dürfen auf Kosten aller anderen Arten gesteht sich das angebliche höchst entwickelte Lebewesen auf diesem Planeten zu und erkennt dabei nicht, welche Folgen sein Tun zeitigt, wohin es führt, ungehemmt auf Wachstum zu bauen und ohne Rücksicht auf den eigenen Lebensraum jeglichen Profit zu erlangen. Es ist der fehlende Respekt vor den Mitgeschöpfen dieser Welt, die den Menschen veranlassen, so zu handeln. Die Zustände in der Massentierhaltung sind beredtes Zeugnis für den unwürdigen Umgang des sich als die „Krone der Schöpfung“ begreifenden Zweibeiners.

Wir glauben, der immer größere Fortschritt, auf den sich der Mensch so viel zu Gute hält, würde darin bestehen, immer weitere Entwicklungen in technischer und wissenschaftlicher Hinsicht zu vollziehen. Unerkannt bleibt dabei, dass die ethisch-moralische Entwicklung weit hinter dem sogenannten Fortschritt zurückbleibt, der Mensch in anarchischen Denkmustern verharrt und dabei aber die Technologien der Zukunft bereits zu nutzen versteht. Diese Diskrepanz zwischen dem kaum weiterentwickelten Denken, der überkommenen Moral und der übermodernen Technologie lässt den Menschen respektlos und ohne Empathie zurück. Und keine Weltanschauung, keine Religion und keine Ideologie war bisher in der Lage, diesen Widerspruch zu lösen und den Menschen in eine wirklich glückliche Zukunft zu führen. Dies bleibt dem Gestaltungswillen zukünftiger Generationen vorbehalten, die weitaus respektvoller miteinander umzugehen lernen müssen.

Noch ist es nicht ganz zu spät dafür.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Stark

Autor von Lyrik, Prosa und Essay

Matthias Stark

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