Sowjetische Zwangsarbeiter im Dritten Reich: Geteiltes Erinnern
Ausstellung Das Dokumentationszentrum Prora auf Rügen zeigt eine Ausstellung über das Schicksal von Zwangsarbeiter:innen aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie ist in Zusammenarbeit mit der in Russland verbotenen Gesellschaft Memorial entstanden
Das KdF-Museum im „Koloss von Rügen“ in Prora bei Binz gibt es seit ein paar Jahren nicht mehr. Gut so, muss man sagen. In dem vielbesuchten privaten Museum konnten die Besucherinnen sich vor Unmengen originaler Ausstellungsstücke entweder gruseln oder von ihnen faszinieren lassen. Rosenthal-Porzellan mit Hakenkreuz-Signet, SS-Dolche, Fotos und Erinnerungsstücke von Kreuzfahrten mit „Kraft durch Freude“-Schiffen und dergleichen. Und natürlich Modelle der „kolossalen“ Ferienanlage für 20.000 „deutsche Arbeiter und Angestellte“, die aber nie fertiggestellt wurde. Aus allem sprach eine kaum verhohlene Hochachtung vor der „Leistung“, einen solchen superlativen Bau zu errichten. Eine Historisierung, gar eine fu
fundierte Kritik der demagogischen Sozialpolitik der Nazis waren auch nicht ansatzweise zu erkennen.Die Räume, in denen es untergebracht war, sind jetzt Hotels und luxuriöse Eigentumswohnungen. An den historischen Ort wird nicht mehr erinnert. Aber profitiert hat man von ihm. Die Käuferinnen und Investoren wurden mit den Sonderabschreibungsmöglichkeiten für die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude gelockt.Gewürdigt wurden KämpferIm noch unsanierten Querriegel von Block 3 befindet sich seit 2000 das Dokumentationszentrum Prora. Hier wird nicht nur die Geschichte des „KdF-Seebads der 20.000“, sondern überhaupt die Alltagskultur des Nazi-Reichs und die Sozial- und Arbeitspolitik des NS-Staats in Dauer- und Sonderausstellungen aufgearbeitet und dargestellt. Den Besuchern wird kein Wust „originaler“ Einzelstücke präsentiert, sondern ein kritisches Geschichtsbild vermittelt.Die aktuelle Sonderausstellung Postscriptum. „Ostarbeiter“ im Deutschen Reich erinnert an die 2,8 Millionen sowjetischen Zwangsarbeiter, die zwischen 1941 und 1945 als Arbeitssklaven nach Deutschland verschleppt wurden. Ein großer Teil von ihnen war noch nicht einmal volljährig. Sowjetische Zwangsarbeiter, das heißt: Russinnen, Ukrainer, Weißrussinnen – aus allen Gebieten, die von der deutschen Wehrmacht besetzt waren. Auch Zehntausende Frauen und Männer aus den baltischen Ländern gehörten dazu.Die Geschichte dieser Ausstellung ist denkwürdig. Evelina Rudenko von der in Russland seit Ende letzten Jahres verbotenen Gesellschaft Memorial hat sie kuratiert. Sie basiert auf Material von Überlebenden der Verschleppungen, ihren Familien und Nachkommen, die Briefe, Fotos, Postkarten und Tagebücher aufbewahrten. Memorial bekam sie zugeschickt, nachdem in einem Zeitungsartikel irrtümlich geschrieben worden war, die Gesellschaft werde sich um Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter kümmern. Innerhalb weniger Wochen gingen über 320.000 Briefe aus Russland, Belarus und der Ukraine mit Erinnerungsberichten und Dokumenten ein. Bis dahin war in Russland und den anderen betroffenen Nachfolgestaaten der UdSSR über diesen Teil des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion kaum öffentlich geredet worden. Nach der Rückkehr in ihre Heimat standen die gegen ihren Willen zur Arbeit für die Deutschen gezwungenen Menschen unter dem Verdacht, mit dem Feind kollaboriert zu haben. Ihr Leiden passte schon in der stalinistischen und poststalinistischen Sowjetunion nicht in das offizielle Bild des heldenhaften, aufopferungsvollen Kampfes eines ganzen Volkes im „Großen Vaterländischen Krieg der Völker der Sowjetunion“ gegen den Aggressor Deutschland. Diese offizielle Heldenerzählung, die die Kämpfer würdigt, die Opfer und ihre Leiden aber übergeht und damit nur die halbe Wahrheit sagt, kann man heute noch beim 1949 eingeweihten Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow auf den Reliefs zur Kriegsgeschichte nachvollziehen.Placeholder image-1Evelina Rudenko sagt, dass es im postsowjetischen Russland bei den Offiziellen zeitweise eine größere Akzeptanz gegenüber der Darstellung der Leidensgeschichte der Opfer des deutschen Aggressionskriegs gegen die Sowjetunion gegeben habe. Nun aber sei man zu den rein heroischen Narrativen zurückgekehrt und gebe ihnen zusätzlich einen russisch-nationalistischen Charakter. Es gab in den besetzten Gebieten in Russland, Belarus und der Ukraine viele tatsächliche Kollaborateure, die den Deutschen zum Beispiel als Hilfspolizisten halfen, junge Menschen zum Abtransport in die Zwangsarbeit zusammenzutreiben. In Russland wird das nicht gern gesagt, weil es die heroische Erzählung beschädigt. In der Ukraine neigt man dazu, die nationalistischen, antisowjetischen Akteure von Verbrechen freizusprechen.Russland, Belarus, UkraineDie Ausstellung wurde 2018 erstmals gezeigt – in Moskau und danach in St. Petersburg, Nowgorod und einigen anderen Städten in Russland und Belarus. Sie wurde ein großer Erfolg. Nach Deutschland kam sie auf Initiative des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit und des Museums Karlshorst. Margot Blank, Kuratorin in Karlshorst, betont, dass die Ausstellungstätigkeit nicht nur ihres Museums heute eine weiterhin wichtige Aufgabe zu erfüllen hat: die Dimension der Verbrechen Nazi-Deutschlands deutlich zu machen. Sie verweist auf die über 800.000 Hungertoten im belagerten Leningrad. Dies seien fast dreimal so viele Opfer in einer Stadt wie die Gesamtzahl der im Zweiten Weltkrieg an allen Fronten gefallenen US-Soldaten.Das Karlshorster Museum, das im Mai diesen Jahres seinen Schriftzug „Deutsch-Russisches Museum“ durch „Ort der Kapitulation, Mai 1945“ ersetzte, um zu betonen, dass hier an alle sowjetischen Opfer erinnert wird, hat einen Trägerverein, dem seit den 1990er Jahren russische, ukrainische und Institutionen aus Belarus angehören. Auf der Liste stehen – man lese und staune – neben Geschichtsmuseen und Forschungseinrichtungen aus allen beteiligten Ländern auch das deutsche wie das derzeit kriegführende russische Verteidigungsministerium. Die Zusammenarbeit mit den russischen Stellen ruht derzeit, ist aber nicht offiziell aufgekündigt.Im Trägerverein des Museums ist auch das Kiewer Nationalmuseum zur Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg vertreten. 1981 von dem Ukrainer Leonid Breschnew eröffnet, hieß es bis 1996 „Museum des Großen Vaterländischen Kriegs“. Die Umwidmung trennt die Kriegsereignisse in der Ukraine und die Kriegsteilnahme ukrainischer Kräfte von denen der Sowjetunion, die nun mit dem feindlichen Russland assoziiert wird. So wie der Kalte Krieg bis 1990 diktierte, wie in Ost und West jeweils Geschichte zu lesen war, sei das derzeit auf andere Weise wieder zu beobachten, so Margot Blank. Wir sollten an die Zeit nach dem aktuellen Krieg denken, wenn wieder über die Divergenzen in der Sicht auf den Zweiten Weltkrieg zwischen Russland, der Ukraine und dem demokratischen Deutschland geredet werden kann und muss, sagt sie bei der Ausstellungseröffnung.Das Dokumentationszentrum Prora wird in absehbarer Zeit seinen Standort räumen müssen. Auch dieser Teil des „KdF-Kolosses“ ist an private Investoren verkauft, und die Baufirmen stehen bereit. Der politische Wille, das Zentrum zu erhalten, ist da. Die Finanzierung muss noch geklärt werden. Die Archive und Materialsammlungen der verbotenen Gesellschaft Memorial scheinen gesichert. Das Museum Karlshorst setzt seine Arbeit fort.Placeholder infobox-1
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