Hüpfburgen statt kleine Anfragen

Kümmererpartei Auch DIE LINKE hat an die AfD verloren. Besonders im Osten ging die Stammwählerschaft der "kleinen Leute" massenhaft von der roten Fahne. Neue Wege sind gefragt

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wahlkampf zum Aufblasen
Wahlkampf zum Aufblasen

Foto: Copyriot/Flickr (CC BY 2.0)

"Bereits die PDS hatte im Osten den Ruf, eine Kümmererpartei zu sein. Nicht nur die großen Veränderungen anzustreben, sondern auch einen Blick und ein offenes Ohr für die alltäglichen Sorgen der Menschen zu haben: So stelle ich mir linke Politik vor." Dies schrieb Michael Leutert, Bundestagsabgeordneter der LINKEN aus Chemnitz, am 11.10.2016 auf seiner Homepage. Nach der Bundestagswahl, Leutert behauptete trotz des Erdrutschsiegs der Blauen in Sachsen mit einem Stimmenanteil von 19,4 Prozent sein Mandat, fand er im Presse-Interview folgende Erklärung: Das gute Abschneiden der "Alternative für Deutschland" beruhe auf einer weit verbreiteten Unsicherheit angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt, aber auch auf sozialer Unsicherheit "bis weit in die Mittelschicht hinein". Mit den "Mitteln von vorvorgestern" seien diese Probleme allerdings nicht zu lösen.

Brav gesprochen. Doch wie soll es nach dem 24. September 2017 denn nun konkret weiter gehen? Mit welchen Mitteln holt man die "kleinen Leute" von den Rechtspopulisten zur angestammten "Kleineleutepartei" DIE LINKE zurück? Gegen die AfD eine "echte solidarische Alternative" in "Wort und Tat" aufzubauen, galt vor dem Bundes-Wahldebakel innerhalb der LINKEN bereits als ausgemachte Erfolgsstrategie. Man habe "nicht nur ein soziales Programm, sondern auch eine Vielzahl an Verbindungen zu außerparlamentarischen Initiativen und betrieblichen Kämpfen vorzuweisen". Indem DIE LINKE in Streiks, Kampagnen und Auseinandersetzungen aktiv sei und den Beteiligten den Rücken stärke, hieß es auf der Webseite der Partei vor einem Jahr noch selbstgewiss, stärke sie die Perspektiven zur Lösung sozialer Probleme und entziehe rassistischen Deutungs- und Handlungsangeboten den Boden. Mit der Ausbildung von 10.000 "Stammtischkämpfer/innen" wollte man Menschen befähigen, rechten Parolen entgegnen zu können und "eine neue gesellschaftliche rote Linie ziehen und so die Alternative für Deutschland zurückdrängen".

Doch die sich überschneidenden Zielgruppen von LINKE und AfD, die "Armen und diejenigen, die Angst haben, arm zu werden", sind, wie DIE ZEIT bemerkt, dem Argument der Rechten gefolgt. Der Schutz vor Migranten erschien offenbar plausibler als die Forderung nach Solidarität und besseren Sozialleistungen für alle. Da kommen Gespenster aus der Vergangenheit wieder zum Vorschein. "Rassenkampf statt Klassenkampf" hieß in den ersten kraftstrotzenden Jahren der Nazidiktatur die Parole vieler Arbeiter und Intellektueller, die aus Opportunismus oder unter Druck zum Faschismus umschwenkten. Und man sollte nur nicht glauben, dass die Furcht vor "(geburten-)starken Rassen" im Sinne Oswald Spenglers aus dem kollektiven Unterbewusstsein getilgt sei. Der Satz, die Schwarzen schnaxelten halt gerne, den wir der plappermäuligen Frau von Turn und Taxis verdanken, ist in breiten Wählerschichten durchaus als mehrheitsfähig anzusehen; wie übrigens auch der Fürstin aktuell geäußerte Befürchtung, dass "Überbetreuung" mit Speis' und Trank (Schulessen? Wohnheimverpflegung?) geradewegs in die "Wohlstandsdiktatur" führe. Taugt die "echte solidarische Alternative" vor diesem Hintergrund also überhaupt als Alternative zur "Alternative für Deutschland"? Oder gehört sie am Ende bereits zu den"Mitteln von vorvorgestern", die das Chemnitzer MdB Michael Leutert ablehnt?

Unter den Großkopferten der LINKEN ist um das sensible Flüchtlingsthema gleich nach dem blauen Wahlsonntag im September ein innerparteilicher Streit entbrannt. Denn für die massenhafte Abkehr der einfachen Leute von der einst stärksten Protestpartei im Osten machen viele deren kompromisslose Refugees-Welcome-Aktionen verantwortlich. Von "Lasten der Zuwanderung" spricht nun ganz unumwunden Oskar Lafontaine und überreizt damit rigoros die verschämtesten Tabuzonen linken Gutmenschentums: Verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsegment, explodierende Mieten in den bis jetzt noch preiswerteren Vierteln der Städte sowie wachsende Schwierigkeiten mit schwer traumatisierten Migrantenkindern ohne Sprachkenntnisse in unseren an Lehrkräftemangel leidenden Schulen. All dieses dürfe man nicht zuerst denjenigen aufbürden, die ohnehin bereits zu den Verlierern einer hinsichtlich des Wohlstandsniveaus und der individuellen Lebenschancen vehement auseinander driftenden Gesellschaft zählten.

Gegen einen Verrat an "unserem sozialen und humanistischen Ansatz" wetterte dagegen Gregor Gysi im "Neuen Deutschland". Links sei an der Seite der Schwachen. Doch wohin sehen und wohin gehen, wenn der "Riss durch die Gesellschaft" das Volk nicht nur in Arm und Reich, sondern auch das Heer der Benachteiligten nochmals in ein linkes wie ein rechtes Lager teilt, die sich mit Unverständnis, ja mit unversöhnlichem Hass gegenüber stehen? Und wird "soziale Gerechtigkeit" nicht zur wohlfeilen Phrase, wenn man auszublenden versucht, dass sozialstaatliche Instrumentarien am Ausmaß des weltweiten Elends nun mal wenig ändern können und die "Bekämpfung der Fluchtursachen" erst recht eine Jahrhundertaufgabe mit Sisyphoscharakter ist?

Einzig verbindendes Element zwischen den Wohlstandsverlierern beider Seiten scheint die Kümmerer-Strategie zu sein, die sich bei Rechten wie bei Linken nicht erst seit heute großer Beliebtheit erfreut, aber auch wechselseitig verunglimpft wird; seitens der politisch Etablierten als perfide Masche rechter Splittergruppen und Kleinparteien oder - seitens ebensolcher, dann allerdings linker Splittergruppen - als "trostloses Angebot" staatsfromm-gemäßigter Salonrevolutionäre.

Bei der LINKEN gewinnen das Kümmerertum und volksnahe Bespaßen mit Hüpfburg und Kinderschminken als Ausdruck des Bemühens um Volkes Stimmung und Volkes Stimmen nach dem AfD-Schock im Osten offensichtlich weitere Befürworter, zeigt doch der Kreisverband Wiesbaden am lebendigen Beispiel, wie aus Hüpfburgen Hochburgen werden können. Daher lautet eine Empfehlung aus dem hessischen Landesvorstand der LINKEN, im bevorstehenden Landtagswahlkampf lieber vermehrt mit dem aufblasbaren Spielgerät über die Dörfer zu ziehen und dafür weniger kleine Anfragen in den Landtagssitzungen einzubringen.

Szenenwechsel. Kreismitgliederversammlung der Partei DIE LINKE im Vogelsbergstädtchen Alsfeld (Hessen). Nach der Wahl ist vor der Wahl. Im Herbst 2018 steht die Landtagswahl an. Da will man gut vorbereitet sein. Im Wahljahr 2013 kam man knapp über die Fünfprozenthürde, verlor gegenüber 2009 0,2 Prozent. Im Kreistag hat man gerade mal zwei Sitze. Doch nach Stimmengewinnen bei der Kommunalwahl 2016 (plus 0,8 Prozent) und der Bundestagswahl im September ( plus 2,1 Prozent in Hessen und plus 0,6 bundesweit) fühlt man sich im Aufwind. Weiterer Anlass für das Stimmungshoch: Die Eintritte junger Menschen nehmen deutlich zu.

Wesentlich besser besucht als gewöhnlich ist auch die Mitgliederversammlung, die über die "Landespolitischen Eckpunkte" für 2018 beraten soll, die der Landesvorstand zur Diskussion stellt. Erstaunlich differenziert verläuft der Meinungsaustausch zu Themen wie "Armutsbekämpfung", "Bildungsgerechtigkeit", "bezahlbares Wohnen", "sozial gerechte Steuerung der Digitalisierung", "sozialökologischer Umbau", "gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land", "mehr Lebensqualität durch öffentliche Gesundheitsversorgung und Förderung der sozialen Infrastruktur" u.v.a.m. Schwammige Formulierungen im vorgelegten Entwurf lässt man nicht durchgehen. Sachlich wie stilistisch wird manches auf den Punkt gebracht, Bekenntnis-Lyrik und rein Deklamatorisches werden herausgestrichen. Der Passus "gegen jegliche Abschiebungen und für ein Bleiberecht für alle" fällt durch. Denn: "Auch auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention und eines erweiterten Grundrechts auf Asyl wird es Abschiebungsgründe geben" (O-Ton Änderungsantrag). Die Forderung nach Inklusion wird - zumindest was die Umsetzung in Schulen und anderen Institutionen betrifft - an eine ausreichende Finanz- und Personalausstattung geknüpft. Zum Thema "bezahlbares Wohnen" gibt es einen Vorschlag, das Modell einer staatlich bezuschussten Mietkosten-Ausfallversicherung zu entwickeln, damit in Not Geratene nicht obdachlos werden können. Auch bei extremen Mieterhöhungen/Kündigungen nach Luxussanierung etc. soll die Versicherung eintreten und - bei Verstößen gegen die Mietpreisbremse - den ihr entstandenen Schaden beim Mietwucherer einklagen können.

Als noch zahlreiche Anregungen zur Entwicklung von Kümmerer-Projekten im Vorfeld des Landtagswahlkampfs eingebracht werden, u.a. die Gründung eines Seniorenrates unter dem Motto "Bürger werden Experten - Bürger machen sich schlau", muss sich die Mitgliederversammlung vertagen. Aber ein Eindruck verfestigt sich am Ende der Sitzung: Auch kleine Parteien, die in einzelnen Bundesländern vielleicht zu ewiger Opposition verdammt sind, müssen nicht resignieren. Denn sie haben auch so gute Chancen, als Helfer- oder Kümmerer in der Kommune ein stabiles Wählerpotenzial um sich zu scharen. Parteiarbeit und zivilgesellschaftliches Engagement sind unter dem Vorzeichen der Bürgerbeteiligung keine Gegensätze. Die Parteisatzungen erlauben in aller Regel die Gründung innerparteilicher Gruppen bzw. die Verwirklichung von sozialen Projekten unter dem Dach einer Partei.

Gegen die Parteienverdrossenheit ist ein Kraut gewachsen und über die Zukunft der Parteiendemokratie die letzte Messe noch lange nicht gelesen. Bleiben wir hoffnungsvoll und neugierig. Und kümmern wir uns.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Mullstaaman

Der Mensch ist gut. Nur die Leute sind schlecht.

Mullstaaman

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden