Als sich im März vorigen Jahres knapp die Hälfte der türkischen Zivilgesellschaft in einem Referendum gegen die Einführung eines Präsidialsystems autoritären Zuschnitts zu stemmen versuchte, unterlagen diejenigen, die für eine liberalere und vielfältigere Gesellschaft stimmten.
Einer der sich seit Jahrzehnten unermüdlich für eine solche Zivilgesellschaft in der Türkei einsetzt, sitzt nun seit mehr als 100 Tagen im Gefängnis: der Optimist Osman Kavala.
Zwei Wochen vor jenem Referendum fuhren mein Kollege Georg Diez und ich nach Istanbul, um dort drei Tage lang 30 Schriftstellern, Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern im Cezayir zuzuhören – dem Ort, den Osman Kavalas Stiftung Anadolu Kültür seit Jahren Denkern, Kulturschaffenden und Akteuren der türkischen Zivilgesellschaft aus unterschiedlichsten Milieus zur Verfügung stellt.
Wir haben uns Zeit genommen, um die Autoren zu finden, die Geschichten schreiben, die von Widersprüchen und Aufbrüchen in ihrem Land erzählen, wie das für pluralistische Gesellschaften selbstverständlich ist. Und vielleicht ist die Zusammensetzung der Gruppe auch so, wie sich unser Gastgeber und Partner Osman Kavala, eine offene und freie Zivilgesellschaft vorstellt: Frauen und Männer zu gleichberechtigten Teilen, hetero- oder homosexuell, unterschiedlicher ethnischer und religiöser Abstammung oder nicht-gläubiger Überzeugung, aus dem Osten, der Mitte und dem Westen der Türkei, urbaner und ländlicher Herkunft – und alle in einem Raum mit einer je eigenen Geschichte.
Der heute 60-jährige Unternehmer und Philanthrop Osman Kavala verwendet seit über zwanzig Jahren sein Vermögen, seine Netzwerke und seine Zeit, um sich für gesellschaftliche Teilhabe, zivilgesellschaftliche Entwicklung und Aussöhnung im Inneren und Äußeren der Türkei einzusetzen. Manche nennen ihn den guten Kapitalisten, so, als folge er dem Credo sozialer Marktwirtschaft, dass Eigentum verpflichte. Vielleicht ist er aber einfach nur ein guter Mensch.
Was aber in freien Gesellschaften erwünscht ist und zum Zwecke des internationalen Austauschs untereinander gefördert wird, markieren illiberale, autoritäre Staaten als bedrohlich und kann daher jederzeit politisch vereinnahmt werden. Es ist dieses Muster, das sie gerne bemühen: ausländische Organisationen mischen sich in inländische Belange ein, um Einfluss auszuüben; inländische Akteure kollaborieren mit äußeren Mächten, um im Inneren Chaos zu stiften. Es ist das Freund-Feind-Schema, das wir aus sich zunehmend kontrahierenden, zersetzenden Gesellschaften wie der Türkei aber auch andernorts leider eindrücklich erfahren.
So diskutierten auch wir in der angespannten Stimmung vor dem Referendum, ob es für alle Beteiligten nicht sicherer wäre, den Workshop auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Osman Kavala war dagegen – seit Jahrzehnten initiiert und ermöglicht der erfahrene Philanthrop Projekte entlang politischer Konfliktlinien –, er ist beharrlich und weiß um die Kraft der Stetigkeit, auch und gerade im Kleinen. Im Konkreten liegt die Wirksamkeit. Und die Summe des Kleinen und seinen Widersprüchen ergibt im Widerstreit das lebendige Große. So funktionieren Demokratien.
Wir waren froh. Ein Verschieben oder gar die Absage an die Autoren, wäre ein kleines Stück mehr Isolation der Türkei von der Außenwelt, ein kleines Stück weniger Impulse für das Innenleben einer Zivilgesellschaft, die so viele mutige, kluge und beherzte Köpfe hat. Was das ausmacht, wenn 30 Autoren stattdessen verzweifelt Risse gegen Repression, Angst und Gleichschaltung suchen? Viel, denn Demokratie funktioniert nicht ohne solche Freiräume, seien sie auch noch so klein.
Doch nun sitzt Osman Kavala im Gefängnis. Nicht wegen des Workshops, sondern wegen absurder Vorwürfe: er habe die Gezi-Proteste organisiert und finanziert, gar mit den Putschisten kollaboriert und so den Aufruhr gegen den Staat organisiert.
Wer Kavalas Arbeit verfolgt, der weiß, das ihm der Aufruhr fernliegt. Wer ihn trifft, macht die heute seltene Erfahrung, wie es ist, wenn jemand einem wirklich zuhört. Wer mit ihm arbeitet, erfährt, wie viel ihm der Respekt vor dem Einzelnen und besonders dem Schwachen bedeutet. Osman Kavala glaubt wegen der Unterschiedlichkeit der Menschen an die Kraft der Kultur, die zivilisierende Wirkung der Friedfertigkeit und den menschlichen Willen der Versöhnung.
Auf der für ihn eingerichteten Webseite osmankavala.org teilt er mit, dass er dankbar sei, dass seine Stiftung und die angegliederten Orte und Projekt weitergehen. Auch unser Autorenprojekt geht weiter – und dafür danken wir Osman Kavala. Im Gefängnis, so schreibt er, denke er nach, was er in der Zeit danach zur Zivilgesellschaft beitragen kann. Der Beharrliche bleibt Optimist.
Jemanden wie Osman Kavala hinter Gitter zu bringen, ist wie die Demokratie selbst einzusperren. Wir dürfen nicht zusehen, wie das passiert. Auch und gerade von hier aus nicht. Es sind Menschen wie er, die der Demokratie jeden Tag aufs Neue neues Leben geben.
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