Drachenlord revisited

Onlinemobbing Wie ein Medienprofi, Presseausweisbesitzer und öffentlich-rechtlicher Journalist mehr schadet als er der Sache nutzt

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Kennen Sie den "Drachenlord"? Müssen Sie auch nicht - erst recht nicht, wenn Sie mit Ihrem Leben noch etwas anderes anfangen können, als sich in den wirklich schlammigen und dunklen Untiefen des Internets herumzutreiben. Der "Drachenlord" ist ein Mann von etwa 27 Jahren aus einem fränkischen Dorf, der sich eine bemerkenswerte Existenz auf YouTube aufgebaut hat - ganz einfach, in dem er sein Leben und sein Wesen unreflektiert und ungefiltert 1 zu 1 ins Netz stellt.

Dies ist weder neu noch irgendwie originell – aus der Masse heraus ragt der junge Mann allerdings dadurch, dass er ein nicht nur ein markantes Äußeres hat, sondern auch seine sexuellen Phantasien und Ansichten sehr freizügig mit der Community teilt. Dies hat binnen fünf Jahren Onlineaktivität eine unüberschaubar riesige Gemeinde aus sogenannten "Hatern" anwachsen lassen, die neben sehr wenigen echten Fans den allergrößten Teil der mittlerweile 70.000 YouTube-Abonennten des "Drachenlords" stellen. Diese tauschen sich in einem vieltausendseitigen Forum aus, es gibt einen eigenen Blog der die Ereignisse im Leben des "Drachenlords" täglich und mit bemerkenswertem journalistischen Fleiß begleitet und unzählige, meist harmlose Abwandlungen des "Drachencontent" in Memes, Parodievideos und Liedern. Wie viele Menschen zu dieser engen und erweiterten Community gehören lässt sich nicht ermessen - es könnten Zehntausende sein.

Traut Euch, kommt zu mir

Der "Drachenlord" hat neben unzähligen teils mehr, teils weniger lustigen Geschichten aus seinem Alltag mehrere entscheidende Fehler in seiner Onlinekarriere gemacht, die ihm auch das reale Leben immer mehr erschweren. Denn er hat in einem Wutvideo nicht nur seine vollständige Adresse genannt - er hat auch seinen "Hatern" angeboten zu ihm zu kommen und sich Prügel abzuholen. Auch versuchte der "Drachenlord", der neben seiner eher zweifelhaften YouTube-Karriere und Online-Streams keine weiteren Einnahmen erzielt, seine Haushaltskasse durch einen Posterverkauf auf seinem fränkischen Hof aufzubessern, der neben einigen Stallungen und eigentlich idyllischer Lage einen deutlichen Zustand der Baufälligkeit und der Verwahrlosung zeigt.

Aufgewachsen in zerrütteten Familienverhältnissen ist er der vermutliche Alleinerbe und alleinige Bewohner des ehemaligen fränkischen Bauernhauses mit angeschlossener Werkstatt und Scheune, das mittlerweile an Wochenenden von dutzenden Menschen aufgesucht wird, die einen Blick auf den "Drachenlord", seine "Drachenschanze" genannte Behausung und die Umgebung des Dorfs erhaschen wollen. Leider nehmen sie dabei auf nichts Rücksicht: Der Hof wird beschmiert, beworfen, bepöbelt. Dem "Drachenlord" und seinen Nachbarn wird aufgelauert, ihre Grundstücke werden beschädigt, im nahen Wald werden die Bäume beschmiert, das ganze Dorf und auch die Nachbargemeinden leiden unter den Zuständen. So gerät die an sich verschlafene Region nach und nach in einen völligen Zustand des Wahnsinns, der von "Swatting" beim Drachenlord bis zu Drohnenflügen über den Liegenschaften reicht.

Don't feed the Troll: Sieht man bei der ARD anders

All dies hat, nach zahlreichen Polizeieinsätzen, mittlerweile auch Gerichtsurteilen und allgemeinem öffentlichen Ärgernis in der Gemeinde und darüber hinaus nun dazu gereicht, einen Reporter des hippen und gleichwohl durchaus potent finanzierten, dem öffentlich-rechtlichen funk-Netzwerk zuzurechnenden "Y-Kollektivs" auf den "Drachenlord" aufmerksam zu machen. Der Reporter, Dennis Leiffels, agiert dabei jedoch nicht mit professioneller Distanz, sondern aus dem eigenen Motiv heraus "in der Schule gemobbt worden zu sein" und versucht sich daher am Phänomen "Drachenlord" mit einer vorgeblich objektiven Reportage. Dabei macht er jedoch so ziemlich jeden Fehler, der sich im Umgang mit Onlinetrollen und Mobbern nur erdenken lässt. Leiffels' Dokumentation "Rabiat: Hass ist ihr Hobby" wurde am 4. Juni 2018 in der ARD ausgestrahlt und ist sowohl in der ARD-Mediathek als auch bei YouTube verfügbar.

Mehr Hater anlocken mit öffentlich-rechtlicher Sendezeit

Dennis Leiffels, selbsternannter Gonzojournalist und in streng aktionistisch nahezu jenckischer Experementierlaune, sucht den direkten Kontakt zu seinem Reportagesubjekt und stiefelt durch das Dorf des Drachen - natürlich nicht, ohne allseitig sowohl den Hof als auch die Nachbarhäuser seines Sujets abzufilmen, den Dorfnamen zu nennen und eine Lagebeschreibung abzugeben. Zusätzlich stellt er sich auf den Friedhof des Ortes auf dem der Vater des Drachenlords begraben liegt, filmt das Grab und erklärt dazu, dass hier schon Grabschändungen vorgenommen wurden die er auch prompt in einem Einspieler zeigt. Dazu werden in einem fröhlichen Videopotpourri die peinlichsten und seltsamsten Äußerungen des Drachenlords noch einmal genüsslich ausgebreitet.

Soll eine solche Berichterstattung dem "Drachenlord" helfen oder soll sie ihn nur noch weiter blosstellen? Leiffels bleibt diese Antwort schuldig - darüber hinaus findet er trotz demonstrativ vorgehaltenem Presseausweis kaum Interviewpartner bis auf einige nicht minder seltsame Nachbarn aus dem Dorf. Er hält auf offener Straße "Hater" an und fragt sie, was sie nun im Dorf zu tun gedenken - immer mit erhobenem Zeigefinger. Er fragt bei der Kirche an, den Gemeindebehörden, der Polizei - überall kein Kommentar. Die beste Antwort, die Leiffels sich als Medienprofi auch selbst geben könnte, gibt der Ortsbürgermeister, den der Journalist in einer blasmusikbeschallten Überfallkonfrontation zu befragen versucht: "Der beste Weg ist einfach, dies nicht unnötig zu thematisieren."

Keine Journalistische Distanz und Verantwortung

Es ist sicherlich keine schlechte Idee, dem Phänomen Online-Mobbing und insbesondere dem Medienphänomen "Drachenlord" journalistisch zu begegnen - nur sollte dies auf eine verantwortliche Weise und nicht im von Leiffels betriebenen Stil geschehen. Denn in seiner einseitgen Festlegung "Drachenlord=Opfer" und der pauschalen Abqualifizierung der interessierten Community als potentiell rechtsradikale, hassende anonyme Masse zeigt Leiffels nur, dass er einen wichtigen Teil des sogenannten "Drachengames" überhaupt nicht verstanden hat.

Denn der "Drachenlord" selbst ist es, der durch immer neue Aktionen und Aussagen sein eigenes Trolling am Leben erhält. Er tut es, weil er es aufgrund seines Horizonts als ehemaliger Sonderschüler und möglicher psychischer Probleme das Ausmaß und die Folgen seiner Handlungen nicht versteht – und auch, weil er keine andere Perspektive in seinem Leben hat. Sein zweifellos vorhandener, großer narzisstischer Komplex bringt ihn dazu, sich wieder und wieder vor die Kamera zu stellen und zu entblößen - mit allen schwerwiegenden Folgen. Sicherlich braucht er Hilfe - aber nicht die von Dennis Leiffels.

Der amorphe rechtslastiger Haufen

Der Community, die anders als Leiffels versucht zu suggerieren nicht nur aus protofaschistoiden Hassbolzen besteht, verfolgt dies in der Mehrheit seit Jahren mit Fassungslosigkeit. Hier findet etwas statt, das sich jenseits aller Steuerung und Kontrolle zu einem genuin neuen Medienphänomen entwickelt hat - ohne kommerzielle Interessen, ohne Ziel, ohne Regeln aber mit einer eigenen Sprache und eigenen Ritualen die von außen kaum verständlich sind.

Zweifellos ein Faszinosum - aber eines, das im Interesse des "Drachenlords" selbst besser heute als morgen beendet werden sollte. Dies schreiben Mitglieder der Community auch immer wieder selbst, jenseits allen vermeintlichen Hasses, und "Besuchsaktionen" am Grab des Vaters, wie sie Dennis Leiffels vorführt, gelten als klares Tabu. Nur ein kleiner, radikaler Teil dieser amorphen und keinesfalls zentral gesteuerten Masse fällt durch widerwärtige Aktionen auf - diese werden aber keinesfalls pauschal gutgeheißen.

Das eigentliche Thema: Das Versagen der öffentlichen Sozial- und Kontrollinstanzen

Schließlich ist auch das multiple Behördenversagen der Stadt, der Sozialbehörden und des Bundeslandes Bayern einer der wesentlich Treiber dieses Medienhypes ohne Medien – bis auf Strafverfolgungsmaßnahmen fällt den Behörden nichts ein. Die Polizei vor Ort, jeden Tag Stammgast vor dem Hof des Drachenlords, muss versuchen mit ihrer dörflichen Minimalbesetzung die Ordnung aufrecht zu erhalten. Hier braucht ein Mensch Hilfe, auch im Interesse der öffentlichen Ordnung und seiner Familie und seiner Wohnung, deren Schutz vor Unversehrtheit immerhin Verfassungsrang hat.

Warum in einer derart überregulierten und überfürsorglichen Gesellschaft wie der unsrigen nicht nur ein Mensch, sondern ein ganzes Dorf mehr oder weniger der Gesetz- und Regellosigkeit preisgegeben wird - all dies bedauert Dennis Leiffels zwar, er befriedigt jedoch vor allem sein pseudojournalistisches Ego und seine persönlichen Betroffenheitsgefühle - seien sie nun gestellt oder echt. Mit feuchten Augen über den eigens provozierten Mobbingselbstversuch berichten ist keine Lösung des Problems - es ist das Problem des pseudomodernen "Gonzojournalismus" selbst.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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