Wagen ohne Volk, Konzern ohne Moral

Volkswagen Wie Volkswagen alles verliert - Kunden, Ethik und die Zukunft der Marke

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Der Golf II
Der Golf II

Foto: Mic/Flickr (CC 2.0)

1983

Während die Welt haarscharf am Atomkrieg vorbeischrammt, Kohl Kanzler wird und ich geboren werde, läuft vom Band der neuerrichteten Halle 54 in Wolfsburg der neue Golf. Ein Technologieträger, nachhaltig gebaut, rostgeschützt, mit haltbaren und verbrauchsgünstigen Motoren. Diese Motoren, gebaut auf Basis der ehemaligen Audi-Entwicklung EA 827, retteten in Golf, Passat und Scirocco den ganzen VW-Konzern in die 70er Jahre.

Der Golf II, wie er später heißen sollte, war für seine Zeit unerhört fortschrittlich. Nahezu vollständig von Robotern hergestellt, reparaturfreundlich. Gebaut, um lange zu halten und während dieser Zeit wenig zu kosten. Er wird in seiner Klasse zum Maßstab, lässt alle anderen Autos weit hinter sich. Andere Autos mögen schnittiger sein, schöner sein, schicker sein - der Golf 2 erträgt dies gelassen und in dem Bewusstsein, seine Konkurrenten wie Ford Escort, Opel Kadett und Fiat Ritmo (!) noch lange Jahre zu überleben und tausendfach ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu wandern.

1993

Auftritt des Enkels des großen Ferdinand Porsche selig, des gleichgetauften Piëch, der den "Sparwahnsinnigen" José Ignacio Lopez ins Boot holte. Dieser ruinierte den Ruf VWs nachhaltig durch kompromisslos bis erpresserisch billigen Teileeinkauf. Der Golf III, nur halb unter seiner Ägide entstanden, verlor schon deutlich vom Nimbus des Vorgängers - der Golf IV ruinierte mit billigsten Teilen unter einem scheinbar makellosen Engspaltmaßkleid endgültig den Ruf von der sprichwörtlichen Zuverlässigkeit des "Volkswagens" - bei kräftig steigenden Preisen.

Piëch selbst erwirbt sich den Ruf, nicht nur einer der kompromisslosesten, sondern auch der verschrobensten Topmanager Deutschlands zu sein. So kommt es zu einer ernsthaften, gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Wirtschaftswoche um die Frage, ob seine Krawatte nun Jagd- oder Kriegsmotive gezeigt habe - laut Piëch habe es sich um "Kriegsmotive" gehandelt, wie auch das Landgericht Düsseldorf abschließend feststellte.

2005

VW kommt wieder in die Schlagzeilen - aber nicht mit seinem neuen Golfmodell V, sondern mit den Affären seines Betriebsrats. Auf Firmenkosten in den Puff - systematische Korruption über Jahre hinweg, unsanktioniert. Nicht nur Betriebsratchef Klaus Volkert fällt, auch Peter Hartz, Personalvorstand bei Volkswagen und Impresario der gleichnamigen, ebenfalls verkorksten, Arbeitsmarktreform. Dem Aufsichtsrat markiert mimt erneut das Bild der drei Affen (wird später nocht wichtig!) - Volkert und Hartz müssen gehen. Der damalige VW-Chef Pitschetsrieder wird ein Jahr später geschasst - er hatte wichtige Entscheidungen des Übervaters Piëch revidiert. So wäre wohl zu erklären, warum der Golf V deutlich weniger Qualitätsprobleme als der Golf IV hatte und zumindest in Ansätzen wieder Vertrauen in die Marke schuf.

Nach der Verbannung des in Ungnade gefallenen Pitschetsrieder übernimmt Martin Winterkorn das VW-Steuer: Ein Mannsbild, so recht nach dem Vorbild der großen Ferdinands geschnitzt. Einer, für den das Wort "Silberrücken" quasi erfunden wurde - und der bei seinen Entscheidungen, ganz ähnlich Vorvätern, keine Gefangenen macht, keine Kompromisse eingeht und, exemplarisch sei das Geschäftsjahr 2011 genannt, über 17 Millionen Euro im Jahr verdient. Diese hat er sich mehr als verdient: Als Leiter der "Konzern-Qualitässicherung" hatte er ab 1993 das Golf IV-Qualitätsdesaster in vorderster Reihe mit zu verantworten.

November 2006

Ein kleiner Kreis von VW-Mitarbeitern kommt zu dem Schluss, dass die neue Euro-5-Abgasnorm nicht mit dem neuen, konzernweit geplanten Motor EA 189 zu schaffen ist - gleiches gilt für die US-Norm Tier 2 Bin 5, die noch erheblich strengere Grenzwerte für Stickoxide vorsieht. Der gemeinschaftlich mit den Führungskräften der VW-Abgastechnik gefasste Beschluss sieht einen vorsätzlichen Betrug vor - die sattsam bekannte Softwaremanipulation zur Simulation von Prüfstandszuständen wird konzernweit eingebaut - die Bänder der Motorenfertigung für den EA 189 laufen an.

Was wusste Winterkorn? Wahrscheinlich mehr, als er jemals zuzugeben bereit wäre - aber das ist Spekulation. Fakt ist jedoch, dass der Manager mit einem Ruf wie Blitz und Donnerhall schnell und konzernweit ein ähnliches Schreckensregime etabliert hat wie Piëch: Rücksichtslos putzt er verdiente Entwicklungsingenieure vor versammelter Mannschaft runter, droht, beleidigt, setzt unter Druck und trifft drakonische Managemententscheidungen. Wer möchte da zugeben, dass er etwas nicht schafft, was nicht zu schaffen ist? Eben.

2015

Die Katze ist aus dem Sack. VW hat betrogen. Winterkorn lamentiert, er habe es natürlich erst wenige Tage vorher erfahren, ist hochempört und tritt dann - gottseidank - zurück. VW, der einzige halböffentliche Autokonzern der Welt - ein Ministerpräsident sitzt mit im Aufsichtsrat - hat alles Vertrauen verspielt. Der hochgezüchtete EA 189, durch immer schwerere Karossen zu immer höherer Leistungsabgabe gezwungen, konnte die Quadratur des Kreises nie leisten: Trotz immer höherer Leistung niedrigere Verbrauchswerte und beste Schadstoffwerte einzuhalten.

Winterkorn wird ersetzt durch Matthias Müller, seit 2007 "Generalbevollmächtigter" Winterkorns und leitender Produktmanager des Konzerns. Ob und was und wie er irgendetwas gewußt hat, bleibt im Dunkeln. Um ihn herum werden reihenweise Manager und Bauernopfer aus dem Konzern entfernt - die öffentliche Meinung wendet sich klar gegen VW. Für die vom vorsätzlichen Betrug betroffenen, mehrere Millionen EA 189-Motoren werden überhastet Softwareupdates beschlossen.

2016

Mit Anlaufen der Softwareupdates, gestaffelt nach Modell und Hubraumgröße, kommen die ersten Zweifel an der Bewältigungsstrategie des Konzerns auf: So sehen die Softwareupdates neben einem nicht unerheblichen Mehrverbrauch und damit zusätzlichem CO2-Ausstoß auch eine Verdoppelung der Einspritzvorgänge vor. Gleichzeitig werden die Ventile der Abgasrückführung (AGR) häufiger angesteuert und der Partikelfilter häufiger regeneriert - alles Maßnahmen, die nach Ansicht von Experten die Lebensdauer des Motors deutlich herabsetzen. In der Praxis treten die ersten Fehler mit versotteten AGR-Ventilen auf, deren Austausch sich VW mit um die 1.000 Euro vergolden lässt und sich bei Kulanzanträgen gewohnt widerborstig zeigt.

Einen Zusammenhang mit der Behebungsmaßnahme zur Beseitigung des vorsätzlichen Betrugs streitet der Konzern rundweg ab –und begeht damit den nächsten Betrug.

Denn die Softwareupdates schaffen nicht nur Probleme mit der Haltbarkeit der Motoren zulasten des Fahrzeugsbesitzers und zugunsten Volkswagens - sie sind auch, verschiedenen Gutachten zufolge, nicht ausreichend wirksam um die strengen EU-Luftreinhalterichtlinien zu erfüllen. Gefordert wird einhellig eine Hardwarenachrüstung mit SCR-Katalysatoren - laut VW unmöglich, von zahlreichen Zulieferern binnen weniger Wochen mit Teilen aus dem VW-Regal (!) realisiert. Volkswagen spielt auf Zeit und setzt auf seinen größten Verbündeten - das Kanzleramt.

2017

Im August besteigen Volkswagen, weiter Hersteller, Verkehrsminister Alexander Dobrindt, Angela Merkel und weitere Granden des Verbraucherschutzes und der Ehrlichkeit den Dieselgipfel. Mit im Gepäck: Bundesumweltministerin Hendricks, klare Befürworterin einer Hardwarelösung. Das Ergebnis ist erwartbar: Die Softwareupdates reichen aus, es gibt keinen weiteren Bedarf, Hendricks muckt noch kurz und schweigt dann.

Millionen von Verbrauchern dürfen nun damit rechnen, dass wenn sie sich weigern, ein ihr Fahrzeug nachweislich beschädigendes Update zu installieren, mit einer Fahrzeugstillegung zu rechnen haben. Die Bundesregierung kehrt den Folgebetrug am Kunden damit nicht nur unter den Tisch - sie betreibt aktive Beihilfe.

2018

Im Januar 2018 wird bekannt, dass Volkswagen mindestens im Jahr 2013, wahrscheinlich aber auch davor und danach in den USA Versuche mit Abgasen an Menschen und Menschenaffen durchgeführt hat. Mitverantwortlich ein führender "Entwickler" der Betrugssoftware für den EA 189, James Liang, inzwischen in Haft. Wieder die Doppelstrategie: Konzernchef Matthias Müller weiß von nichts, um ihn herum rollen die Köpfe. Eine Konzernführung, deren Urahn im 2. Weltkrieg 15.000 Zwangsarbeiter auch aus Konzentrationslagern beschäftigte, wäscht erneut ihre Hände in Unschuld - und es geht um Gasversuche.

Epilog

Der Golf II von 1983 blickt traurig aus seinen runden H4-Scheinwerfern auf das, was von seinem Werk übrig geblieben ist. Er, der letzte Volkswagen im Sinne des Wortes, hat viele seiner Ahnen bereits überlebt, die durch das Gespann Piech-Lopez-Winterkorn-Müller nicht mit seiner robusten Gesundheit und konstruktiven Nachhaltigkeit gesegnet waren. Zu seinen Zeiten war kein Betrug nötig, um ein gutes Auto zu bauen: Niedriger Verbrauch kam durch niedriges Gewicht, die Abgaswerte waren zumindest nach der flächendeckenden Einführung von G-Kats akzeptabel.

Der Grundstein des Vertrauens in einen vernunftbegabten Autohersteller, den VW mit seinen Modellen Käfer und Golf II für zwei Generationen legte, ist verschwunden - aufgelöst in einem Säurebad aus imperialem Männlichkeitsherrscherdenken, systematischem Betrug und einer mehr als deutlichen, unheilvollen Allianz zwischen Bundesregierung und Automobilindustrie nach der Prämisse "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing."

Denn stabile Verbindungen zur herrschenden Klasse werden bei VW seit jeher geschätzt - auch Porsche Senior hatte schließlich auch einen kurzen Draht zur damaligen Regierung - und die war Piech und Winterkorns Herrschaftspraxis in vielem ein Vorbild und mindestens ebenbürtig.

Wir haben doch nichts gewußt - oder?

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