Faschismus in Kroatien

Stipe Mesic , kroatischer Präsident von 2000-2010 und letzter Präsident der SFR Jugoslawien hat einen aufgewühlten Text über die Faschisierung im heutigen Kroatien geschrieben.

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Der Beitrag wurde bei novolist.hr. veröffentlicht. Eine vollständige Übersetzung habe ich in deutschsprachigen Medien noch nicht gefunden. Der ganze Text ist zu lang für meine z.V. stehende Zeit, von daher die wesentlichen Passagen:

>> Wir müssen die Gefahr der Faschisierung erkennen, die sich in Kroatien entwickelt und wir müssen uns ihr entgegenstellen. Wir müssen sagen: Es ist genug, so geht es nicht weiter – wegen der gefallenen Kämpfer des antifaschistischen Widerstandes, wegen der Opfer des Faschismus, wegen uns, die heute leben und wegen derer, die nach uns kommen. Die Nachkommenden verdienen Besseres als das was ihnen geboten wird.

Der Trend mit dem Nazi-Faschismus zu kokettieren, ist seit den ersten Tagen des unabhängigen Kroatiens mit einem dünnen und gleichzeitig durchsichtigem Schleier der Relativierung des kriminellen Charakters der Ustascha und seinem Para-Staat bedeckt….

Der Faktor der Homogenisierung wurde in dem ursprünglichen Faschismus gefunden. Er wurde in der nationalen und religiösen Intoleranz, in der nationalen Engstirnigkeit gefunden, in einem Nationalismus, der in Chauvinismus und Rassismus mündet, der keine Meinung neben jener der aktuellen Regierung duldet. Intoleranz gegenüber Anderen und Andersdenkenden fand seit den ersten Tagen (der kroatischen Unabhängigkeit_ Anm. MM) seinen Ausdruck in der physischen Liquidierung dieser Menschen. Der Krieg hat eine kriminelle ´Elite´ geschaffen, mit der wir es noch heute zu tun haben.

Kroatien wünschte sich die Mitgliedschaft in der EU und UN. In den ersten 10 Jahren hat die Internationale Gemeinschaft Druck auf Kroatien ausgeübt, sich den Standards der demokratischen Länder anzupassen.

In dieser Gesellschaft der rudimentären Demokratie – eine bessere Bezeichnung habe ich nicht – in dieser Gesellschaft, in der bei der Anwendung von Gesetzen zuerst darauf geachtet wurde, welcher Nationalität die Täter und welcher die Opfer angehören (diese Praxis besteht noch heute) ist ein offenes weites Feld für den Handlungsspielraum für historische Revisionisten, für all jene, die selbst Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg unverdeckte Ambitionen zeigten, die Geschehnisse zu verzerren.

Sie agieren, und so agieren sie auch heute, anhand des Bildungssystems - unnötig zu unterstreichen dass dieses dieser Politik entspricht- , ihrer eigenen Veröffentlichungen und durch die Medien.

Auf einmal haben wir neue Wahrheiten über den 2. Weltkrieg erfahren, über die Ustascha und deren Regierung, in der die kroatische Kultur aufblühte und in der nur Feinde des Staates gesetzlich verfolgt wurden. Einigen war es auch nicht fremd, sich damit zu brüsten, wie wir – Dank der Ustascha – Verbündete des 3. Reiches waren.

Die Renaissance der Ustascha

Vergessen wurden die Rassengesetze, die unmittelbar nach Machtübernahme der NDH in Kraft traten, vergessen wurde, dass sich in den über 60 Lagern eine Vielzahl von Frauen, Kindern und Alten befanden – waren das alles Staatsfeinde? Und natürlich wird vergessen, dass Terror, Massaker, Vertreibung und Verhaftung seitens der Ustascha ggü. Serben, Juden, Roma und Kroaten begannen, bevor sich ein Widerstand bildete...

Über Jasenovac und der Schwarzen Legion bestehe genügend Dokumente und jeder, der an meine Definition ´Schlächter´ zweifelt, kann sich diese Dokumente anschauen. Das sind authentische Dokumente und keine Interpretationen historischer Ereignisse. Doch alles was bis 1990 galt, sollte auf einmal nicht mehr wahr wein. Alles Lüge und ´kommunistische Propaganda´.

Die Internationale Gemeinschaft war erstaunlich ruhig und zeigte keinerlei Reaktion auf die Renaissance der Ustascha und der Relativierung der Verbrechen des Nazi-Faschismus und dessen Helfern. Auf die Frage: Warum?, ist die Antwort sehr einfach. Weil alles und jeder als gut befunden wurde, der radikal mit der sozialistischen Vergangenheit gebrochen hat. Weil jeder willkommen war, der sich als Antikommunist legitimierte…In der neukomponierten Version der kroatischen Geschichte werden all diejenigen, die nach 1945 gesetzlich belangt wurden, als Opfer des kommunistischen Regimes klassifiziert…

In den vergangenen 25 Jahren wurden Dank krimineller, rechter Kräfte auf der politischen Bühne, einen Großteil der Medien, der politischen Macht – aktiv oder passiv, der Katholischen Kirche und gewissen Kreisen aus dem Ausland mehrere Generationen junger Menschen zerstört. Das sind Menschen, die morgen das Ruder Kroatiens übernehmen werden.

Mit welchem Wissen, mit welchen Ideen, mit welchem Blick auf die Welt?

In die Position von Entscheidungsträgern kommen Indoktrinierte und Gehirngewaschene, vollgestopft mit Lügen aber auch Hass gegen alle, die diese Lügen zu widerlegen versuchen. Es kommen die ´Bereit für ihre Demokratie´ ( Anm. MM: ´Für Führer und Heimat bereit´ war ein Slogan der Ustascha-Faschisten), und sie werden überzeugt sein, dass sie eine Demokratie mit den klassischen faschistischen Mitteln und Möglichkeiten verteidigen. Wir gehen heute äußerst leger damit um, dass in Buchhandlungen und Kiosken eine Vielzahl von Büchern und Publikationen vorzufinden sind, in denen es einzig und allein darum geht, die Geschichte des Nazi-Faschismus und der kroatischen Variante, der Ustascha, zu revidieren und zu rehabilitieren.

Es stellt sich nicht nur keiner die Frage, wer all diese günstig zu kaufenden Bücher und Publikationen finanziert, sondern auch nicht, warum einige darunter staatlich subventioniert werden, nicht nur von der HDZ sondern auch von der SDP (Sozialdemokratische Partei Kroatien). Wir stellen uns blind auf die Mitteilungen, die über dem kleinen Bildschirm ausgestrahlt werden und immer mehr die Sprache des Hasses gedeihen lassen, so wie in den 90-er Jahren des letzten Jahrhunderts. Beachten Sie wer in den TV-Studios eingeladen wird und wer nicht, dann wird Ihnen einiges klar.

Die Masken sind gefallen

Seit dem Präsidentenwechsel der Kroatischen Republik ist der aggressive Auftritt der Rechten, die nicht einmal mehr ihre profaschistische Färbung versteckt, noch aggressiver, noch offener, noch verbrecherischer. Die Masken sind gefallen und wer heute nicht sieht, wie die Dinge stehen, wird es nie sehen. Oder er wird sie erst sehen, wenn es zu spät ist.

Die Bemühungen während meiner beiden Präsidentschaftsmandate, den Antifaschismus als Fundament der kroatischen Gesellschaft zu manifestieren ist seit 2010 offensichtlich zusammengefallen. Die diesjährige Wahl wird in die Vergangenheit führen. ..

Die Europäische Union ist auf der Idee und Notwendigkeit aufgebaut, einen effektiven Mechanismus zu entwickeln, der eine Wiederholung von Weltkrieg und Holocaust verhindert. Diejenigen, die heute ihre Politik (Anm. MM: der EU) diktieren, haben das offensichtlich vergessen, oder sie tun so als ob sie das vergessen haben. Es scheint, als würden sie es genießen im Osten, d.h. in Russland wieder den Feind zu sehen. Eine der zuverlässigsten Voraussetzungen für faschistische Entwicklungen ist die Schaffung eines Feindes und die Mobilisierung gegen ihn.

Die aktuelle kroatische Regierung ist in dieser Situation überfordert und weiß sich nicht zu positionieren.

Wie sich die nächste Regierung positionieren wird, wissen wir. (Anm. MM: damit ist der Regierungswechsel durch die HDZ gemeint, der möglicherweise dieses Jahr stattfindet)…<<

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Zum Schluss appelliert Mesic an alle Einzelnen und nichtstaatliche Vereinigungen, sich den faschistischen Tendenzen zu widersetzen. Erstaunlicherweise spricht er direkt die ´Radnicka Fronta´ an, eine relativ neue Bewegung, die sich selbst als ´kroatische Syriza´ bezeichnet.

Stipe Mesic ging in seinem Beitrag auch auf die faschistischen Tendenzen in anderen Ländern ein, die Übersetzung bei sputniknews.com ist korrekt:

>>Als Beispiel verwies er auf die Aufmärsche der Waffen-SS-Veteranen in der lettischen Hauptstadt Riga. „Sie schreiten mit ihren Orden und Bannern stolz durch die Stadt. Es ist ihre Zeit!“, so Mesić. „In Deutschland wäre so etwas unvorstellbar, zumindest jetzt nicht. Aber Kanzlerin Merkel schweigt zu den Ereignissen in Riga – ebenso wie der französische Präsident Hollande und der Herr des Weißen Hauses Obama.“

„Sie übersehen den Neofaschismus in Europa und weigern sich dabei, nach Moskau zu reisen, um den 70. Jahrestag des Sieges über den Faschismus zu feiern“, so Mesić weiter. In Moskau werde der Sieg über ein Regime gefeiert, das den größten Teil der Welt erobern wollte und nur mit gewaltigen Opfern der Sowjetunion gestoppt werden konnte.<<

Weiterlesen: http://de.sputniknews.com/politik/20150420/301991126.html#ixzz3XzF4Ae47

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Als ich gestern den Beitrag von Stipe Mesic las, war ich äußerst überrascht _ weniger über den Inhalt sondern wer derart deutliche Worte über das faschistische Gedankengut in der kroatischen Gesellschaft und Politik findet. Niemand anderes als Mesic hat nach der Zulassung des Mehrparteiensystems im damaligen Jugoslawien 1989 zusammen mit Franjo Tudjman die Partei HDZ (Kroatische Demokratische Union) gegründet. Die HDZ war von Beginn an rechtsnationalistisch geprägt und trat für die Unabhängigkeit Kroatiens aus der jugoslawischen Föderation ein. Das Pikante an der Geschichte ist, dass Mesic Sezessionsbewegungen in einem Staat unterstützte, dessen Präsident er war.

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt: Die Unabhängigkeit Kroatiens wurde insbesondere auf Druck der damaligen Kohl-/Genscher-Regierung von den meisten EU-Staaten anerkannt, worauf nicht nur der Zerfall Jugoslawiens eintrat sondern ein äußerst gewaltvoller Bürgerkrieg ausbrach.

Bereits unter der Präsidentschaft von Franjo Tudjman entwickelte sich die Renaissance der faschistischen Ustascha in Kroatien. Symbole, Währung , Lieder dieser Ära wurden genauso wiederbelebt wie die Revision über die Gräueltaten der Ustascha im 2. Weltkrieg. Stipe Mesic distanzierte sich zwar teilweise davon und trat 1994 aus der HDZ aus, doch ein Bewusstsein über die mögliche Entwicklung der Geister, die er rief, konnte seinerzeit nicht vernommen werden. Das Gleiche gilt auch für alle EU-Regierungen, allen voran Deutschland, die in unverantwortlicher Weise rassistische und extremistische Politiker im ehemaligen Jugoslawien protegiert haben.

Hätte Mesic seine aktuelle Mahnung vor 20 Jahren formuliert, hätte er seinem Land und deren Bürgern einen effektiveren Dienst erwiesen. Ob er dann dennoch Präsident hätte werden können, steht ggf. auf einem anderen Blatt.

Anyway: Es ist gut und wichtig, dass er mit seinen Beobachtungen und Befürchtungen an die Öffentlichkeit geht.

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Geschrieben von

mymind

Die Wahrheit hat nichts zu tun mit der Zahl der Leute, die von ihr überzeugt sind...Paul Claudel

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