Protest oder Putsch?

BiH _ Seit 5 Tagen wird in weiten Teilen von Bosnien und Herzegowina (BiH) demonstriert, was etliche Journalisten mal wieder zu Assoziationen von ´Frühlingsgeruch´ verleitet.

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In über 20 Städten der bosniakisch-kroatische Föderation führten fehlgeleitete Privatisierungen von Staatsbetrieben, Korruption, Vetternwirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit & kaum Hoffnung auf optimistische Lebensperspektiven Zehntausende auf die Straßen. Mitorganisatoren der Proteste sind die beiden Organisationen ´Revolt´ & ´Udar´. MOMENT: Udar? Ist das nicht die Partei von Klitschko, die u. A. seit zwei Monaten auf dem Maidan in Kiev protestiert & bekanntermaßen großen Support der starken EU-Player geniest? Nein _ die bosnische Gruppierung ist bis dato weitgehend unbekannt. Warum sie sich nach der ukrainischen Partei benannt hat, bleibt ein Rätsel oder ein Botschaft…

Die Proteste sind schnell in Gewalt umgeschlagen: Brennende Regierungsgebäude, Rathäuser, Parteizentralen & Fahrzeuge, Verwüstung & Plünderung von Geschäften sowie mehr als 200 Verletzte waren bereits 3 Tage nach Ausbruch der Demonstrationen zu vermelden. Erste Konsequenzen erfolgten prompt danach: Der Rücktritt von drei der zehn Kanton-Regierungschefs. Valentin Inzko, Hoher Repräsentant der UN für BiH, äußerte seine Besorgnis über weitere Eskalationen, bei denen im Worst Case eine Befriedung durch EUFOR-Truppen in Betracht gezogen werden soll. Man bemerke die unterschiedliche Herangehensweise an ausufernde Proteste _ je nach Interessenslage.

Soweit Part I der Geschehens.

In der bislang ruhig gebliebenen Republika Srpska treibt die Sorge um, dass die Unruhen auch zum Ziel haben, die Zusammensetzung BiH mit den beiden Teilrepubliken aufzuheben. Die Entitäten waren das Ergebnis des Daytoner Friedensabkommen 1995. Alles andere als beruhigend wurde die Äußerung von dem kroatischen Politiker Stipe Mesic aufgefasst, dass eine Revision des Abkommens unumgänglich sei. Mesic war letzter Präsident der SFR Jugoslawien.

Pragmatisch gesehen, erfordert dieser Status Quo tatsächlich einen ungeheuer aufgeblähten Regierungs- & Verwaltungsapparat, der inneffizient, undurchsichtig & unwirtschaftlich agiert sowie mit diversen korrupten Politikern besetzt ist. Eine personelle & bereinigende Verschlankung würde dem kleinen Balkanland nicht schaden, aber zu groß ist das Misstrauen zwischen den einzelnen Volksgruppen, nicht von Vertretern der eigenen Nation regiert zu werden, so unzufrieden sie auch mit ihnen sind.

Doch allein damit ist die wirtschaftliche Misere nicht zu beheben. Was dem Land nach dem Krieg in den 90er-Jahren fehlt, ist ein effektives Aufbauprogramm. Dem politisch ideologischen Engagement etlicher EU-Länder in den Kriegsjahren folgten keine nennenswert hilfreichen Wirtschaftskonzepte in Friedenszeiten, die den Bürgern & nicht den kriminellen Abzockern auf die Beine halfen.

Es bleibt zu hoffen, dass Part II des Geschehens zu keiner Wiederholung der 90er-Jahre führt.

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Geschrieben von

mymind

Die Wahrheit hat nichts zu tun mit der Zahl der Leute, die von ihr überzeugt sind...Paul Claudel

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