#aufstehen - Was will die Bewegung?

Ziele von #aufstehen Für viele scheint es ein Rätsel zu sein, was die Ziele der neuen linken Bewegung sein könnten. Dabei ist sie leichter auszurechenen, als viele Kritiker wahrhaben wollen.

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In der Presse wird die Bewgung #aufstehen von Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützern aus den Linksparteien, derzeit äußerst kritisch beäugt. Häufig findet man den Vorwurf, dass die neue Bewegung schwer auszurechnen sei. Dies ist, neben Vorwürfen, von Querfront und "Fischen am rechten Rand", der häufigste Kritikgrund.

Wenn man sich aber die Asylpolitik und die Asylentscheidungen der letzten Jahre ansieht, fragt man sich, warum die Bewegung so in die rechte Ecke geschoben wird? Die Politik und Rethorik unterscheidet sich wenig von der sogenannten Mittepolitik der etablierten Parteien. Der Vorwurf, die Bewegung sei unberechenbar und würde ihre Ziele nicht veröffentlichen hingegen wirkt auf mich als politisch interessierten Menschen aber wie ein herbeikonstruiertes Ausschlusskriterium oder schlichte Naivität der besagten Kommentatoren.

Oskar Lafontaine, der letzte Parteivorsitzende des linken Flügels der SPD, hat seine politischen Standpunkte nie umfangreich verändert. Seit seiner Zeit als saarländischer Ministerpräsident ist er vor allem Wirtschaftspolitker und Vordenker einer sozialen und ausgewogenen linken Wirtschaftsprogrammatik. Als Finanzminister hat er seine Positionen klarer denn je dargelegt. Er stand schon in den 90er Jahren für einen Umbau Europas und später der Eurozone. Seine Vorstellungen von der deutschen Einheit hätten wohl dem Osten düstere Jahre der Abwanderung und der wirtschaftlichen Talfahrt erspart oder hätten diese zumindest gelindert.

Um die Bewegung zu verstehen hilft es, einen Blick auf seinen Hintergrund zu werfen. In seinen Büchern warb er stehts für einen wirtschaflichen Kurswechsel. Er hat sich stets als Vertreter eines linken Keynsianismus verstanden und somit in der Tradition, die seit dem zweiten Weltkrieg unangefochtene Lehre in der SPD war. Dazu gehört die Kritik an der Finanzwirtschaft und der Gedanke der Umverteilung, die notwendig ist, um eine funktionierende Wirtschaft zu realisieren. Im Mittelpunkt der keynsiansichen, nachfrageorientieren Wirtschaftspolitik stehen höhere Löhne, deliberalisierung des Arbeitsmarkts, Finanzmarktkontrollen, Steuerpolitik die Reiche und Unternehmen in die Pflicht nimmt und rechtliche Mechanismen, welche dem Staat Eingriffsmöglichkeiten in Wirtschaft und Handel ermöglichen. In der Außenpolitik steht er für die Abkehr von dem Konkurrenzkampf unter den Nationen und der Beggar-the-Neighbor-Politik, die seit dem SPD-Kanzler Schröder eine Renaissance erlebte und merkantilisitische, mittelalterliche Strategien hoffähig machte. Dies ist, kurz gesagt, Lafontaines Kampf: bessere Löhne, höhere Steuern für Reiche und Unternehmen sowie eine ausgeglichene Handelspolitik. Kein Geheimnis, wenn man die Politik hierzulande mit mäßigem Interesse verfolgt hat.

Dies entspricht sehr genau den Vorstellungen von Wirtschaft, die Heiner Flassbeck vertritt. Flassbeck war Staatssekretär unter dem Finanzminister Lafontaine und dessen Chefvolkswirt. Flassbeck, der wohl am teffensten als Postkeynsianer zu verorten ist, und somit eine lebendige Provokation für die neoliberalen Ökonomen darstellt und international (wohl aber nicht in Deutschland) mehr Ansehen genießt als alle Wirtschaftsweisen zusammen, ist zumindest der wirtschaftliche Vordenker der Bewegung. Fragt man nach Lafontaines und Wagenknechts Vorstellungen, lohnt es sich, Flassbecks Position zu studieren.

Und genau so kann man die Ziele von Lafontaine und Wagenknechts sehen: eine linke Wirtschaftspolitik. Als Lafontaine merkte, dass seine SPD einen Rechtsschwenk vollzogen hatte und auf absehbare Zeit keine linke Politik mehr mit ihr möglich sein würde, verließ er diese. Totgeglaubt, erneuerte er die alte Linke und schuf, eine neue, bundesweite Partei. Dies ist nun elf Jahre her. Seither führt er den Kampf gegen die Realos innerhalb der Partei und erhielt als Unterstützung die Hilfe seiner Ehefrau, Sahra Wagenknecht. Nachdem sich Lafontaine aus der Bundespolitik zurückgezogen hatte, führte sie den Kampf für ebenjene linke Wirtschaftspolitik, wie er es immer schon getan hat. Auch wenn die Vorschläge für die heutige Zeit, in der die Alternativlosigkeit der neoliberalen Konzepte unveränderlich scheint, befremdlich klingen, steckt dahinter ein ausgeklügeltes und funktionables linkes Wirtschaftskonzept, was nicht nur eine Erneuerung hiesiger, sondern auch eine bessere europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik verspricht, die viele Forderungen der Linken auf ein solides ökonomiscbes Fundament stellt. Diesen Kampf führte das Ehepaar innerparteilich gegen Realos, die gemäßigte keynsianische Posititonen vertreten, wie Riexinger und Troost, die aber keinen wirklichen Politikwechsel anstreben, sondern am ehesten eine Kurskorrektur der SPD in einer Koalition im Blick haben. Aber auch gegen alt-PDSler wie Bartsch, die keine konkrete wirtschaftspolitische Agenda haben, sondern eine gemäßigte Mittepolitik anstreben. Die Linke hat sich verrannt in einen Flügelkampf zwischen linken, wie Lafontaine und Wagenknecht und Reformern, deren wirtschaftliche Kompetenz sich auf das bedingungslose Grundeinkommen beschränkt oder die jeden Kompromiss eingehen würde, um Steigbügelhalter für eine Rot-rot-grüne Koalition geben zu können und deren Wirtschaftsprogramm voraussichtlich aus sozialen Prestigeprojekten bestehen würde. So ist eine linke Wirtschaftspolitik nicht zu machen.

Über den Kurs, den Lafontaine und Wagenknecht eingeschlagen haben, lässt sich trefflich streiten. Ist das Beharren auf einen umfassenden Politikwechsel angemessen und realistisch? Ich denke, dass die beiden durchaus Argumente haben, für einen dezidiert linken Kurs. Eine klare und realistische Linke Alternative zu bieten erscheint in Zeiten, in denen in Italien und Frankreich die sozialdemokratischen Parteien mit ihrem neoliberalen Kurs auf ganzer Linie gescheitert sind und die Labours in England eine Wiedererstarkung mit linken Inhalten erfahren, sinnvoll. Dies ist aber innerhalb der Linken kaum durchsetzebar und gänzlich unmöglich in einer linken Koalition.

Man kann auch über die Rethorik streiten, die Wagenknecht, aber auch Lafontaine, im Asylstreit bisweilen an den Tag legen. Aber wer als Kommentator ernsthaft die Frage stellt, was Wagenknecht und Lafontaine mit ihrer neuen Bewegung bezwecken, der muss sich die Frage gefallen lassen, was er in den letzten dreißig Jahren gemacht hat als andere die deutsche Politik verfolgten. Dies scheint bei beinahe allen politischen Kommentatoren, beginnend bei der Zeit, der TAZ über den Spiegel bis hin zum Neuen Deutschland so zu sein. Was wollen Lafontaine und Wagenknecht, scheint für diese Leute tatsächlich ein Rätsel zu sein, über das man ganze Artikel schreiben kann. Und über dieses Frage, auf die jeder politikinteressierte Laie sofort eine Antwort findet, werden hier scheinbar tiefgründige Überlegungen angestellt: Wer begeistert sich für so etwas? Nazis und Verschwörungstheoretiker ist die Antwort. Und hier schon schwingt die Arroganz für die einfachen Leute mit, denen es offenbar leichter fällt, die Hintergründe der Bewegung zu verstehen, als gut Bezahlte und nicht um ihre Rente bangende Journalisten.

Wenn man schon eine Bewegung gründet, dann soll die doch bitteschön sauber in die liberale Welt der Besserverdienenden passen. Mit dem Schmuddel der Arbeiterklasse will man sich dort nicht besudeln. Wer einmal AFD gewählt hat, ist für immer verloren und kann nicht mehr in die Welt derjenigen integriert werden, die sich als die moralischen Hüter des richtigen Denkens verstehen. Dieses Denken schließt aber leider keine lafontainesche Wirtschaftsreform ein. Keine grundsätzlich andere Politik. Darum wird Wagenknecht auch für ihre vermeintliche Flüchtlingsfeindlichkeit kritisiert. Die SPD oder CDU wird nicht dermaßen von den Kommentatoren in die Pflicht genommen. Auch wenn sich Wagenknecht bislang explizit nur gegen die Arbeitsmigration geäußert hat, die, wie aus dem Nichts, ein pareiübergreifendes Anliegen von Neoliberalen, Grünen, SPD und Linkspartei ist und unter dem Label Zuwanderung diskutiert wird. Es geht darum, gut ausgebildete Facharbeiter zuwandern zu lassen und ihnen eine "Green Card" zu geben. Das stimmt mit den Idealen der linken Kommentatoren offenbar problemlos überein. Frag sich, warum die neoliberale Sprachregelung vom Fachkräftemangel nicht ebenso kritische betrachtet wird und wem gegenüber die Abwerbung von Fachkräften aus Entwicklungs- und Schwellenländern als ein solidarischer Akt gilt?

Sei es drum. Wer vorgaukelt, man wisse nicht worum sich die Kernpunkte der Bewegung drehen, ist entweder wirklich ahnungslos oder unehrlich. Es geht um echte, linke Politik und damit verbunden das Umschiffen des Themas Flüchtlinge, um die vielen Migrationszweifler nicht zu verschrecken. Nicht mehr und nicht weniger.

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