Film Elternschule – Kein Vorbild für Eltern

Moderne Erziehung In dem Film Elternschule soll gezeigt werden, wie man Kinder richtig erzieht. Dem werden die Macher keineswegs gerecht.

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Wie lernen Kinder das Schlafen? Nun, es ist ganz einfach: Sperren Sie ihren Säugling oder Kleinkind in ein hohes Gitterbett und lassen Sie es einfach ein paar Stunden schreien. Wenn es vor Erschöpfung eingeschlafen ist, ist die Therapie erfolgreich gewesen. Und, um dies vorweg zu nehmen: das funktioniert wirklich, wie ein Wunder. Vergessen Sie das Vorlesen von Geschichten und Füße massieren vor dem Schlafen ist auch kontraproduktiv. Die Tür einen Spalt auflassen oder ein Nachtlicht ist nur ein unnötiges Entgegenkommen, was das Kind davon abhält, das Schlafen zu erlernen. Dadurch merkt Ihr Kind nur, wie es Sie ausnutzen kann. So kann man die Botschaft dieses Filmes zusammenfassen.

Der Film Elternschule von Jörg Adolph und Ralf Bücheler vermeidet es aber wohlweislich, zu zeigen, wie die Kinder in der Nacht erbärmlich bei dieser Prozedur schreien. Nach ein paar Tagen ist das eh vorbei. Das Kind schreit nicht mehr und hat etwas gelernt. Nur was, das bleibt unbeantwortet und wird von den Filmemachern auch nicht reflektiert. Im Gegenteil. Die Trennungsprobleme der Mutter zuvor regen das Publikum zum Schmunzeln an. Es ist so einfach. Einfach das Kind der Krankenschwester überlassen (Psychologen haben keine Nachtschicht) und nach Hause gehen. Es wird schon nicht sterben.

Der Film zeigt den dokumentarisch aufbereiteten Alltag in einer Gelsenkirchener Kinderklinik, die sich auf psychosomatische Beschwerden von Kleinkindern spezialisiert hat. Auf Off-Kommentare wird gänzlich verzichtet. Die kleinen Patienten und ihre Eltern kommen mit unterschiedlichen Problemen wie Essstörungen, Schlafstörungen, Trennungsprobleme oder oppositionellem Verhalten. Als einziger Leitfaden dient der leitende Psychotherapeut Dietmar Langer, sowie die Teambesprechungen. Der Film folgt hintereinander geschnitten Szenen: Ein auffälliges Verhalten der Kinder wird gezeigt, darauf folgt meist Dietmar Langer, der im Frontalunterricht an der Tafel Eltern psychologische Aufklärung über dieses Verhalten bietet. Man selber sitzt als Zuschauer auf der Seite der Eltern, an die der Unterricht gerichtet ist. Meist ist das recht lustig aufbereitet. Diese Szenen folgen im Wechsel mit den Teamsitzungen und Aufnahmen von Gesprächen zwischen Psychologen, Ärzten, Schwestern und den Eltern.

So hangelt sich der Film von einer Erziehungsweisheit zur nächsten. Die essgestörten Kinder erscheinen als Tyrannen, die absichtlich hungern, um ihre Eltern zu ärgern und sie zu kontrollieren. Der Tenor ist, dass die Eltern die Kontrolle zurückgewinnen müssen. Wie, das spielt keine Rolle. Die Pflegerin mit der leblosen und maskenhaften Mimik zwingt das Kleinkind in einer Szene zum Essen, wenn die Eltern zu weichherzig dafür sind es zu zwingen. Wenn das Kind doch nicht so möchte wie die Pflegerin, dann wird es kurzerhand in den Klammergriff genommen und zum Essen gezwungen. Dass es so einfach nicht werden wird, kann man ahnen, als der kleine Junge aus dem Klammergriff, der versucht mit seinen Eltern Kontakt aufzunehmen, indem er permanent auf irgendwelche Dinge zeigt, eine Magensonde bekommt um ihn zwangszuernähren. Diese Szene wird nicht gemieden, so wie die schreienden Kinder in der Nacht. Eine kurze Sequenz, die zeigt, wie der junge mit einer Magensonde in der Nase wieder versucht Kontakt aufzunehmen, indem er auf Dinge außerhalb der Leinwand zeigt, wird diesmal vom Publikum nicht mit wissendem Lachen quittiert. Der Schrecken, den diese Kinder erleben hat sie nun doch eingeholt. Dieses Kind ist halt sehr hartnäckig und auf jeden Fall ist es der Schuldige, der seinen Eltern seinen Willen aufzwingt. Es ist seine Strategie, sich in körperlich schädliche Bereiche zu hungern. Denn, ein Säugling sei ein knallharter Bursche, dem es egal ist, ob die anderen überleben, so erklärt Langer das Verhalten. Solche und ähnliche Kommentare, die an dem Weltbild des Psychotherapeuten zweifeln lassen, ziehen sich durch den gesamten Film. Das Kind ist der eigentliche Feind und die Erwachsenen seine Opfer.

Wie das mit den oppositionellen, also stark ungehorsamen, Kindern funktioniert, zeigt der Chefpsychologe persönlich: Sie müssen aufs Wort gehorchen. Darum muss das kleine Mädchen Anna, die eine extrem autoritären und schon bei Kleinigkeiten aggressiven Mutter hat, an der Hand neben Langer her joggen. Sie müssten lernen sich führen zu lassen, so erklärt Langer das. Das Mädchen sagt brav, dass es gern spazieren gehen aber nicht schnell laufen möchte. Es muss aber laufen, vermutlich um die Führungsrolle Langers zu unterstreichen. Nach einiger Zeit lässt das kleine Mädchen seine Mütze fallen und weigert sich sie zu suchen, nachdem sie Langer den Verlust mitgeteilt hat. Nebenherlaufen muss sie jetzt nicht mehr. Aber es ist ja auch nur ein Kind von fünf oder sechs Jahren. Und Langer zeigt nun, wie gut er auch als der bessere Erzieher fungiert. Er macht, was die meisten Eltern bei starken Trotzanfällen tun würden: Er ignoriert diesen "Trotzanfall" einfach und wartet einige Zeit geduldig. Als es ihm zu lange dauert, geht er einfach weg. Das Mädchen folgt ihm nach kurzer Zeit und sucht nach etwas gutem Zureden am Ende auch die Mütze. Danach folgt ein wenig Zuckerbrot für gutes Benehmen durch den Psychotherapeuten. Wer letztendlich als Sieger vom Platz geht, im eigentlich ungleichen Kampf der Erwachsenen gegen psychisch kranke Kinder, bleibt für mich offen. Ich würde hier ein Unentschieden annehmen: Das Mädchen wird nicht mehr unnötig, wie ein uneingerittenes Pferd, im Trab an der Hand geführt, der Psychotherapeut bringt es aber dazu, die Mütze zu suchen, weil Kinder nun mal nicht alleine gelassen werden wollen und sie letztendlich doch die Nähe der Erwachsenen suchen. Es ist schon erstaunlich, dass diese Sequenz als der absolute Königsweg der Psychotherapie, wenn nicht sogar der Erziehung an sich, verkauft werden soll. Ob das Mädchen noch andere Probleme hat, als die Unfähigkeit der Eltern, es angemessen zu begrenzen? Der Film wirkt distanzlos. Und das liegt auch daran, dass offenbar sowohl die Filmemacher als auch die Therapeuten, keine kritische Distanz zu dem Geschehen herstellen können.

So weit bewegt sich der Film aber noch in einem theoretischen Rahmen, der der Verhaltenstherapie zugeschrieben werden kann, auch wenn viele moderne Verhaltenstherapeuten, wohl eher mit Fremdscham auf den brachialen Behaviorismus der Einrichtung blicken werden und auf den Erziehungsguru Langer. Nun wird es aber gänzlich pseudowissenschaftlich, denn nun geht es in die "Mäuseburg". Ein euphemistischer Name für einen Spielraum, in dem Trennungen geübt werden sollen. Dieses Training nennt sich tatsächlich Bindungs- und Trennungs-Training. Die Kinder sollen plötzlich und ohne Vorbereitung von ihren Eltern getrennt werden. Dann lässt man sie schreien und weinen, bis das schreien und weinen irgendwann von alleine aufhört. Dann hat das Kind (und die Eltern auch) gelernt sich zu trennen. Das Alter scheint keine Rolle dabei zu spielen, obwohl jeder in Entwicklungspsychologie bewanderte hier sofort aufschreien müsste.

Was daran problematisch ist, weiß jeder Elternteil, der in einer vernünftigen Kita schon mal erlebt hat, wie Kinder professionell lernen, sich von ihren Eltern zu trennen. Sie werden langsam an die Trennung gewöhnt. Oft über die Dauer von einer oder mehreren Wochen. Man versucht Schocks zu vermeiden, weil man weiß, dass die Kinder dadurch Schaden nehmen können. Zu verdanken hat man diese Einsicht John Bowlby und Mary Ainsworth, den Entdeckern der Bindung, bzw. Begründern der Bindungstheorie. Sie erkannten, dass es für Kinder schädlich ist, wenn sie zu lange von ihren Eltern getrennt werden, da sie eine emotionale Beziehung – die Bindung – zu ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen aufbauen, auf die sie angwiesen sind. Seit dem ist es üblich, dass Eltern während eines Krankenhausaufenthaltes des jungen Kindes bei diesem übernachten. Sie entdeckten auch, dass Kinder ganz verschiedene Bindungen an ihre Eltern haben können. Sozusagen gute, also sichere und schlechte, also unsichere Bindungsbeziehungen. Kinder mit einer schlechten Bindung haben ein erhöhtes Risiko, eine psychische Krankheit zu entwickeln. Schocks und Angst in Verbindung mit Trennungen und Bindung wirken hierbei traumatisch und können so eine schlechte Bindung auslösen oder verstärken. Darum dürfen die Eltern im Krankenhaus übernachten und Kitas gewöhnen die Kinder langsam an die Trennung von ihren Eltern, auch unabhängig davon ob die Bindung zu den Eltern nun gut oder schlecht ist. Schocks, wie die unvorbereitete Trennung, könnten eine sichere Bindung zerstören und eine ohnehin unsichere Bindung noch verschlechtern. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz,“ ist ein Relikt aus einer preußisch-autoritären Erziehung, die heute keine Gültigkeit mehr hat, so wie der Rohrstock. Hier aber setzt die Therapie oder das Training auf verhaltenstheapeutische Methoden, wo sie nichts zu suchen haben. Sicher gebundene Kinder, also jene mit einer guten Bindungsbeziehung, beginnen selbstständig ihre Umgebung zu erforschen. Man nennt das Explorationsverhalten. In der Elternschule wird dieses Verhalten nicht durch eine sichere Bindung erreicht, sondern durch sog. Exposition. Die Kinder sollen durch einen möglichst harten Bruch in höchsten Stress versetzt werden. Dann werden sie mit diesem Stress alleine gelassen, bis der irgendwann unweigerlich nachlässt. Das bedeutet, dass es sich eher um ein Trennungstraining handelt denn um Bindungstraining. Denn mit Bindung, dem eigentlichen Garanten für eine stabile psychische Entwicklung, hat dieses brachiale Prozedere nicht viel zu tun. Erwachsene Patienten, die bspw. von einer Höhenangst befreit werden sollen, können von so einer Exposition profitieren, indem sie lernen die Angst auszuhalten. Aber Trennungsangst im frühen Kindesalter ist keine gewöhnliche Wald- und Wiesenangst, wie die Bindungstheorie gezeigt hat. Sie ist ein natürliches Verhalten, was man nicht abtrainieren kann oder sollte. Verhalten sich die Kinder durch dieses Training danach tatsächlich anders, so ist dadurch die Bindung nicht verbessert und Fähig zur Trennung sind die Kinder dann auch nicht. Die Kinder verhalten sich halt nur anders. Sie protestieren nicht mehr gegen die Trennung, weil sie es schlicht aufgegeben haben. Im besten Fall kann sich die geschädigte Bindung danach wieder erholen. Im schlechten Fall, wurde sie dauerhaft geschädigt oder zerstört. Da man davon ausgehen muss, dass Kinder, die aufgrund einer psychischen Störung in einer Klinik behandelt werden müssen, in der Mehrzahl keine sichere Bindung entwickelt haben, ist diese Methode noch verwerflicher. Denn sicher gebundene Kinder können ein solches Bindungstrauma besser verarbeiten als unsicher gebundene. Die Bindung ist die Grundlage dafür, wie Menschen Beziehungen sehen. Das haben weitreichende Forschung auf dem Gebiet eindrucksvoll beweisen können. Der Bindungsstil der sich in der Kindheit entwickelt, ist recht stabil und er prägt unter Umständen unser ganzes Leben und unsere zukünftige Art mit anderen in Kontakt zu treten. Mit unserm Chef, mit unseren Freunden, mit unserem Partner und unseren Kindern. Diese merkwürdigen Brachialtrennungen bei Klein- bis Kleinstkindern sind somit schädlich – und sonst gar nichts.

Und hier zeigt sich auch die größte Schwäche des Films. Er bewertet nicht, er fragt nicht nach, er lässt keine gegenteiligen Meinungen zu Wort kommen und er setzt sich auch nicht kritisch mit seinem Gegenstand auseinander. Als rein beobachtender Dokumentarfilm, der seinen Gegenstand, also die Art der Therapie, darstellen will und nicht in ein größeres Ganzes einordnen möchte, macht er es sich zu einfach. Die erzieherischen Erleuchtungen von Dietmar Langer werden mit klangvoller Musik untermalt, um die Erkenntnis zu unterstreichen die sich aus dem „die Kinder gegen uns Erwachsene“ ergeben. Scheinbare Therapieerfolge werden ebenso in Szene gesetzt. Zwischendurch werden Kinder, die nichts mit der übrigen Handlung zu tun haben, gezeigt, die fröhlich über den Klinikgang um die Wette laufen. Die Botschaft lautet: hier geht es Kindern gut. Ein Trugschluss. Die Erfolge erscheinen Mau. Am Ende essen die Kinder ein wenig mehr und das Schreien hat man ihnen abgewöhnt.

Wenn man aber auf die reine Beobachtung als Stilmittel setzt, muss über die Art und Weise, wie die Kinder dargestellt werden gesprochen werden. Das gesamte Therapieprogramm suggeriert, dass die Kinder die Macht über die Beziehung zu ihren Eltern gewonnen haben und das diese Übermacht von den Eltern und den Mitarbeitern gebrochen werden muss. Um dies zu untermauern, werden die Kinder mit filmischen Mitteln seziert. Dies ist auch eine Methode des Frontalunterrichts von Langer, der sich über die Probleme der Kinder in Videos
aus anderen Behandlungen, die den Eltern und den Zuschauern gezeigt werden, lustig macht: Vor einer Nudel auf einem Löffel müsse man ja keine Angst haben sagt er da. Was alles geschehen muss, bis Kinder sich wehren und „Aua“ sagen, wenn sie gefüttert werden sollen und ohne Not hungern und die Nahrung verweigern oder wieder erbrechen, bis sie zwangsernährt werden müssen, ebenso wenig. Die Monokausalität ist fast schmerzhaft. Man fragt sich, wozu über 100 Jahre Forschung notwendig waren um im Ansatz die Vielfältigkeit von Ursachen für psychische Erkrankungen zu verstehen, wenn dann doch alle Kinder lediglich jemanden benötigen, der ihnen endlich sagt wo es lang geht? Was ist mit Eltern-Kind-Beziehungen, in denen die Eltern schon höchst autoritär sind und die Kinder nichts zu melden haben? All diese Fragen werden nicht gestellt. Offenbar auch nicht von dem therapeutischen Team. Die Kinder werden, dank des Schnittes so dargestellt, wie sie von den Therapeuten gesehen werden: Als kleine Strategen, die sich bei jeder Kleinigkeit unnötig anstellen, obwohl sie ja gar nichts haben. Die Eltern sind die schwachen Anhängsel ihrer Kinder, über deren Unfähigkeit man herzlich lachen oder den Kopf schütteln kann. Dies grenzt schon an Frauentauschvoyeurismus. Bezeichnend ist die Szene eines Jungen im Grundschulalter, dessen Namen man nicht erfährt und der nur einmal im Film auftaucht und der offensichtlich nicht beim Essen Gefilmt werden möchte. Er zeigt dem Kameramann den Mittelfinger und wendet sich angewidert ab. Wie so oft eine angemessene Reaktion auf grenzüberschreitende Erwachsene, die pathologisiert wird und das Publikum zum schmunzeln anregt. Aber Kinder dürfen sich in der Welt der Klinik nicht wehren, die ja nur ein einziges Ziel hat, nämlich das die Wünsche der Kinder nicht mehr beachtet werden. Auch nicht vom Filmteam. Diese Lektion haben die Filmemacher verinnerlicht.

Nun kann man über die Notwendigkeit einer solche therapeutischen Herangehensweise trefflich streiten. Schließlich gibt es weit sanftere und beziehungsorientierte Behandlungsmethoden. Die Therapie der Klinik richtet sich an unterschiedliche Schweregrade. Kinder, wie Anna, die mit Langer joggen musste, die oppositionell ist und von ihrer Mutter ins Heim abgeschoben werden soll, wenn sie nicht endlich spurt. Aber auch Kinder wie Felix, mit einer schweren Essstörungen die schon gesundheitsbedrohlich ist. Oder Zahra, die „strategisch apathisch“ ist und auch das Essen verweigert und deren Mutter, die erst vor wenigen Jahren nach Deutschland geflüchtet ist, selber depressiv ist. Die Eltern haben teilweise, das wird aus den Gesprächen deutlich, schon einige Therapieversuche hinter sich, die gescheitert sind. Man könnte argumentieren, dass die Kinder hier nach drei Wochen wieder so funktionieren sollen, dass sie durch ihre psychischen Probleme nicht noch weiteren Schaden nehmen und das die Beziehungen zwischen Eltern und Kind so disfunktional sind, dass jegliche Verbesserung schon einen Fortschritt darstellt, egal, wie dieser Fortschritt letztendlich erreicht wird. Man könnte sich ernsthaft fragen, ob es nicht sinnvoll ist, ehe eine Trennung durch eine Heimunterbringung notwendig ist, die Kinder halt eben in die Spur zu zwingen? Notfalls auch mit brachialen Werkzeugen. Solche Angebote einer Eltern-Kind-Therapie sind äußerst rar gesät im deutschen Gesundheitssystem und es gibt für die Eltern keine große Auswahl. All dies wären Dinge, über die es sich lohnt nachzudenken, nachdem man diesen Film gesehen hat, die aber durch die Erzählweise vollständig ausgeklammert werden. Nicht aber darüber, ob die Behandlungsmethoden dieser Klinik in irgendeiner Weise vorbildhaft sind.

Was erschreckend an der Rezeption des Films ist, ist, dass diese Dokumentation zunächst in der Wahrnehmung in der Presse keineswegs als stationäre Kurzzeitbehandlung von hoffnungslosen Eltern und Kindern oder letzte Möglichkeit vor einer Heimunterbringung dargestellt wurde, sondern als Anleitung für die Erziehung in unserer Gesellschaft. So wirkt auch der Anspruch der Filmemacher, die auf der Homepage des Films nichts geringeres ankündigen, als die Antwort auf die Frage: „Wie gehen wir richtig mit unseren Kindern um – und mit uns selbst? Wie „ticken“ Kinder? Was brauchen sie von uns Erwachsenen – und was nicht?“ Auf diese Fragen jedenfalls bietet der Film keine Antworten.

Zeit online schreibt etwa: „Es ist die große Stärke des Films, entgegen dem Zeitgeist auf Ausdeutungen und Schuldzuweisungen zu verzichten. Das ist auch gar nicht nötig – Eltern, die diesen Film sehen, werden sich ohnehin hinterfragen.“

Spiegel online schreibt: „Kinder brauchen also Grenzen, davon ist Langer – und mit ihm eigentlich alle Kindertherapeuten – überzeugt.“

So, oder so ähnlich, lauteten die ersten Berichte in der Presse, zumindest so lange, bis kritische Stimmen zu dem Film laut wurden. So als wenn es sich um eine Neuigkeit handelt, die dem Zeitgeist widerspricht, das Kinder Grenzen benötigen und die meisten Eltern ihren Kindern letztendlich zu viel durchgehen ließen. So als wäre es eine Schwäche auf die Wünsche seiner Kinder zu achten oder ihnen nicht jeden Atemzug vorzuschreiben.
Dabei sollte nach Sendungen wie die Super Nanny über Erziehungsalarm bis hin zu Erwachsen auf Probe eigentlich klar sein, dass solche vermeintlichen Erziehungsratgeber und Wunderheiler, nicht zu einer Verbesserung beitragen. Diesmal ist es nicht die stille Treppe der Super Nanny, sondern die Mäuseburg. Das ändert sich nicht, wenn es im anspruchsvolleren Kinoformat daher kommt. Eigentlich läuft es in unserer Gesellschaft recht gut mit der Erziehung. So bescheinigt etwa Martin Dornes in seinem Buch „Die Modernisierung der Seele“, in dem er die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Kindheit zusammenträgt, der heutigen Erziehung, dass sie besser ist als ihr Ruf. Die Erkenntnisse der Medizin, Psychologie und Pädagogik haben in der Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen – und nicht nur, dass Kinder Grenzen benötigen. Viele krankmachende Erziehungspraktiken haben sich stark verringert, vor allem Gewalt in der Erziehung. Gewalt gegen Kinder ist, zumindest in den bürgerlichen Schichten, nicht breit akzeptiert. Kinder werden als Menschen gesehen, die eigene Wünsche, Vorstellungen und Würde haben, die man ihnen nicht einfach abtrainieren kann. Wenn Kinder nicht nach Plan laufen, ist nicht jedes Mittel recht, sie wieder in die Spur zu bringen. Man hinterfragt sein Erziehungsverhalten, seinen Umgang und die Beziehung zu dem Kind. Dies sind alles Entwicklungen, die mit Sigmund Freud begannen und mit progressiven Pädagogen der Aufklärung. Deren Ziel war nicht der preußischer Gehorsam, der so lange mit Gewalt durchgesetzt wurde, bis die Betreffenden zu alt, zu mächtig oder zu stark waren, als dass man den Gehorsam hätte problemlos auf diese Art weiter durchsetzen können. In der 68er-Generation hat sich endgültig durchgesetzt, dass Kinder nun mal auch Menschen sind und sogar Menschenrechte haben. Auch ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Dies hat sich in Gesetzesform erst im Jahr 2000 in Deutschland niedergeschlagen. Und allen Unkenrufen zum Trotz, hat die 68er-Bewegung auch schnell disfunktionale Erziehungsmethoden verworfen. Laissez-Faire-Erziehung, die ihr häufig vorgeworfen wird, hat sich als Gegenmodell zur autoritären Erziehung nicht durchsetzen können. Und auch heute sieht man auf der Straße oder im Supermarkt eher selten Kinder, die sich derart Verhalten, wie in dem Film gezeigt. Und dies obwohl sich die Erziehung auf diese Weise verändert hat. Vielleicht sollten die Filmemacher einfach mal ihre Augen aufmachen? Eltern die auf ihre Kinder eingehen, sind keineswegs krank und deren Kinder laufen auch nicht zwangsläufig aus dem Ruder. Im Gegenteil. Dies ist meist ein Garant für eine gute Erziehung und Bindung und funktioniert auch überwiegend gut. Es muss also andere Ursachen dafür geben, dass die Beziehung so eskaliert, dass solch eine Brachialbehandlung in Erwägung gezogen wird. Nur wird das in dem Film nicht dargestellt. Vielleicht deswegen, weil die Behandler selber nur die Lösung kennen, die Kinder um jeden Preis zu unterwerfen? Aus dem Grund sind solche brachialen und nicht gewaltfreien Erziehungs- und Therapiemethoden keine Anleitung für alle Eltern und keine Blaupause für die Gesellschaft die über den Film näher gebracht werden müssten. Es ist im Gegenteil ein Rollback in die dunklen Zeiten der Rohrstockpädagogik, in der die Frage, warum das Kind sich jetzt so verhält nicht gestellt wurde. Die verhaltensauffälligen Eltern und Kinder als Zeugen für eine solche Behauptung zu verwenden, ist unfair. Sowohl diesen als auch allen anderen Eltern gegenüber die mehr in der Beziehung zu ihren Kindern sehen können, als die Frage, wie man seine Kinder am geschicktesten unterwirft.

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