Man könnte eigentlich meinen, die Kalte-Krieg-Rhetorik wäre spätestens seit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus ebenso Geschichte wie eben jener. Diese stark politisierte Rhetorik wurde jedoch nicht ad acta gelegt, sondern erfuhr in den letzten 25 Jahren einen strukturellen und individualistischen Wandel, ohne den Kern zu negieren. Nach der Befreiung Auschwitz' im Jahre 1945 und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht erfuhr der Kapitalismus eine radikale Neuausrichtung, die durch den kalten Krieg nur verstärkt werden konnte. De facto bestand der Unterschied des „Westen“ und des „Osten“ nicht in verschiedene, ökonomische Schemata, sondern in der Auslegung und essentiellen Abhängigkeit der kapitalistischen Globalisierung. Durch den ideologischen und auch temporären, faktischen Wall der zwei „Supermächte“ konnte das ökonomische System in einer schizophrenen Zweisamkeit als Synonym des (westlichen) Wohlstands definiert werden, da durch den Vorhang auch nur eine Seite der Medaille zusehen war. Die dadurch verknüpfte Globalisierung deckte zwar den Preis für den (westlichen) Wohlstand auf, doch tangierte das nicht viele, auch die radikale Linke Westdeutschlands fokussierte sich primär auf die militärische Aggression einer als Imperialismus definierte Ausgeburt kapitalistischer Entwicklungen. Dadurch, dass dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystem im großen, gesellschaftlichen Diskurs weitesgehend positiv aufgenommen wurde, auch bedingt durch die dadurch vermeintlich gewonnenen bürgerlichen Freiheiten, entwickelte es sich wunderbar zu einem propagandistischem Instrument, was nach dem realsozialistischen Fall umso radikaler und aggressiver wütete, gespeist mit einem Nationalismus, der unter dem Deckmantel des Internationalismus demokratische Werte zu vermitteln suchte. Die Erklärung, Wachstum und Produktivität seien der Motor, folglich das Kernelement des Kapitalismus, sollte in der erdischen Logik der endlichen Ressourcen wahnwitzig anmuten, doch folgt die Argumentation nicht zwingend jener Logik, sondern der der individuellen „Freiheit“, in der ein vermeintlich freier Mark für die Freiheit der Bürger aller Länder einstehen wird. Dabei baut gerade dieser Marktradikalismus, nichts weiteres als ein unabdingbares Moment des real existierenden Kapitalismus, auf das moralische Versatzstück der Hilfe zur Selbsthilfe, ungeachtet der Tatsache, dass die Zerstörung ökonomisch und sozialer Grundlagen anderer Staaten für das Überleben eben jenes Systems von nöten ist.
Der stets postulierte Internationalismus, die Globalisierung, ist nichts weiteres als eine Worthülse, die spätestens seit letztem Jahr einer Realität weichen muss, die Diskussion dahingehend jedoch in eine fatale Richtung geführt wird. Es bedarf dabei gar nicht des Studiums der schweren Bücher der Ökonomie und jener Theorien, um zum simplen Entschluss zu kommen, dass das System, welches darauf baut, einen Faktor auszubeuten, um zu bestehen, kein Konzept für die Ewigkeit ist. Die nun resultierende Flüchtlingsbewegung ist einerseits ein Produkt der Zerstörung kompletter Staatsstrukturen, die eine moralische als auch soziologische Radikalisierung provozierte, doch die Regeln der kapitalistischen Produktion nicht negiert. Andererseits ist eben jene Staatszerstörung eine Konsequenz der immanenten, kapitalistischen Logik, die durch ihren (Irr)Glauben der stetigen Verfügbarkeit der Ressourcen, um den Status quo zu erhalten, die Versklavung der Menschheit legitimiert, wenngleich mittels einer hässlichen (Selbst)Moral. Dass nun eine, ja, Völkerwanderung stattfindet, die sich der Regel widersetzt, die der Kapitalismus postuliert, um jenen Ort zu erreichen, der dem Paradies anmutet, will man ihnen nicht wirklich übel nehmen. Dementsprechend propagandistisch fallen auch die Argumente aus, die teils darauf zielen, die Menschen nationalgebunden am Ort zu wissen, um für den Aufbau eds zerstörten Landes zu kämpfen. Eine nur oberflächlich progressive Argumentation, wenn wir dabei bedenken, was und wer für das Elend zuständig ist. Allerdings verkommt die Interpretation des gesellschaftlichen System zu einer Entwicklung, die näher an der eigentlichen Wahrheit ist, womit der Deckmantel nach und nach aufgegeben wird. In Deutschland wird das durch die AfD sehr deutlich, die den Nationalismus betont, ergo jenen per definitionem hervorhebt, um (Mit)Schuld und Unschuld zu verdeutlichen. Will sagen: Deutschland ist nicht deswegen ein Wohlfahrtsstaat, weil es Deutschland ist, sondern weil es das Glück hatte, auf der „richtigen“ Seite des Kapitalismus zu stehen. Dieser Vorwurf wird nun an die Flüchtlinge herangetragen, die aus Syrien und dem Irak fliehen, um spätestens seit Köln auch eine amoralisch Auseinandersetzung zu führen, wonach „nordafrikanischen“ Menschen prinzipiell eher eine Gewalttat zuzumuten wäre, weil dies kulturell und ethnisch so bedingt sei, wie immer häufiger von der Neuen Rechte verkündet wird.
Die eigentliche Diskussion, auch in Deutschland, folgt nun dem Diskurs, den eigen Wohlstand zu sichern, und ihn nicht mit jenen zu teilen, die im historischen Anbetracht dafür verantwortlich sind. Diese Menschen werden dann in „Kriegsflüchtlinge“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ geteilt, als bestünde ein wirklicher Unterschied, der nur in der Dialektik zu finden ist, und einzig dazu dient, die „gute“ Seite der Medaille zu wahren. Natürlich ist es schrecklich, dass Regenwälder abgeholzt werden, aber auf meine Nutella will ich nicht verzichten. Kinderarbeit in der Elfenbeinküste ist etwas furchtbares, doch ein Schokolädchen wird doch niemandem schaden. Miserable Löhne für die Arbeiterinnen in bengalischen Fabriken die meine Schuhe produzieren, aber woher soll ich sie sonst nehmen? Ja, der Einzelne kann sehr wenig daran etwas ändern, es ist eine politisch, ja, will sagen, eine globale, internationale Aufgabe. Es ist der denklich falsche Weg, diese Menschen abzuweisen und für etwas zu beschuldigen, vorverurteilen oder zu erschießen, weil sie vor dem Elend fliehen, was „wir“ angerichtet haben. Die Hierarchisierung des Kapitalismus ist nicht nur global zu erblicken, sondern auch innereuropäisch. Der Reichtum verbarrikadiert sich, weil es sich der Verantwortung nicht stellen will. Ob das nun den Selbstmord in Griechenland auslöst oder das geenterte Flüchtlingsboot vor der Ägäis. Wir schaffen das.
Kommentare 3
Ach Nachtmädchen, wie gelassen und sachlich Du doch diesen Wahnsinn in Worte fasst.
Selbst bin ich inzwischen so weit, zu sehen, dass ich nicht anders als meine Urgroß- und Großeltern, eine elende Mitläuferin in einem faschistischem Selektionsapparat bin, mein Leben lang akzeptierend, dass meine Bequemlichkeit auf dem Elend und dem Tod von hunderten Millionen basiert, der Armut von Milliarden.
Ich hab für mich beschlossen dem ein Ende zu machen, auf Wanderschaft zu gehen und nicht nur minimalistisch, sondern radikal frugal zu leben - leider wohl viel zu spät.
Irgendwann in meinen Jugendjahren wurde ich eine Idiotin und begann mich anzupassen - heute bin ich wieder auf dem Stand einer 17jährigen, die am liebsten die ganze Welt zertrümmern würde, um eine neue aufzubauen - nun, die persönliche kann man jederzeit in Trümmer legen - und genau das ist es, was jeder tun müsste um diesem System den Garaus zu machen.
Die Politik ist dem System ergeben und hörig, sie wird niemals eine Wende zu einer gerechten Gemeinschaft ebnen, schon alleine da die Politiker feudales Leben schätzen, die Trennung, die Spaltung, die Hierarchie genießen.
Dabei gäbe es inzwischen schon an die 100 Millionen Europäer, die im Grunde nichts mehr zu verlieren haben, da sie ohnehin marginalisierte Notversorgte Bittsteller sind.
Doch es scheint weiter dunkel zu bleiben in den Gedanken, man hadert mit seinem Schicksal, anstatt sich endlich auf die eigenen Beine zu stellen und frei zu leben.
Nun, ich tu es!
Ach Nachtmädchen, wie gelassen und sachlich Du doch diesen Wahnsinn in Worte fasst.
Selbst bin ich inzwischen so weit, zu sehen, dass ich nicht anders als meine Urgroß- und Großeltern, eine elende Mitläuferin in einem faschistischem Selektionsapparat bin, mein Leben lang akzeptierend, dass meine Bequemlichkeit auf dem Elend und dem Tod von hunderten Millionen basiert, der Armut von Milliarden.
Ich hab für mich beschlossen dem ein Ende zu machen, auf Wanderschaft zu gehen und nicht nur minimalistisch, sondern radikal frugal zu leben - leider wohl viel zu spät.
Irgendwann in meinen Jugendjahren wurde ich eine Idiotin und begann mich anzupassen - heute bin ich wieder auf dem Stand einer 17jährigen, die am liebsten die ganze Welt zertrümmern würde, um eine neue aufzubauen - nun, die persönliche kann man jederzeit in Trümmer legen - und genau das ist es, was jeder tun müsste um diesem System den Garaus zu machen.
Die Politik ist dem System ergeben und hörig, sie wird niemals eine Wende zu einer gerechten Gemeinschaft ebnen, schon alleine da die Politiker feudales Leben schätzen, die Trennung, die Spaltung, die Hierarchie genießen.
Dabei gäbe es inzwischen schon an die 100 Millionen Europäer, die im Grunde nichts mehr zu verlieren haben, da sie ohnehin marginalisierte Notversorgte Bittsteller sind.
Doch es scheint weiter dunkel zu bleiben in den Gedanken, man hadert mit seinem Schicksal, anstatt sich endlich auf die eigenen Beine zu stellen und frei zu leben.
Nun, ich tu es!
eine globale, internationale Aufgabe – yip
der denklich falsche Weg, diese Menschen abzuweisen und für etwas zu beschuldigen… - yip.
Die Hierarchisierung des Kapitalismus ändert sich allerdings in keiner Weise bei der Entscheidung, wie viele Flüchtlinge (und Zuwanderer) nach Deutschland kommen. Es ist schon eher so, dass die Kräfte derjenigen, die der Hierarchisierung des Kapitalismus entgegen arbeiten könnten in direkter Flüchtlingshilfe verbraucht werden. Mit zunehmender Anzahl Flüchtlinge steigt auch die Bandbreite der Hierarchisierung, die soziale Schere geht weiter auf. Und wie Ihre Überschrift richtig darstellt, die Flüchtlinge kommen aus kapitalismuskompatibler Motivation, eine Verschiebung des Diskurses in Richtung Kritik am Kapitalismus ist von ihnen nicht zu erwarten.