Der geschlechtsübergreifende Rassismus

NSU-Prozess Die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe bricht partiell ihr Schweigen und hält uns einen Spiegel vor bzgl. unseres Verständnisses des Rechtsradikalismus.

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Der Prozess, der sich um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ und dezidiert Beate Zschäpe sowie ihre Rolle dreht, wurde am 6. Mai 2013 eröffnet. Der NSU, der 2000 das erste mal tätlich in Erscheinung trat, ist maßgeblich verantwortlich für zehn Tote und 23 Verletzten. Vom Trio, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ist nur noch letztere am Leben, da sowohl Mundlos als auch Böhnhardt am 4. November 2011 das Leben nahmen. Keiner der anwesenden Jurist*innen, Kläger*innen und zugelassenen Journalist*innen konnte 2013 ahnen, dass sich der Fall über Jahre ziehen wird, was ausschließlich an der Haltung der Hauptangeklagten lag, die sich ein radikales Schweigen verschrieb, unterstützt von ihren damaligen drei Anwält*innen Stahl, Sturm und Heer. Bereits vor wenigen Monaten schien die Beziehung zwischen ihnen auf die Probe gestellt zu werden, als Zschäpe die Entbindung jener Verteidiger*innen beantrage, was sie vor kurzem, auch, dahingehend begründete, sich von dem vermeintlich aufgezwungenen Schweigen zu lösen. Widersprüchlich hierbei ist indes die nur dezente Öffnung zur Juristerei, da eine mündliche Vernehmung bis dato ausblieb, obgleich Richter Götzl Zschäpe anhielt, sich wenigstens öffentlich zu ihrer „Biographie“ zu äußern. Die Worte, die Zschäpe bereits durch ihren Wahlverteidiger Grasel verlauten ließ, brachten allerdings keine weiteren Erkenntnisse zum Fall, sondern fungierten mehr als persönlicher Mechanismus, sich als das zu präsentieren, wie es so oft der Fall ist, wenn es um rechtsradikalen Terror oder dergleichen geht: als nichtwissende, höchstens teilwissende, aber stets verurteilende Unschuldige in einem (un)überschaubaren Komplex. So beschreibt sie sich selbst, im strikten Kontrast zur Angabe der Staatsanwaltschaft und Bekannten, die sie als „überzeugte Rechtsextremistin“ und „robuster im Umgang als normale Frauen“ bezeichneten und beschrieben, als eine zwar ideologisch gefestigte, aber schizophrene Persönlichkeit, in dem sie vor Gericht die Taten von Böhnhardt und Mundlos als „entsetzlich“ verurteilte, gleichzeitig jedoch, in der Funktion als schwächstes Glied im Trio, diametral zur (inszenierten?) Selbstwahrnehmung, als willensstarke Frau präsentiert, als es um die Frage ging, ob das Trio das Land verlassen sollte, oder eben nicht. Auffällig ist auch, dass sie sich lediglich zum V-Mann Brandt, der maßgeblich für den „Thüringer Heimatschutz“ Verantwortung zeigte, belastete, die weiteren Angeklagten des Prozess allerdings nicht, was lediglich dazu dient, um die (Teil)Schuld zu abstrahieren, dem Staat den Mord zuzuschreiben.

Der Fall Beate Zschäpe im Zusammenspiel mit dem Versagen des Verfassungsschutzes zeigt deutlich die Diskrepanz zwischen den Geschlechtern auf. Der Nationalsozialismus respektive die Ideologie des Rechtsradikalismus wird auch im 21. Jahrhundert weiterhin als tradiert maskulines betrachtet, in dem konservative Werte wie die Stärke (des Mannes) und die Robustheit exemplarisch herhalten. Dass diese Vorstellung kaum zu halten ist, ist durchaus bekannt, jedoch kein gesellschaftlicher Konsens, da (physische) Brutalität und Terrorismus weiterhin mit dem Mann in Verbindung gebracht wird, was auch als Spiegelbild gesellschaftlicher Geschlechtsstrukturen dient. Dabei verübten auch Frauen aus dem Rechtsterrorismus Anschläge, wie in der 1980er Jahren, als eine Frau aus der rechtsradikalen „Deutschen Aktionsgruppe“ einen Anschlag verübten, bei dem zwei Vietnamesen verstarben. Diesem gefährlichen Duktus verschrieben ist (oder war nun?) auch der Verfassungsschutz, der den NSU größtenteils nur als ein männerdominiertes Netzwerk verstand, und somit einen Hinweis auf eine mutmaßliche, weibliche Unterstützerin geflissentlich ignorierte. Die Brutalität oder die Möglichkeit, (physisches) Leid zuzufügen, macht an keinen, geschlechtlichen Strukturen halt, der Unterschied findet sich in der Art und Methodik wider. „Bei der Einstellung in Sachen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, Homophobie liegen Frauen und Männer im Großen und Ganzen ziemlich gleichauf“, sagte Renate Blitzan, Expertin für Rechtsextremismus in einem Interview, und zeigt damit augenscheinlich die (visuellen) Verschiebungen. Die Ideologie des rechten Radikalismus wird auch weiterhin mit Helden- und Soldatentum assoziiert, womit die Maskulinität unterstrichen wird, dabei jedoch auch die Unsichtbarkeit der Frau im Hintergrund weiterhin maskiert, da an diese Ideologie auch das Bild wertkonservativer Geschlechtsstrukturen gebunden ist. Diesem Widerspruch zum trotz finden sich immer häufiger auch im rechten Kreis Frauen in hohen Positionen und Ämter, wie die Nationalfront (FN) in Frankreich Eindrucksvoll zeigt. Der aktuelle Unterschied zwischen Zschäpe und le Pen ist letztlich derer, dass Zschäpe den rechten, physischen Terror mit hoher Wahrscheinlichkeit maßgeblich förderte, sowohl ethisch als auch direkt unterstützend. Die Hand zur Waffe, der Weg zum Terror allerdings ist nicht die Präambel einer Ideologie, sondern deren Auswirkung und Realisierung.

Der Schizophrenie der Geschlechter im Rechtsradikalismus wird sich die öffentliche Gesellschaft stellen müssen und auch die Frauen in dieser Ideologie als das bezeichnen, was sie sind: „mutmaßlich rassistische, menschenverachtende Täterinnen“ (Zitat „Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus“ aus dem Jahre 2011)

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