Deutschlands liebe zur Kälte

Clausnitz Und wieder wird ein Ort in Sachsen Zentrum einer deutschen Hässlichkeit, die sich selbst nicht überleben wird. Traumatisierte Kinder unter "bürgerlichem" Gejohle.

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„Wir sind das Volk!“ schreien sie, als sich die Angst auf den Gesichtern der Kindern im Bus zeichnete. Ein wütender Mob, der einen Bus vor einem Flüchtlingsheim umzingelt, deren Aggression in der Stimme nicht zu überhören ist, derweil ein Kind, das sich weigert, den Bus zu verlassen, von einem der anwesenden Polizisten schroff herausgezogen wird, unter tosendem Gejohle des „besorgten Bürgertums“. Die Polizei schaut nicht weg, sie schaut zu. Traumatisierte Frauen und Kinder werden einer Situation ausgesetzt, die sowohl moralisch als auch psychologisch äußerst bedenklich ist. Kaltland Deutschland hat ein neues Gesicht bekommen. Das sächsische Clausnitz als Sinnbild der neuen, deutschen Hässlichkeit. Das Video, das derzeit im Netz zu finden ist, und einen Auszug dessen zeigt, komprimiert das Versagen der deutschen Politik sowie das Erstarken des deutschen Hasses auf einen gemeinsamen Punkt: „Wir schaffen das“ heißt nicht mehr, eine progressive Wilkommenskultur zu zelebrieren, sondern es heißt, das posttraumatische Kind in ein Flüchtlingsheim zu stecken, welches nach Angaben des ZDF von einem Mitglied der AfD geführt wird. Als würde ein NSDAP-Mitglied Jüdinnen und Juden retten, um es mit venenösem Zynismus zu sagen, doch ein Schindler findet sich in der AfD nicht. Dieser Vorfall, ein Einzelfall vieler Einzelfälle!, ist kein Spiegelbild der Gesellschaft, sondern eine Reflexion der einen Medaille. Natürlich ist es richtig, dass es auch positive Erfahrungen gibt, und das nicht zu knapp, doch die Hässlichkeit der anderen Seite vermag diese Momente stets zu überschatten. Allerdings ist es der falsche Weg, wie jüngst ein Leserkommentar in der taz forderte, mehr über die positiven, gelungenen und weltoffenen Fälle zu berichten, um Kaltland die Stimme zu nehmen. Wenn Deutschland blutet, gilt es, für die Genesung einzustehen, ganz gleich, wie emotional aufwühlend das auch sein mag. Der Kampf gegen die protofaschistische und kryptorassistische Entwicklung des Bürgertums ist ein Kampf aller Menschen, die sich der Geschichte bewusst sind. In Österreich wurde jüngst von der FPÖ gefordert, den Flüchtlingen aus „Ausgehverbot“ aufzuerlegen, wie es nicht nur in der Tradition Donald Trumps steht, der Muslima und Muslime kennzeichnen lassen möchte, sondern auch direkt in der nationalsozialistischen. Ersetzte „Flüchtling“ durch „Jude“, und man wird erkennen, dass sich eine Geschichte bedrohlich zu wiederholen mag.

Rostock-Lichtenhagen, Freital, Clausnitz. Das sind Synonyme, die der politischen Rechte nur konsequent in die Hände gespielt werden, die die Schließung der Grenzen fordern, um in einer widerlichen Doppelmoral genau jene Ausschreitungen der „Willkommenskultur“ ankreiden wollen. „Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage 'was ist deutsch?' niemals ausstirbt. Die deutsche Seele ist vor Allem vielfach, verschiedenen Ursprungs, mehr zusammen- und übereinandergesetzt, als wirklich gebaut: das liegt an ihrer Herkunft.“, schrieb Friedrich Nietzsche bereits 1886 in seiner Schrift „Jenseits von Gut und Böse“. Als sich der deutsche Nationalismus zu formieren glaubte, formulierte er bereits die Diskrepanz, die in ihr aufkommt. Doch auch Clausnitz wird die Kräfte, die immer selbstbewusster werden, nicht stoppen. Die Funktion der Polizei führt auch eindrucksvoll das weitere Versagen der Politik vor Augen. Doch wie ist damit umzugehen? Der Fremdenhass in Deutschland ist kein nationales Problem mehr, sondern wird weltweit diskutiert, so fand auch im The Guardian Clausnitz eine Stimme. Deutschland ist Zentrum einer „Flüchtlingskrise“ geworden, das nur verlieren kann, da die europäischen Partner die Grenzen entweder dicht machen oder kaum ernsthafte Kontingentvorschläge fordern. Doch die Stimme versagt. Nein, ich schäme mich als Deutsche für Clausnitz. Ich schäme mich für die dortige Polizei. Ich schäme mich, angesichts der vor Angst gekennzeichneten Gesichtern der Kinder. Die Forderung, dass Auschwitz nie wieder sei, beinhaltet auch genau jenes. Nie wieder Clausnitz darf nicht in den Geschichtsbüchern Eingang finden, um unsere Kinder und deren Kinder ein Mahnmal zu setzen.

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