Die Teil-Kriminalisierung des Suizids

Suizidbeihilfe Der deutsche Bundestag beschließt die Bestrafung der erwerbsmäßigen Tötung. Das zwingt den "Suizidwilligen" nur weiter in die Tabuisierung.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der deutsche Bundestag hat heute beschlossen, die „Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe zu stellen. Zur Abstimmung des Gesetzesentwurfs wurde der obligatorische Fraktionszwang aufgehoben, das zur Folge hatte, dass es in allen Fraktionen sowohl Befürworter*innen als auch Ablehner*innen des Entwurfes vorkommen. Das Gesetz sieht vor, „die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe“ zu stellen, nimmt jedoch ausdrücklich „Angehörige und andere dem Suizidwilligen nahestehenden Personen…von der Strafanordnung“ aus, sofern sie nicht „geschäftsmäßig“ handeln. Unter der Geschäftsmäßigkeit versteht man wohl, aus dem Wunsch des Todes einer Person Kapital zu schlagen, sprich die moralische Aufarbeitung dessen wird lediglich verschoben, wohlwissend, dem „Suizidwilligen“ eine Hürde aufzubürden. Dem Entwurf liegt es wohl sehr am Herzen, eine „Normalisierung“ der Selbsttötung zu verhindern, da die Politiker*innen, die hinter jenem stehen, davon ausgehen, dass eine Liberalisierung der Selbsttötung die Nachfrage dessen steigern könnte. Es wird argumentiert, dass eine weiterreichende Bestrafung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, allerdings wird alleine mit der Illegalisierung der Geschäfte, die sichere und begleitende Methoden für „Suizidwillige“ anbieten können, gerade jene Würde des Menschen angetastet, die sie zu verteidigen gedenken. Wer nun meint, dass eine Enttabuisierung des Suizids Menschen aller Altersgruppen motivieren würde, das Leben zu beenden, der begreift zwei grundlegende Dinge nicht: erstens ist an dem Recht zu Leben keine Verpflichtung geknüpft, heißt, es gibt keine juristisch zementierte Bindung an das Leben. Zweitens ist der Mensch in der Regel so gestrickt, das Beste aus einem Leben zu machen; der Suizid wird nach wie vor, ob nun liberalisiert oder tabuisiert, ein Thema, das das Grundsätzliche des Menschen in Frage stellt: das Sein. Dieses Gesetz kriminalisiert die „Suizidwilligen“ nicht per se, doch zwingt sie in eine Lage der, nun, parlamentarisch unterstreichenden, Notwendigkeit einer Gefahrenabwägung. Wenn der „Suizidwillige“ nicht die Möglichkeit bekommt, den Suizid professionell begleitend einzuführen, so wird er sich Methoden zu Gemüte führen, die entweder die Sicherheit des Suizids drastisch in Frage stellen, Dritte in eine (Halb)Illegalität treiben oder unmittelbar gefährden.

Die Freiheit des Lebens ist unabdingbar an die Freiheit des Todes geknüpft. Genauso wie Patient*innen in Deutschland eine lebenswichtige Behandlung verneinen können, muss ihnen jede Möglichkeit offen sein und angeboten werden, um selbstbestimmte Wege aus dem Leben zu begehen und verstehen. Der Suizid wird immer noch an eine psychiatrische Pathologie geknüpft; die gesellschaftliche Diskussion diesbezüglich wird in ein Gebiet verfrachtet, in dem suizidale Menschen unisono als „krank“ bezeichnet werden. Es ist unbestritten, dass suizidale Gedanken Teilsymptome einer Erkrankung sind und psychiatrisch relevante Erkrankungen solch Gedanken provozieren, doch wer gibt uns das Recht, jene Gedanken zu tabuisieren und zu pathologisieren? Es ist immer noch Konsens, dass ein psychisch gesunder Mensch, der den Suizid als (Fern)Ziel betrachtet, nicht als solcher wahrgenommen wird. Denn die Gesellschaft gibt uns eine Normalität vor, in der der Tod schlicht nicht präsent sein darf, resp. lediglich als das finale Ende. Der Tod bleibt so lange abstrakt und fern, bis er entweder im direktem Umfeld Thema wird oder der Mensch selbst eine Krankheit erfährt, die die Gedanken an den Tod erlauben. Jedwede Bestrafung sowohl persönlicher als auch gewerbsmäßiger Beihilfe zum Tod eruiert in eine moralische Position, die sagt, dass aus dem Leid anderer kein Kapital geschlagen werden darf (wohlwissend, dass lebenserweiternde Maßnahmen kostspielig sind!) und der Wunsch des Todes in die Privatsphäre der anderen gezwängt wird, was nur dazu führt, ihn weiter in eine Tabuisierung zu zwängen, da eine öffentliche Debatte dadurch gedrückt wird. Die Entscheidung des deutschen Bundestags, bei dem sowohl CDU, CSU, SPD als auch Linke und Grüne Ja-Stimmen vergaben, zeigt auch, dass dieses Thema an keine politische Ideologie geknüpft ist, obgleich es Abstufungen und Extreme gibt. Jedoch wird gerade von den Ja-Sagern, die anscheinend im Geiste des Grundgesetzes handelten, die unantastbare Würde des Menschen in Frage gestellt.

Die Idiotie des Gesetzes wird gerade in der Formulierung dessen sichtlich:

„Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.“

Es werden nun also nicht die „Suizidwilligen“ bestraft, sondern jene Organisationen, die eine humane und begleitende Stütze zum Tod anbieten, um die „Suizidwilligen“ aus dem Schatten des Tabus zu holen, und um sie vor Methoden abzuhalten, die womöglich dritte Personen involvieren. Der deutsche Staat will also lieber, dass der „Suizidwillige“ weiterhin den Bahnverkehr berhindert und Personen traumatisiert oder alleine im Zimmer am Seil hängt, als eine professionelle und beratende Hilfe zu bekommen, die zwar für den Dienst entlohnt wird, jedoch dafür eine Sicherheit und Schutzzone gewährt, die viele „Suizidwilligen“ dann auch die Möglichkeit des Ausstiegs, sprich der Rückkehr zum Leben, erlauben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden