Linkspartei ohne Gysi. Dürfen die das?

DIE LINKE Gysi tritt ab, das Gespann Wagenknecht-Bartsch übernimmt den Fraktionsvorsitz. Was bedeutet das für die Partei?

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Man kann von Gregor Gysi denken, was man will, aber er spielte eine zentrale und richtungsweisende Figur für die politische Linke nach Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus. Nach dem radikalen personellen und programmatischen Wandel etablierte er seine PDS zuerst in den neuen Bundesländer als soziale Alternative, bis sie 2007 dann mit der linken Abspaltung der SPD, der WASG, zur gesamtdeutschen Linkspartei geworden ist, mit dem selbsternannten Ziel, den Kapitalismus mit friedensstiftenden Reformen zu überwinden. Er präsentierte sich stets als Pragmatiker, und trotz seines rhetorischen Talentes, vermochte er keiner der Strömungen wirklich Präsenz zu verleihen, obgleich er inhaltlich auf einen Reformismus baute, wie er letztens im Gespräch mit Thilo Jung erklärte, da er die positiven Seiten des Kapitalismus beibehalten möchte. Solche Aussagen hört der linke Flügel ungern, der in gewissen Teilen revolutionäre Theorien propagiert und auch rote Linien setzt, wenn es um die Frage der Regierungsbeteiligung bestimmt ist. Das Projekt einer pluralistischen Linkspartei scheint unter der Schirmherrschaft des 1946 geborenen Berliner Rechtsanwalts geglückt, doch die Mär des Kompromisses zwischen einem gleichgesetzten Pluralismus und dem Konsens, Ämter in Regierungen zu besetzen wird sich nun, nach dem die berühmteste, vermittelnde Person den Vorsitz abgibt, der Realität stellen müssen. An der Stelle seiner treten zwei Vertreter des linken und rechten Flügels vor, die eine, Sahra Wagenknecht, bis 2010 führendes Mitglied der traditionslinken, kommunistischen Plattform, und der andere, Dietmar Bartsch, der vor geraumer Zeiten eine Liste anfertigen ließ, um die Linkspartei immerhin formell und organisatorisch in „Vertrauenswürdige“ und „Lafodödel“ einzuteilen. Dass nun ein Kompromiss zwischen eher reformistischen Ideen und eher revolutionären Ideen schwer zu finden ist, zeigt auch die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, die im letzten Jahrhundert mehrere Spaltungen ertragen musste, auch innerhalb bestehender Strukturen.

Der Traum, das Gros der linken Ideen zu einem Projekt zu vereinen, in einer Organisation zu wissen, mag angesichts der pluralistischen, parlamentarischen Strukturen vernünftig klingen, doch erscheinen sie im kapitalistischen System obsolet, da auch der parlamentarische Sieg einer linken Partei den Kapitalismus nicht überwinden wird, wie es sich die deutschen Linken ins Parteibuch schrieben. Die Lehre Griechenlands und Alexis Tsipras, der im Laufe der Verhandlungen mit den Institutionen zuerst im Sommer die Abspaltung des linken Flügels nicht verhinderte, und später auch „regierungskritische“ Genoss*innen entmachtete, muss als Paradebeispiel herhalten, wie das Projekt der pluralistischen Linken sich in einer Regierungsverantwortung verhält. Und das ist kein nationales Phänomen, da die ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen in nahezu allen europäischen und westlichen Staaten übereinstimmen. Die unabdingbare Solidarität mit Syriza auf Seiten der deutschen Linkspartei liest sich als dialektischer Widerspruch, da einerseits die parteieigene Spaltung in Kauf und befürwortet wird und andererseits der Kapitalismus in seinem Wesen akzeptiert wird, da das Brüsseler Diktat zwar kritisiert wird, im Sinne von Syriza jedoch akzeptiert, was nicht so wäre, würde eine andere Regierung unter den selben Voraussetzungen dort agieren. Die Gefahr der bedingungslosen Solidarität eruiert in der Selbsterkenntnis, das eigen Scheitern und Fehlverhalten nicht reflektiert zu verarbeiten, sondern als gesetzmäßige Eigenschaft hinzunehmen. Den Fehler ständig beim System zu suchen mag für die politische Linke bequem und auch folgerichtig sein, doch die Lösungsansätze ersticken meist im Keim, wenn die Frage des Parlamentarismus gestellt wird. Infolge des Wahlerfolgs der Syriza wurde jene parlamentarische Komponente praktisch ausgehöhlt, was nun nicht der Linken zugeschrieben werden kann, jedoch sollte es den Blick schärfen, um Alternativen zu entwickeln, die solch Geschehnisse wie in Griechenland nicht zur Normalität erklären, wenn jetzt beispielsweise auch linke Kräfte auf der iberischen Halbinsel die Mehrheit erlangen. Die Frage, die sich die deutsche Linkspartei stellen muss, ist nicht die Zusammenführung der Unmöglichkeit, sondern der radikalen Positionierung. Inwiefern der pluralistische Charakter der Partei gewahrt werden kann, wenn sich gewisse Punkte diametral im Wege stehen (die gesellschaftsliberale, emanzipatorische Linke, die sich um Katja Kipping sammelt, befürwortet beispielsweise das BGE, die gewerkschaftsnahe Sozialistische Linke mit Verweis auf der Konzentration auf eine Wirtschaftsdemokratie lehnt das Konzept indes ab.), ist bei solch Diskussionen dann auch kaum ein diskussionswürdiges Thema.

Durch die Fokussierung auf den rechten und linken Flügel wird die vermittelnde Person nicht ersetzt, sondern außer Kraft gesetzt. Die Partei muss sich fragen, ob sie nun in naher Zukunft lieber die SPD als neue, sozialdemokratische Kraft beerben soll, sich dabei auf Willy Brandt beziehend (den die Partei ohnehin schon für sich vereinnahmt hat), oder will sie eine linke, alternative Stimme aufbauen, die sich sowohl von der Sozialdemokratie absetzt, als auch vom dogmatischen, autoritären Sozialismus, um folgerichtig eine linkssozialistische Kraft zu bedienen, wie sie bereits in den frühen Anfangstagen der SED diskutiert wurden? In der modernen Politik sind Verweise auf theoretische Schriften oder vergangene Konzepte unter Missbrauch verschiedener Theorien obsolet, da eine Veränderung und ein Wandel nicht durch die Theorie entsteht, sondern durch die Praxis, und dies auch nur durch konsequente Formulierungen, wie diese Alternative auszusehen hat. Dass die Frage nicht nur national beantwortet werden kann, steht in einer globalisierten Welt außer Frage, und dennoch muss erst an der Basis beantwortet werden, wohin die Reise gehen soll. Ob die postgysi'sche Linkspartei nun den Sozialist*innen unter Federführung von Sahra Wagenknecht folgen soll oder den Pragmatiker*innen unter Dietmar Bartsch, soll und muss die allgemeine Frage bleiben, die es immer zu diskutieren gilt, denn ein Kompromiss wird nur temporär funktionieren. Der linke Pluralismus ist eine romantische Idee, verhaftet einer Utopie, das Unmögliche zu vereinen. Doch wird der Pluralismus homogen, und eigene Ideale und Werte werden verraten, wurde auch der Pluralismus an sich überwunden. Denn dies ist die Folge, alternativ zur Spaltung. Ob nun Rot-Rot-Grün Wirklichkeit werden kann oder nicht, wird in der Fragestellung obsolet, wenn die Partei noch in der Selbstfindungsphase ist.

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