Der blinde Fleck der Klimabewegung

Klimawandel Eine antikapitalistische Grundhaltung ersetzt keine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Mathematik und den technischen Problemen des notwendigen Wandels

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Über die kommende „Heißzeit“ wird mehr geschrieben und geredet als je zuvor. Doch zumindest der linke Teil der Klimabewegung dreht sich dabei im Kreis: Anstatt den Stand der Klimawissenschaft aufzugreifen, wie er zum Beispiel im jüngsten Bericht des Weltklimarats zum Ausdruck kommt, wird ein überaus gleichgültiger Umgang mit Zahlen, technischen und auch gesellschaftlichen Fragen gepflegt: Am Ende soll es dann mal wieder der antikapitalistische „Systemwechsel“ richten. Das ist realitätsfremd. Zu den Beispielen aus jüngster Zeit zählen – neben vielen anderen – leider auch zwei aktuelle Texte aus dem "Freitag".

Der Klimawandel ist in aller Munde: Der heiße Dürresommer, der Kampf um den „Hambi“, die Kohlekommission, jetzt die Klimakonferenz in Kattowice und immer wieder der alarmierende 1,5°-Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) haben die drohende und bereits beginnende Katastrophe schärfer ins öffentliche Bewusstsein gerückt als je zuvor. Gut so, denn immer unübersehbarer wird auch: Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit, und dies mit weitem Abstand. Er ist, genaugenommen, der einzige Maßstab, an dem unsere Generation eines Tages gemessen werden wird.

Sicher, es gibt auch viele andere Probleme: die Digitalisierung, die sich öffnende soziale Schere, die wachsende Demokratiemüdigkeit, um nur einige zu nennen. Doch diesen letzteren Problemen ist gemein, dass – egal, was wir heute falsch oder richtig machen – unsere „Lösungen“ im Zweifel von der nächsten Generation auch wieder korrigiert werden können. (Unter Umständen zu einem hohen Preis, aber immerhin.) Mehr noch: Wie eine sozial gerechte Verteilung aussieht, oder wie wir unsere Gemeinwesen zwischen Freiheit und Sicherheit, zwischen gleicher Teilhabe und Hierarchisierung organisieren – das sind Fragen, die so oder so jede Generation wieder neu für sich beantworten muss. Der Klimawandel hingegen ist einzigartig und unerbittlich: Wenn es unserer Generation nicht gelingt, einen Weg in die Null-Emissionen-Wirtschaft zu finden – ein Ziel, das weit über die Energieversorgung hinausgeht – droht nicht weniger als der Kollaps der industriellen Moderne. In einer Welt, in der Verteilungskriege um schwindende Ressourcen eskalieren bis infolgedessen die globalen Produktionsketten zusammenbrechen, würden letztlich auch die Energiequellen versiegen, von denen das Leben der weitaus meisten Menschen heute abhängt. Am Ende wäre es die unüberschaubare Zahl der Toten, das Verschwinden der Menschen selbst, das die Emissionen „final“ zum Sinken bringt.

Wem das zu düster klingt, sollte sich Folgendes vergegenwärtigen: Wir alle kennen die dramatischen Bilder, mit denen die drohende „Heißzeit“ illustriert wird, von den Buschfeuern und Waldbränden bis hin zu den überfluteten Küstenregionen und Städten. Zu selten denken wir über die andere Seite der Katastrophe nach, nämlich unsere Abhängigkeit von der beständigen Verfügbarkeit immenser Energiemengen: Allein wenn die Herstellung von Stickstoffdünger im Haber-Bosch-Verfahren endet, „endet“ sehr bald auch die Hälfte der Menschheit, wie etwa Energiehistoriker Vaclav Smil betont: Ohne den Dünger gäbe es all diese Menschen gar nicht.

Das Haber-Bosch-Verfahren alleine verschlingt 1-2 % des Weltprimärenergieverbrauchs und ist für bis zu 5 % der CO2-Emissionen verantwortlich, doch es ist auch das „Geheimnis“ hinter den enormen Ertragssteigerungen unserer Landwirtschaft im 20. Jahrhundert. Insgesamt hat sich die Menge anthropogener Energie, die wir Jahr für Jahr in unsere Landwirtschaft pumpen, im Laufe des 20. Jahrhunderts ver130-facht (von 0,1 auf 13 Exajoule). Und noch immer sind dies zu über 80 % fossile Energien.

Die Vorstellung, dass unsere Kartoffeln dank der Kraft der Sonne wachsen, ist also „ein trauriger Irrtum“, wie der US-Ökologe Howard Odum bereits Anfang der 70er Jahre feststellte: „Im Industriezeitalter isst der Mensch Kartoffeln, die zum Teil aus Öl bestehen.“ Wenn Naomi Klein, die Galionsfigur der kapitalismuskritischen Klimabewegung 2015 in ihrer Democracy Lecture erklärte, es sei teuer „sich der fossilen Brennstoffe zu entwöhnen, wenn doch die ganze Wirtschaftsweise auf ihnen beruht“, muss man ergänzen, dass es tatsächlich viel schlimmer ist: Nicht nur unsere Wirtschaftsweise beruht auf fossilen Rohstoffen, es ist längst auch unser Leben selbst, das auf der stofflichen Basis fossiler Rohstoffe beruht. Hinzu kommt: Sollten die Öl-Kartoffeln irgendwann fehlen, werden die Verhungernden sich kaum friedlich zum Sterben niederlegen, sondern in ihrem Todeskampf noch den letzten Wald abholzen, den letzten Flecken Wildnis zu Ackerland machen und das letzte Bisschen fossiler Energie verbrennen, dessen sie habhaft werden. Für die Überlebenden bliebe ein öder, heißer Planet zurück – unumkehrbar.

Die Klimabewegung betont immer wieder gerne mit einigem Stolz, dass sie – im Gegensatz zu den Klimaleugnern – „die Wissenschaft“ auf ihrer Seite habe. Nun ist der 1,5°-Bericht des IPCC nicht irgendeine Studie unter vielen, sondern eine Zusammenfassung des aktuellen Stands der Klimawissenschaft: Der Bericht ist eine Gemeinschaftsarbeit von 91 wissenschaftlichen Autoren und Reviewern aus 40 verschiedenen Ländern, die zu diesem Zweck mehr als 6.000 wissenschaftliche Arbeiten zusammenstellten und 42.001 Kommentare von Experten und Regierungen bearbeiteten. Einer der Kernkonflikte in der gerade zu Ende gegangen Klimakonferenz in Kattowice drehte sich um die Frage, wie man zögernde Länder dazu bekommt, den Bericht offiziell anzuerkennen oder sogar zu begrüßen. Angesichts dessen ist es bedrückend zu sehen, wie Teile der Klimabewegung systematisch nur jene Teile der Wissenschaft zu Kenntnis nehmen, die ins eigene Weltbild passen: Bei jeder Gelegenheit wird gerne die im Bericht ausgedrückte Dringlichkeit betont, doch die Konsequenz aus dieser Dringlichkeit ignoriert: Wir brauchen Negativemissionen (und wahrscheinlich auch Atomenergie). Das ist keine politische Position, sondern der Stand der Klimawissenschaft. Eine Bewegung, die auf einem wissenschaftspositiven Weltbild gründet, sollte dies zu Kenntnis nehmen und sich nicht ins Lager der Leugner und Wissenschaftsverächter einreihen.

Die unerbittliche Mathematik des Kohlenstoffs

In ihrem Beitrag „Feuer am Horizont“ zum Klima-Spezial des Freitag (Nr.48, 29.11. 2018, S. 15) bezieht sich die Autorin Kathrin Hartmann zunächst zustimmend auf den 1,5°-Bericht und betont, „um katastrophale Auswirkungen abzuwenden [muss] der Ausstoß von Kohlendioxid bis 2030 um 45 % gegenüber 2010 reduziert werden“. Anschließend kritisiert sie jedoch, dass der IPCC für dieses Ziel auch mit Hilfe von „Negativemissionen“ (NETs) erreichen will, „also Verfahren, die der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen“. Dies ergibt keinen Sinn: Die Zahl von 45 % ergibt sich aus Modellrechnungen, die allesamt Negativemissionen voraussetzen: Ohne NETs keine 45 %!

Tatsächlich ist der Einsatz von NETs wie Aufforstung, CCS und BECCS zumindest für ambitioniertere Klimapolitik wie das 1,5°-Ziel inzwischen völlig alternativlos. Der Klimawandel und unsere Möglichkeiten, ihn zu verhindern, unterliegen letztlich einer brutalen Kohlenstoffmathematik: Ein bestimmtes CO2-Budget führt zu einer bestimmten Erwärmung. Soll die Erwärmung auf 1,5° C oder wenigsten 2° C begrenzt werden, um zumindest dem totalen Klimachaos zu entrinnen, ergibt sich daraus jeweils ein Restbudget noch möglicher Emissionen – und daraus wiederum die notwendige Geschwindigkeit, unsere jährlichen Emissionen zu senken. Kompliziert würde die Rechnung nur durch NETs: Je mehr Negativemissionen wir uns für die zweite Jahrhunderthälfte zutrauen, desto größer wird unser Restbudget.

Aber rechnen wir zunächst, wie es die Gegner dieser Technologie es müssen, also „ohne“. Dann sind die Zahlen düster: Hätten wir bereits im Jahr 2000 angefangen, die Emissionen zu senken, wäre zumindest das 2°-Ziel mit jährlichen Emissionsreduktion von 2 % zu erreichen gewesen. Beginnen wir sofort, müssten die Emissionen ab 2019 Jahr für Jahr um etwa 5 % pro Jahr schrumpfen. Bleiben die Emissionen noch weitere 10 Jahre konstant, steigt diese Zahl auf 9 %. Das 1,5° C-Ziel hingegen ist bereits schlicht außer Reichweite: Beginnend im nächsten Jahr müssten die Emissionen hierfür jährlich 18 % sinken!

Zum Vergleich: Im Jahr 2016 sank die Kohlenstoffintensität der Weltwirtschaft (CO2-Emissionen pro Dollar Wirtschaftsleistung) um etwa 2,6 %, was bereits ein Rekordwert ist. Das ist, was – bei Nullwachstum! – derzeit an CO2-Einsparungen durch Effizienzsteigerung, Ausbau sauberer Energien usw. möglich ist. Selbst wenn man sehr optimistisch rechnet und annimmt, durch zusätzliche Investitionen diesen Wert steigern zu können, müsste die Differenz durch Schrumpfen der Realwirtschaft geschlossen werden: Industrieanlagen stilllegen, Konsum einschränken, zum Beispiel den Spritverbrauch rationieren. Nimm man – extrem optimistisch – an, die Kohlenstoffintensität schrumpfe in Zukunft fast doppelt so schnell mit 5 % pro Jahr, müsste die Weltwirtschaft für das 1,5°-Ziel ohne NETs um 13 % sinken. Jahr für Jahr. Global. Über Jahrzehnte. Und soll es außerdem noch gerechter werden auf dem Globus, (und die Länder des globalen Südens nicht in den sicheren Hungertod schrumpfen) müssten die Schrumpfungsraten in den Industriestaaten wesentlich höher sein.

Welches Ereignis – unterhalb eines Atomkriegs oder eine globalen Pandemie – soll ein solches Schrumpfen ermöglichen? Ein solches Szenario käme als Apokalypse – als Kollaps der Industriegesellschaft – oder gar nicht. Die bittere Realität lautet daher: Ohne NETs ist das 1,5°-Ziel nicht mehr zu erreichen. (Und auch das 2°-Ziel versinkt schnell hinter dem Horizont des Machbaren: Im Jahr 2018 werden die Emissionen voraussichtlich um 2,7 % steigen!) Wer NETs trotz dieser Realitäten ausschließen will, sollte zugeben, dass er zumindest das 1,5°-Ziel bereits aufgegeben hat – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Leben auf dieser Erde.

Aus diesen Gründen enthält der 1,5°-Bericht des IPCC auch keinen Entwicklungspfad gänzlich ohne Negativemissionen: „Alle Pfade, die die globale Erwärmung auf 1,5° […] begrenzen, beinhalten das Entfernen von CO2 aus der Atmosphäre […] im Laufe des 21. Jahrhunderts.“ Die – was das Sinken der Emissionen angeht – optimistischeren Szenarien des Berichts sind allerdings eher Referenzszenarien, die praktisch kaum realisierbar sind: Geht man zum Beispiel vom „P1“ Szenario aus, müssten die CO2-Emissionen ab 2019 jährlich um 8 % sinken. Setzt man abermals überaus optimistische 5 % Effizienzgewinne pro Jahr an, bliebe ein „Degrowth“ im globalen Durchschnitt von 3 % – Abermals gilt: Damit diese Rechnung global aufgeht, müsste es in den entwickelten Staaten noch schneller nach unten gehen. 2030 hätte die globale Wirtschaftsleistung dann noch knapp 70 % des heutigen Niveaus, bei abermals gestiegener Bevölkerung. Anschließend müssten die Emissionen bis 2050 auf Null sinken, bevor in der zweiten Jahrhunderthälfte eine Fläche von der zweifachen Größe Argentiniens aufgeforstet werden müsste. Dies ist das einzige Beispielszenario, das ohne CCS-Technologien auskommt und allein auf „natürliche Negativemissionen“ durch Aufforstung setzt. Alle anderen Szenarien gehen von (teils deutlich) langsamerer CO2-Reduktion aus und verlassen sich zum Erreichen des 1,5°-Ziels in unterschiedlichem Ausmaß auf BECCS. In den Worten des IPCC: “Alle analysierten Entwicklungspfade, welche die globale Erwärmung auf 1,5° begrenzen, setzen in gewissem Umfang Negativemissionen ein, um Emissionen aus Quellen zu neutralisieren, die sich nicht Dekarbonisieren lassen. Die meisten Entwicklungspfade nutzen diese Technologie auch, um insgesamt netto-negative Emissionen zu erreichen und so nach einem Peak der CO2-Konzentration die globale Erwärmung wieder auf 1,5° zu reduzieren. Je länger es dauert, die CO2-Emissionen gegen Null zu reduzieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, 1,5° Erwärmung zu überschreiten und desto größer ist die daraus folgende Abhängigkeit von Netto-Negativemissionen, um nach der Jahrhundertmitte zu 1,5° Erwärmung zurückzukehren.” (SR1,5°, Kapitel 2, S.96) Anders gesagt: Je länger wir mit dem Einsatz von CCS und BECCS warten und so weitere Emissionen in Kauf nehmen, desto größer wird die Last für unsere eigenen Kinder, diese wieder aus der Atmosphäre entfernen.

CCS ist kein Geoengineering

Der IPCC-Bericht setzt ausschließlich auf (Wieder-)Aufforstung sowie Kohlenstoffabspaltung und -speicherung (CCS), insbesondere in Kombination mit Bioenergie (BECCS). Diese Technologien stellt Frau Hartmann (ebenso wie zum Beispiel die Böll-Stiftung) unter der Überschrift „Geoengineering“ in eine Reihe mit Ideen wie dem Ausbringen von Chemikalien in der Stratosphäre, um dort mehr Sonnenlicht zu reflektieren, also Solar Radiation Management (SRM) oder Ozeandüngung. Diese Zusammenstellung lenkt davon ab, dass der IPCC letztere Technologien gerade nicht einsetzen will und verwischt fundamentale Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen.

„Natürliche“ Negativemissionen durch Aufforstung und CCS, also die Technologien, die der Weltklimarat vorschlägt, haben gemein, dass sie das Problem dort lösen wollen, wo es entsteht, nämlich bei der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre. Ziel ist, den CO2-Anteil möglichst wieder auf jenes Niveau zu senken, das bestand, bevor die Menschheit mit der massenhaften Freisetzung von Treibhausgasen begann, also dem großen, unkontrollierten Geoengineering-Projekt, an dem wir alle teilnehmen. (Alternativ wäre natürlich auch jedes andere mit menschlichem Wohlergehen vereinbares CO2-Niveau akzeptabel.) Im Gegensatz dazu versuchen Technologien wie Solar Radiation Management (SRM) die Wirkung der CO2-Emissionen in der Atmosphäre mit zusätzlichen Emissionen zu bekämpfen. Da mögliche Nebenwirkungen dieser Technologien weitgehend ungeklärt aber vermutlich erheblich sind, lehnt der IPCC-Bericht SRM ausdrücklich ab (genauso wie einige „spekulativere“ NETs, die ähnliche Probleme wie SRM mit sich bringen, etwa das „Düngen“ der Ozeane).

Richtig ist, dass NETs missbraucht werden könnten, dringend nötige Emissionsreduktionen zu verschieben. Richtig ist auch, dass insbesondere der Einsatz von BECCS in großem Maßstab einen erheblichen Flächenbedarf mit sich bringen würde – es droht eine Neuauflage des „Teller-oder-Tank“-Konflikts. Letztlich bedeutet dies aber nur, dass sich eine Technologie wie BECCS nicht beliebig skalieren lässt und daher nur im Kontext einer umfassenden Klimastrategie sinnvoll sein kann. BECCS oder NETs im Allgemeinen sind also keine Wunderwaffen, aber kein seriöser Klimawissenschaftler behauptet etwas anderes: Ihr Einsatz soll wie oben zitiert erstens gegebenenfalls helfen, die CO2-Konzentration in der Luft nach einem „Peak“ wieder auf ein niedrigeres Niveau zurückzuführen. Vor allem aber sollen sie – zweitens – „Restemissionen“ aus Sektoren ausgleichen, deren Emissionen sich nur sehr schwer oder gar nicht auf Null reduzieren lassen: Zum Beispiel entstehen rund 7 % der globalen CO2-Emissionen bei der Produktion von Zement. Etwa die Hälfte davon sind Folge der chemischen Reaktion, bei der aus Kalkstein unter Zuführung von Hitze Calciumoxid gewonnen wird (CaCO3+Hitze -> CaO+CO2). Dieser Teil der Emissionen kann weder durch den Einsatz sauberer Energien noch durch Effizienzsteigerung vermieden werden, was eine vollständige „Dekarbonisierung“ des Sektors derzeit in weite Ferne rückt.

Ob und in welchem Ausmaß der Einsatz von BECCS irgendwann in der Zukunft ausgeweitet werden sollte, hängt von vielen heute unbekannten Faktoren ab, etwa der zukünftigen Entwicklung der Landwirtschaft, technologischen Alternativen und zukünftigen CO2-Emissionen. Sicher ist: Bereits heute wird überall im Land aus Abfällen aus Forstwirtschaft und Landschaftspflege Bioenergie gewonnen. Daran wird sich in der absehbaren Zukunft auch nichts ändern, denn wegen ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten bei der Dekarbonisierung des Energieverbrauchs wird der Einsatz von Bioenergie mit oder ohne BECCS beträchtlich sein“, wie der IPCC feststellt (SR1,5°, Kapitel 2, S.96). Dass das dabei freigesetzte CO2 noch immer in die Luft geblasen wird, anstatt es direkt am Schornstein einzufangen und zu speichern (oder nutzen), was technisch möglich wäre, ist ein Anachronismus, dessen Preis wir alle bezahlen: Heute in Form der zunehmenden Extremwetterereignisse, morgen wird die Notwendigkeit, dieses CO2 wieder „einzufangen“. Anderswo ist man deutlich weiter als im ängstlichen Deutschland: So plant die Stadt Stockholm, die städtische (!) Energieversorgung mithilfe von CCS (und der Herstellung von Biokohle aus CO2!) Schritt für Schritt zu einer „CO2-Senke“ umzubauen, und auf der Klimakonferenz in Kattowice stellte Großbritannien seine Pläne für das erste Null-Emissionen-Schwerindustriezentrum der Welt vor – mit CCS, versteht sich.

Eine Frage des „Systems“?

Die erwartbare Quintessenz gerade linker Klimaaktivisten lautet in der Regel, anstatt über Technologien müsse man über den Kapitalismus reden. So erklärt Elsa Koester in ihrem aktuellen Aufsatz „Ende des Monats: Ende der Welt! (Nr. 50, 13. Dezember 2018, S. 7) schon im ersten Satz: "Die Erderwärmung ist ein Kind des Neoliberalismus" und im Text folgt dann mit Blick auf ein Demotransparent der bald 10 Jahre alte Slogan „Systemwechsel statt Klimawandel!“. Auch Frau Hartmanns Schlussfolgerung lautet, anstatt einer „Phantomtechnologie“ nachzujagen (deren „Dringlichkeit“ auf einmal nur noch „inszeniert“ ist), bräuchten wir eine „konsequente ökosoziale Transformation“, und diese sei natürlich antikapitalistisch: Am IPCC-Bericht sei zu kritisieren, dass er nicht „das globale kapitalistische Wirtschaftswachstum in Frage [stellt], das für den Klimawandel verantwortlich ist […]“.

Tatsächlich ist das Zusammenspiel von Wachstum, Kapitalismus und Klimawandel deutlich komplexer als es solch schlichte Schuldzuschreibungen ausdrücken (ganz zu Schweigen davon, dass das Wachstum auch positive Seiten hat, die in Wahrheit niemand missen will). Keine wie auch immer geartete Veränderung globaler Macht- und Eigentumsverhältnisse ändert am bisher Gesagten auch nur das Geringste. Die gesamte Kohlenstoffmathematik und die Auswahl technologischer Optionen betreffen die physikalisch-technische Basis der Produktion, die stofflichen Grundlagen, nicht aber deren soziale Organisation (obwohl Technologie und Gesellschaft natürlich nicht unabhängig voneinander sind). Jede wie auch immer geartete postkapitalistische Gesellschaft stünde vor demselben Problem wie der heutige Kapitalismus: Wie ernähre ich rund 10 Milliarden Menschen ohne den Planeten zu überhitzen? Wie löse ich ihr Recht auf soziale und materielle Teilhabe ein, auf medizinische Versorgung, auf sauberes Wasser, auf hygienische Verhältnisse, auf Kleidung und Wärme, auf Bildung und Mobilität?

Die oft wiederholte Rede vom „kapitalistischen Wirtschaftswachstum“ als Schuldigen an der Misere, was auf der stofflichen Basis tatsächlich passiert, verwechselt so Ross und Reiter: Wann immer es in der Menschheitsgeschichte einen Überfluss an Energie gab, waren die Folgen mehr Menschen, mehr Dinge und mehr Dienstleistungen, also Wachstum: Manchmal war der Grund eine Erfindung, mit deren Hilfe sich mehr Energie nutzbar machen ließ (wie die Nutzung des Feuers, der Beginn des Ackerbaus, das Schmelzen von Metallen usw.) Oft war die Quelle des Überflusses aber auch schlicht ein erfolgreicher Kriegszug mit reicher Beute oder einfach eine Reihe von guten Jahren mit satten Ernten: Wo es Überfluss gab, gediehen die Menschen und schufen ganze Zivilisationen. – Bis der Überfluss wieder schwand und mit ihm auch die Menschen. Das ökonomisch und „biologische“ Wachstum der vergangenen Jahrhunderte ist Folge des immensen Überflusses an Energie, der sich ergab, als wir lernten, fossilen Brennstoffe zu nutzen – zum Guten wie zum Bösen. Nicht das Wachstum ist Folge des Kapitalismus, sondern der Kapitalismus in seiner heutigen Form wie auch der Klimawandel sind Folgen des Wachstums, das die fossilen Brennstoffe ermöglichten.

Richtig ist, dass das fossil-getriebene Wachstum eine Wirtschaftsform hervorgebracht hat, die sehr eng mit eben diesem Wachstum verknüpft ist – so eng, dass sich tatsächlich diskutieren lässt, ob diese Wirtschaftsweise das Ende des Fossilzeitalters, dem sie ihre Existenz verdankt, überdauern kann. Dies ist aber tatsächlich eine offene Frage: Wenn es überhaupt möglich ist, das Problem des Klimawandels auf eine Weise zu lösen, die zugleich den Bedürfnissen von 10 Milliarden Menschen gerecht wird, wird dies ein immenses Ausmaß an „kreativer Zerstörung“ voraussetzen – etwas, das historisch immer wieder geradezu die Paradedisziplin des Kapitalismus war. Dass dies so ist, liegt auch an der Flexibilität seiner Eliten, die – anders als die Eliten früherer Gesellschaften – weder an Grund und Boden gebunden sind, noch an fossile Brennstoffe oder andere „stoffliche Ressourcen“, sondern allein an die Verfügungsgewalt über das Kapital selbst.

Schließlich wird dem Wachstum regelmäßig vorgeworfen, das Problem zu verschlimmern, weil so auch der Berg an Emissionen wächst, den es abzutragen gilt: Größere Mengen gleich größere Probleme, so lautet die Gleichung. Das klingt logisch, doch in der politischen Praxis ist die Geschwindigkeit von Veränderungen weniger von absoluten Größen abhängig sondern mehr von der Breite möglicher Reformbündnisse und ihrer Gegner: Wenn man einen Berg abtragen will, kommt es nicht so sehr darauf an, wie hoch der Berg ist, sondern wer alles mitmacht. Viel verheerender als einige zusätzliche Emissionen ist daher, dass die Klimabewegung zunehmend als Elitenprojekt aus dem Elfenbeinturm wahrgenommen wird, die sich nicht für die Sorgen der kleinen Leute interessiert – zum Beispiel, wenn wie beim Kampf um den Hambi – plötzlich Aktivisten gegen Gewerkschaftler stehen. Entschlossene Klimapolitik setzt breite gesellschaftliche und internationale Bündnisse voraus, die ihrerseits eine Vision vom besseren Leben brauchen, die in der Lage ist, Menschen zu begeistern. Mit einer Vision für Wachstum ginge das. Eine primär von der Angst vor technologischem Wandel geprägte Degrowth-Strategie in Größenordnungen, die nur als geplante Verelendung vorstellbar ist, wird dies hingegen niemals leisten können.

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