Am 3. Dezember 1952 bedachte Konrad Adenauer die deutsche Wehrmacht mit einem Reinheitsgebot: "Ich möchte heute vor diesem Hohen Haus im Namen der Bundesregierung erklären, dass wir alle Waffenträger unseres Volkes, die im Namen der hohen soldatischen Überlieferung ehrenhaft zu Lande, auf dem Wasser oder in der Luft gekämpft haben, anerkennen" - nachzulesen ist dieses Zitat in der neuen "Wehrmachtsausstellung". Dass Adenauer damit eine Organisation ehrte, die maßgeblich am Massenmord an den europäischen Juden beteiligt war, deren Russlandfeldzug mit dem herrschenden Kriegsvölkerrecht brach, verdeutlicht die neue Ausstellung klarer als die alte.
Die Gestalter dieser eindrucksvollen Dokumentation haben zweifellos ihre Lektion gelernt: "Bilder", wusste schon Heiner Müller, "sind alles im Anfang. Sind haltbar. Geräumig." Und sind vor allem offen für die eine oder die andere Interpretation, möchte man hinzufügen. Die Fotoserien, die in der ersten "Wehrmachtausstellung" teilweise kommentarlos dargeboten oder aber sehr pauschal eingeordnet wurden, haben ohne schriftliche Dokumentation wenig historische Aussagekraft. Es ist das Verdienst der neuen Präsentation, sich dieser Tatsache zu stellen.
Das Verhältnis von Bild und Text hat sich nun umgekehrt. Was das Bildmaterial vorher nur behaupten konnte, wird jetzt durch die vielen verschiedenen Zeugnisse der deutschen Reichsbürokratie belegt, die sorgfältig transkribiert und aufbereitet wurden. Mit diesem neuen Schwerpunkt vergrößert sich auch die Dimension, in der nach der Verantwortung für die Verbrechen der Wehrmacht gefragt werden muss. Aus den Zwölf Geboten des Staatssekretärs Herbert Backe für das Verhalten der Deutschen im Osten und die Behandlung der Russen vom 1. Juni 1941 geht etwa hervor, dass "lieber ein falscher Entscheid, als kein Entscheid" von den Soldaten im Kampf gegen Russland als dem "Land der Korruption, der Denunziation und des Byzantinismus" gefordert war. Die Dokumente belegen, wie die deutsche Wehrmacht besonders vor dem Überfall auf die Sowjetunion zum Partner der SS wurde. Sie übernahm die Rolle einer den Völkermord logistisch und administrativ unterstützenden Institution.
Ohne pädagogisches Händchenhalten
Die eigenverantwortlichen Handlungen des Einzelnen, die in der früheren Ausstellung zentral waren, geraten dabei nicht außer Betracht: "Bis jetzt haben wir zirka 1.000 Juden ins Jenseits befördert, aber das ist viel zu wenig für das, was die gemacht haben ... Sollten Zweifel bestehen, wir bringen Fotos mit. Da gibt es kein Zweifeln. Euer Sohn Franzl", heißt es in einem Brief aus Tarnopol vom 6. Juli 1941. Während vor allem jene Fotos, die vom Pogrom in Tarnopol erhalten sind, maßgeblich zum Imageverlust der ersten Ausstellung beigetragen hatten, ist es nun eben dieser Brief, der alle Zweifel an der deutschen Beteiligung an diesem Pogrom ausräumt.
Vom historisch Allgemeinen zum Besonderen kommt der Betrachter, indem er zu einem intimen Zuhörer wird. Die Töne zum Film empfängt man nämlich nur über eine Art Telefonhörer, jeder einzelne Besucher für sich. Allein, aber nicht alleingelassen, ist der Besucher auch in einer der Sitzvitrinen. Mit ihrer Plexiglasverschalung und dem weißen Stuhl wirken sie wie Retro-Versionen jener Kabine, in der Eichmann während seines Prozesses saß. Hier wird niemandes Gewissen geprüft; doch das Material, das im Bürokraten den Verbrecher entlarvt, liegt zum Aufblättern bereit. An fast jeder Stelle der Ausstellung kann man sich entscheiden, den Einzelfall zu studieren oder es bei einem groben Überblick zu belassen. Nicht so im vorletzten Raum, der "Handlungsspielräume" heißt. Wer hier überhaupt etwas über den Abgrund erfahren will, der sich zwischen blindem Gehorsam und Zivilcourage auftut, der muss schon die Zeit aufbringen, sich in einem abgedunkelten Kabinett mit großen Porträtfotos in die Einzelfälle einzuhören, die von verschiedenen Sprechern geschildert werden. Ohne pädagogisches Händchenhalten schafft die Ausstellung eine Balance zwischen distanzierter Betrachtung und privatem Erleben.
Der entscheidende Unterschied, den die Verlagerung von der visuellen Sensation und Suggestion zu textlicher Nüchternheit mit sich bringt, besteht darin, dass bei der Frage nach der moralischen Beurteilung der "Dimensionen des Vernichtungskrieges" der Besucher nun viel stärker auf sich selbst, auf sein eigenes Urteilsvermögen gestellt ist. Gewiss, der Gang durch alle drei Stockwerke ermüdet und überfordert manchen. Andere wünschen sich, die Eintrittskarte sei mindestens dreimal gültig. Vor allem die Älteren nehmen sich viel Zeit: "Man wird ja sonst überall mit Bildern bombardiert."
Ist nun Konsenshistorie angesagt?
Sehr konzentriert lässt sich das Publikum auf die aufeinander verweisenden Dokumentationen des Ausstellungsmaterials ein. Um so merkwürdiger sind die Reaktionen der Medien. Rein gefühlsmäßig befindet der Tagesspiegel, alles wirke jetzt "irgendwie klinisch rein, steril, ja vielleicht schon aseptisch". Die Frankfurter Rundschau bescheinigt "äußerste Zurückhaltung in der Kommentierung und Bewertung", so dass ein bisschen Nostalgie nach früheren Parolen durchklingt. Fehlende "Irritationen" irritieren den Rundschau-Kommentator. Und die FAZ meint, die Ausstellung trage zum Abschied einer bestimmten, nämlich auf den Einzelnen bezogenen Vergangenheitswahrnehmung bei, Konsenshistorie sei nun angesagt.
Wenn der Ausstellung mangelnder politischer Aktualitätssinn vorgeworfen wird, so spricht aus dieser Art der Kritik wohl vor allem eines: eigene Ratlosigkeit - weniger über die Thesen der Ausstellung, die genauer betrachtet keineswegs "äußerst zurückhaltend" formuliert sind, als vielmehr über eine Zeit, in der Bedenkenträger von einst kriegerische Entschlossenheit demonstrieren. Anstatt die historische Dimension der Wehrmachtsverbrechen nachzuvollziehen, erwartet man von der Präsentation eine Antwort auf die Frage der Gegenwart - ob nämlich die Soldaten der Bundeswehr zu Kriegseinsätzen ins Ausland geschickt werden dürfen oder nicht.
"Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht!" skandierten NPD-Anhänger am vergangenen Wochenende, als sie am Brecht-Haus in der Berliner Chausseestraße vorbeimarschierten. Dazwischen verhaspelte man sich auch schon mal zur "deutschen Waffen-SS". Als die NPD schon 1995 gegen die Eröffnung der ersten Ausstellung aufmarschierte, waren auch Vertreter von CDU und CSU dabei. Wenn man heute den CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann hört, die Ausstellung sei "Symbol eines einseitigen, regierungsamtlich abgesegneten Erinnerungskultes", so scheint seitdem keine Zeit - und keine Überarbeitungsphase - vergangen zu sein. Folgsam wie je fügten sich die NPD-Anhänger der "harmloseren" Route Richtung Nordbahnhof, während der ganz unfolgsame Widerstand dagegen teilweise mit Wasserwerfern und Tränengas zurückgedrängt wurde. Keine Empfehlung für politisches Stehvermögen und Zivilcourage - schon gar nicht am Rande des Scheunenviertels, dessen Bewohner vor 60 Jahren in den Vernichtungslagern der Nazis verschwanden.
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