Eine Gefahr des Glaubens...

Ideologien Der Begriff der Ideologie ist in der öffentlichen Debatte zu einem Kampfbegriff geworden und doch sind wir alle von Ideologien beeinflusst.

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Ich selbst bezeichne mich als einen atheistischen Agnostiker.
Atheist, weil ich nicht an einen Gott glauben kann. Ich kann es mir einfach in meinem Kopf und meinem Herzen nicht vorstellen.
Agnostiker, weil ich denke, dass sich dieser: mein Glaube an den Atheismus, niemals beweisen lassen wird und dass es daher ebenso rational vernünftig ist, jeden anderen Glauben anzunehmen.

Beginnen wir diese Ausführung mit einer Anekdote.
Mein Professor für Islamwissenschaft und Arabistik hat einmal mit einem Biologen gemeinsam historische Beschreibungen und Geschichten von Tieren ausgewertet.
Der Arabist war für die Textarbeit und der Biologe für die Auswertung des zoologischen Wahrheitsgehaltes zuständig.
Der Biologe konnte dafür nur auf bekanntes paläontologisches Wissen zurückgreifen und beiden war bewusst, dass es sich um über viele Jahre überlieferte, das heißt wahrscheinlich veränderte, Texte handelt.

Mir sind drei dieser Geschichten bekannt.

  • Die Geschichte des Riesenvogels 'ar-ruḫḫ'. Ein Riesenvogel, der so groß gewesen sein soll, dass sich Schiffbrüchige heimlich an seinem Körper festbinden konnten und er sie problemlos und ohne die Männer zu bemerken, auf eine weit entfernte Insel gebracht haben soll
  • Die Geschichte über riesige Fische, die auftauchten um Schiffe umzustoßen. Eines Tages fand man einen dieser Fische gestrandet an Land. Dieses Exemplar soll so groß gewesen sein, dass ein Mensch auf einem Pferd in sein Maul hineinreiten konnte.
  • Die Geschichte, in der ein Mann eine Liebesbeziehung mit einer Äffin einging, diese schwängerte und sie daraufhin lebende Junge: halb Tier, halb Mensch, zur Welt brachte.

"mā šāʾ Allāh!"

All diese Geschichten klingen für uns unglaublich, dennoch haben alle mindestens einen philosophischen Wahrheitsgehalt.

Ist der Riesenvogel 'ar-ruḫḫ' eine Erinnerung an den ausgestorbenen Elefantenvogel?
Gab es vielleicht wirklich einen fliegenden Riesenvogel, der Menschen in die Luft heben konnte, von dem wir bis jetzt keine Überreste fanden?

Ist die Geschichte von den Fischen eine realistische Beschreibung von Walen, bei denen das Auftauchen in der Nähe von Schiffen als Angriff interpretiert wurde?

Gab es tatsächlich Affenmenschen? Oder lesen wir hier eine frühe philosophische Betrachtung der Frage, was den Menschen eigentlich vom Tier unterscheidet und ob wir uns nicht doch näher sind, als wir manchmal glauben?

Antworten auf diese Fragen, werden wir ohne paläontologische Funde niemals erfahren.

Die Geschichten wirken auf uns im ersten Moment alle phantastisch und doch könnten sie alle einen wahren Kern haben oder vielleicht doch, vor allem wenn wir die Geschichte von den Riesenfischen betrachten, komplett der Wahrheit entsprechen.

Sinnlos wäre es sicherlich anzunehmen, dass die oben genannten Geschichten alle genau so, wie sie aufgeschrieben wurden, wahr sind.
Ebenso engstirnig wäre es wohl auch anzunehmen, dass diese Geschichten komplett ausgedacht sind, einen wahren Kern für unmöglich zu erachten und eine Auseinandersetzung mit diesen Texten für irrational oder sogar dumm zu halten.
So befinden wir uns schon mitten im Kampf des religiösen Fanatismus des 21. Jahrhundert.

Auf der einen Seite die religiösen Fanatiker*innen, die Zeugnisse einer Existenz Gottes wörtlich nehmen wollen und die wissenschaftliche theologische, historische und philologische Forschung ausblenden wollen.

Auf der anderen Seite fanatische Atheisten*innen, die Zeugnisse unkritisch zu ignorieren versuchen und ihre Deutung der Schriften auch allen anderen versuchen aufzudrängen.

Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo, kann man zwei Meinungen ziemlich weit verbreitet sehen.
Auf der einen Seite, die die Solche Taten nur der Theologie des Islams zuschreiben. Dabei vergessen sie natürlich eine lange Tradition der Kreuzzüge, der Hexenverbrennung oder der Inquisition, allerdings finde ich diese Gruppe heute nicht so spannend.

Spannender finde ich die Gruppe, die solche Taten im allgemeinen dem Glauben an einen Gott zuschreiben.

Dafür sollten wir im ersten Moment darüber nachdenken, ob im Namen des Atheismus noch nie getötet wurde, wahrscheinlich denken wir sofort an Iosif Vissarionovič Stalin und den atheistischen Kommunismus.
Dieser Hass auf einen Gottesglauben führte zu einer der größten Vernichtungswellen von Gläubigen in der Geschichte der Menschheit.

Vielleicht denken wir auch an Mustafa Kemal Attatürk, der während seiner wahnhaften Säkularisierungsbestrebungen, neben Gotteshäusern, auch den einen oder anderen Menschen verbrannte.

Und zuletzt denken wir vielleicht auch an Adolf Hitler, der zwar auch mit der katholischen Kirche zusammenarbeitete und mit dem Islam anbändelte, dennoch von einer Vielzahl der Historiker*innen in einem Kontext des Atheismus gedeutet wird und dessen menschenverachtenden Ideologien auch offensichtlich keine religiöse Motivation zugrunde liegt.

Wir können also feststellen, dass dies kein rein religiöses Problem ist.
Was all diese Vernichtungswellen gemein haben, ist eine Ideologie, die hinter ihr steht. Sei es eine Christliche, eine Muslimische, eine Kommunistische, eine Atheistische, Nationalistische oder vielleicht sogar eine Demokratische.

Jeder Glaube kann fanatische Züge annehmen, dafür bedarf es nicht den Glauben an einen Gott.

Jedoch habe ich das Gefühl, dass kein unbeweisbarer Glaube zur Zeit so verbreitet und in so einer fanatischen, radikalen Form salonfähig ist, wie der Atheismus.

Wobei wir noch einmal bedenken müssen, dass der Atheismus auch nur ein Glaube an einen nicht beweisbaren, transzendenten Zustand ist. Also müssen wir annehmen, dass jedes atheistisches Statement, auch nur ein ideologisches, ja fast religiöses Statement ist, nur für eine andere Ideologie oder Religion.

Wichtig ist bei jeder Ideologie nur immer wieder, dass man sie permanent hinterfragt. In der katholischen Theologie tun wir das ständig. Auch die islamischen und jüdischen Ideologien hinterfragen sich in der theologischen Wissenschaft jederzeit selbst.

In diesem Bereich sieht es beim Atheismus im allgemeinen eher schwach besetzt aus oder wann haben Sie sich das letzte mal gefragt, was eigentlich vernünftig gegen die Existenz einer höheren Macht oder eines Gottes spricht?

Zum Glück überwiegen in fast allen angesprochenen Ideologien, die gemäßigten Kräfte und Fanatiker sind meist nur eine Randerscheinung.

Hoffen wir, dass diese weltweite, fanatische Akzeptanz nur einer Ideologie für alle Gesellschaften, sei es Atheismus, Christentum, Islam, Demokratie, Sozialismus, Marktgläubigkeit oder Islamismus immer weiter zurückgeht und wir endlich lernen, andere Gesellschaften so zu akzeptieren, wie sie sind oder ohne Radikalisierung durch Bekehrungsversuche sein könnten.
In šā'a llāh.

Aus meinem Blog: www.nilsberliner.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

NilsBerliner

Masterstudent der "Geschichte und Kultur der Wissenschaft und Technik" an der TU Berlin.

NilsBerliner

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