Wenn man die Geschichte der Progressiven und Linksliberalen zur Zeit betrachtet, könnte man auf die Idee kommen, dass Links sein und die Vorstellung, die Welt grundlegend verbessern zu wollen, etwas Jugendliches und Naives ist. Etwas, aus dem man im Alter schon noch herauswächst. Es wirkt, als wäre es ein natürlicher Alterungsprozess, eines Tages zur Besinnung zu kommen und einzusehen, dass es doch besser ist, alles beim Alten zu lassen.
Und trotzdem behauptete Gesine Schwan in einem Interview mit Jakob Augstein einmal, dass man überhaupt erst ihr Alter erreicht haben müsse, um von sich behaupten zu können, die Welt verbessern zu wollen, ohne dabei naiv zu klingen. Ein schöner, motivierender und sinnvoller Satz – und trotzdem klingt dieser Satz nach einem Widerspruch.
Die Frage ist: wie viele Personen aus der Generation um Gesine Schwan wollen noch die Welt verbessern?
Vielleicht wollten die Grünen irgendwann mal die Welt verbessern. Das muss vor der Zeit gewesen sein, zu der ich mich für Politik interessierte. So lange ein Boris Palmer ohne tiefergehenden Widerspruch aus der eigenen Partei Flüchtende vereinfachend für alles verantwortlich machen und rassistisch pauschalisieren kann, kann ihr nicht viel an einer nachhaltigen Verbesserung der Welt liegen. Was, wenn ich einmal flüchten muss und andere Gesellschaften richten sich nach den Normen eines Boris Palmer?
Die SPD … die SPD? Muss auch vor meiner Zeit an eine bessere Welt geglaubt haben. Immerhin, die bereits erwähnte Gesine Schwan kämpft in Talkshows fleißig gegen Rassismus und Vereinfachungen, in der Partei kommt davon allerdings scheinbar wenig an.
Die Piraten haben von der Realpolitik desillusioniert das Handtuch geworfen.
Und die Linke? Sahra Wagenknecht versteht Jakob Augsteins sinnvolle Forderung nach einem linken Populismus falsch und greift die Rhetorik des rechten Populismus auf. Nicht nur die Rhetorik, auch die gauländische Marketingstrategie wird übernommen. Im Nachhinein war natürlich alles ganz anders gemeint. Der Grat wird ausgelotet, mit dem genug Rechte auch mal herüber schielen, die Aussagen vor der linken Stammwählerschaft aber wieder relativiert werden können. Man hätte eine fehlgeschlagene Sicherheitspolitik kritisieren können, man hätte eine verfehlte Außenpolitik kritisieren können, man hätte den Mangel des Sozialstaates als große Ursache kritisieren können: was tut die sonstige Wortakrobatin Wagenknecht? Sie kritisiert eine der wenigen richtigen Entscheidungen in der politischen Karriere der Kanzlerin, Flüchtende nicht mit Gewalt von ihrer Sicherheit abzuhalten. Das alles, nachdem Frau Wagenknecht schon einmal versucht hatte, die Menschen in "eigene Gruppe" und "fremde Gruppe", in Anwohner*innen und Gäst*innen, in ‚Normal‘ und ‚Anders‘ zu unterteilen.
Natürlich, der Ausschluss von Flüchtenden aus unseren Sozialsystemen könnte kurzfristig das Leben einiger Deutschen verbessern, doch zu welchem langfristigen Preis? Die Praxis, Menschen, die „anders“ oder „fremd“ wirken, als Gefahr für die Mehrheitsgesellschaft zu stilisieren, global als üblich zu etablieren, kann auch für mich in Zukunft gefährlich werden. Was, wenn andere Gesellschaften, in die ich später einwandern möchte, sich diese Praxis abschauen? Was, wenn ich einmal als „anders“ in dieser Gesellschaft wahrgenommen werde? Haben wir nicht genug Beweise, dass sich Gruppen oder Gesellschaften mit mehr „Input“ besser entwickeln als stagnierende Gesellschaften, die unter sich bleiben? Züchten wir uns mit der Ablehnung von Kulturen, die wir als ‚fremd‘ wahrnehmen und dem Weiterführen rassistischer Denkmuster nicht im Endeffekt nur mehr Feindschaften heran?
Nicht nur die AfD, sondern auch Lutz Herden vom "Freitag" springt ihr heldenhaft apologetisch zur Seite. Es sei nur Realpolitik: eine „unbefangene […] Bestandsaufnahme“. Klingt erschreckend nach dem politischen Superhit „Wir müssen den Rassismus (beziehungsweise euphemistisch ‚die Sorgen‘) der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und deshalb eine rassistische Politik betreiben,“ der im letzten Jahr rauf- und runtergespielt wurde.
Ein paar Wochen später empfiehlt uns dann auch Jakob Augstein eine starke Vereinfachung als Mittel zur Symptomlinderung. Er rät uns in der wiederkehrenden Diskussion um den Doppelpass zu einer vereinfachten Denkweise, nach der möglicherweise durch den Rückschritt zum Alten wieder kurzfristig Probleme gelöst werden könnten, langfristig allerdings nur mehr Feindschaften gezüchtet werden. Kaum kommen nationalistische und faschistoide Strömungen aus dem Ausland, geht es scheinbar sogar bei Augstein nicht mehr darum, Pauschalisierungen zu dekonstruieren und die Pluralität individueller Identitäten sichtbar zu machen. Nach dem Motto „Früher war es besser“ (falls das kein einmaliger Ausrutscher war, sollte Augsteins Spiegel-Kolumne vielleicht bald den Namen „Im Zweifel auf dem alten Weg“ tragen) wird eine verspätete Einsicht inszeniert. Wenn man nur die doppelte Staatsbürgerschaft wieder abschaffen würde, wäre alles wieder gut. Personen könnten einwandfrei integriert (wohl eher im Sinne von assimiliert als von gleichberechtigter Teilhabe) und geformt werden.
Wieder sind die, die die Welt verbessern und in ihrer Kompliziertheit akzeptieren und mit dieser arbeiten wollen die Naiven. Sie sind die Unbelehrbaren. Wagenknecht, die Grünen und die Aussagen Augsteins scheinen den Konservativen zu beweisen, dass das Rückwärtsbesinnen etwas mit Realismus, Rationalität und dem geerdeten Alter zu tun hat.
Beifall gibt es von der CDU. Menschen können nicht bunt sein. Sie müssen sich entscheiden: Schwarz-Rot-Gold oder Rot-Weiß. Kurzfristige Vereinfachung für einige wenige statt Anstrengung, die langfristig allen ein besseres Leben ermöglicht. Binärer Reduktionismus statt Diskurs. Loyalität ist nicht teilbar. Damit steht Augstein nicht allein. Schon zuvor forderte Rainer Haubrich in der "Welt", dass die „Türken“ in Deutschland ihre Loyalität klären müssten und die Band Culcha Candela (in ihrer Jugend Weltverbesserer im positiven Sinne dieses Artikels) fordert „Mitbürger“ (Ja, keine Bürger, keine Bürgerinnen, sondern nur Mit-Bürger: die Beilage zum Hauptgericht) mit türkischen Wurzeln auf, sich zu fragen, ob ihre Loyalität Erdoğan oder „der Bundesrepublik“ gilt.
Fehlt das Vertrauen in unsere Werte? Vertraut man nicht darauf, dass Werte wie Demokratie, Pluralismus, Bereitschaft zu Diskurs und Kompromiss auch von Menschen verstanden werden und nachhaltig von sich überzeugen können? Kann man nicht davon ausgehen, dass eben jene Türk*innen, die auch Teil der deutschen Bevölkerung sind, so wahrgenommen werden und diese Werte auf Augenhöhe mitformen, diese Werte dann auch in der Türkei leben? Auch in ihrer türkischen Identität leben könnten? Was, wenn ich einmal in ein anderes Land ziehen und mich augenblicklich zur Loyalität mit diesem und dessen Staatsideologie bekennen muss? Spricht man mir dann nicht meine demokratischen Rechte zur Teilhabe an beiden Gesellschaften ab?
In jedem Fall wird uns klar sein, dass diese eingeforderten einseitigen Assimilationsbestrebungen türkische Nationalist*innen nicht weniger nationalistisch werden lassen. Vielleicht ließen sich einige Konflikte damit für ein paar Jahre unter den Teppich kehren, auf meine Generation werden sie dafür jedoch noch verstärkt zurückfallen.
Ist es nun naiv, in der Jugend die Welt verbessern zu wollen? Oder ist es unmenschlich, wenn Menschen mit zunehmenden Alter eher kurzfristig Symptome behandeln wollen?
Ich denke weder noch. Die rationalen Interessen verändern sich einfach. Da ich hoffentlich auf dieser Erde noch mehr Zeit verbringen darf, als ich bis jetzt gelebt habe, lohnt sich für mich die Anstrengung, die Welt grundlegend zu verändern. Mich dafür einzusetzen, dass Ungleichheiten und Diskriminierungen in Normen abgebaut werden (die auch mich selbst einmal betreffen könnten), scheint sich rational für mich zu lohnen.
Für eine Person, die schon länger lebt, als sie wahrscheinlich noch leben wird, gibt es kaum rationale Gründe, so in die Zukunft zu denken. Ein kurzfristiges Vorteilsdenken mit wenig Aufwand scheint hier aus einer egoistischen Perspektive interessanter zu sein – zumindest bis keine anderen egoistischen Geninteressen (eigene Kinder, Kinder von nahen Verwandten) diese Parameter verändern.
Nun sollte man sich die Frage stellen, ob man diese unterschiedlichen rationalen Interessen im Spiegel der demografischen Entwicklung politisch ausgleichen muss. Ideen wären, das Wahlalter herabzusetzen oder so etwas wie einen Rat der Jüngeren zu bilden, doch wäre gerade der zweite Vorschlag gerecht? Warum sollte unser Leben (oder das der noch Jüngeren) mehr wert sein als das Leben einer Sechzigjährigen? Wir leben in einer Demokratie und daher müssen wir damit leben, dass verschiedene Menschen verschiedene Interessen vertreten. Für einige ist nun einmal die kurzfristige Symptombekämpfung von größerem Interesse als eine grundsätzliche Weltverbesserung. Es scheint daher auch kein Wunder zu sein, dass ältere Menschen den Jungen den Brexit und damit wieder mehr langfristige Unsicherheit in Europa beschert haben. Es scheint auch nicht verwunderlich, dass sich bei mir langsam das Vorurteil manifestiert, mit einer erschreckend größeren Zahl an Vertreter*innen bestimmter Altersgruppen nicht mehr über Politik reden zu brauchen. Lange schob ich diese subjektive Wahrnehmung auf den geringeren zeitlichen Abstand der Gesprächspartner*innen zum Nationalsozialismus, was sicherlich auch ein Faktor ist, der jedoch noch durch den Faktor dieser unterschiedlichen Interessen zumindest verstärkt wird.
Die Wahrung dieser anderen Interessen ist durchaus legitim, doch muss man sich bewusst werden, was kurzfristige Symptombehandlungen wie zwanghafte Assimilation, aufgedrängter Patriotismus, nicht diskutierte Werte, die Diskriminierung bestimmter Religionen und Gruppen, das Ausspielen von Schwachen gegen noch Schwächere, der Austritt aus Gemeinschaften und die Unterbindung der Einwanderung in der Vergangenheit bewirkt haben und, was es für die Zukunft bringen wird. Schwierig wird es natürlich, wenn die rationalen Bestrebungen zur Verbesserung der Welt von den Alten als naiv belächelt werden oder die konservativen Gedanken als Egoismus stigmatisiert werden. Wir Jungen müssen uns, wie auch die Beteiligung beim Brexit zeigt, wesentlich stärker für unsere Interessen einsetzen. Die Demokratie muss hier im Diskurs für einen Kompromiss zwischen den Interessen der Generationen sorgen.
Es ist legitim, dass ihr auf Kosten der Generationen nach euch leben wollt, doch seid euch dessen bewusst und lebt im Dialog mit dieser.
Hurra, wir erben … das, was ihr uns hinterlasst.
Aus meinem Blog: www.nilsberliner.de
Kommentare 16
Es ist so manches Bedenkenswerte an Ihrem Beitrag. Aber, Sie nehmen eine Polarisierung auf, die in sich auch wieder der blanke zu kurz gesprungene Populismus ist.
Der Brexit geht nicht auf Ältere allein zurück, Sie selbst relativieren es ja weiter unten im Beitrag - via schlechte Wahlbeteiligung der Jüngeren.
Ist es nun naiv in der Jugend die Welt verbessern zu wollen oder ist es unmenschlich, wenn Menschen mit zunehmenden Alter eher kurzfristig Symptome behandeln wollen?
Nicht immer dieses Entweder/Oder. Auch junge Menschen wollen hin und wieder kurzfristig Symptome behandelt wissen. Das ist kein Problem allein der Älteren. Aber, ich bestreite nicht, dass mich eine kürzliche, signifikante Rentenerhöhung aus der Gruppe der Armen in die der nicht mehr ganz so Armen katapultiert hat.
Für eine Person, die schon länger lebt, als sie wahrscheinlich noch leben wird, gibt es kaum rationale Gründe, so in die Zukunft zu denken. Ein kurzfristiges Vorteilsdenken mit wenig Aufwand scheint hier aus einer egoistischen Perspektive interessanter zu sein, zumindest bis keine anderen egoistischen Geninteressen (eigene Kinder, Kinder von nahen Verwandten) diese Parameter verändern.
Das gibt, es, aber es gilt auch nicht für alle Älteren. Es gilt für Ältere, die im Moment auf kurzfristige Vorteile angewiesen sind, weil sie sehr zu tun haben mit dem eigenen schlechten Stand im Leben, weil sie noch hinzuverdienen müssen usw.
Und - das sage ich mal ganz persönlich - Weil ältere Menschen oft auch mit dem Ende ihrer Existenz beschäftigt sind, mit der Endlichkeit und anderen Fragen, bei denen Politik manchmal nicht mehr so in den Vordergrund rückt.
Das ist legitim und deshalb übergeben viele ja auch den Stab an Jüngere. Dass die damit zu wenig anfangen oder ihren politischen Kampf jetzt auf Generationen fokussieren das ist kein Gewinn.
Übrigens: Kurzfristiges Vorteilsdenken kommt unter jungen Leuten massenhaft vor.
Ansonsten teile ich vieles an Ihrer Kritik.
Vielen Dank für Ihre ausführliche Kritik.
Danke für Ihren ausführlichen Kommentar.
GenerationsproblemeDie politischen Ansichten junger Menschen ist mitunter rückwärtsgewandt und auf kurzfristige Lösungen bedacht. Wir Alten werden mit den Konsequenzen in der Zukunft leben müssen.
Danke für Ihren Kommentar! Das möchte ich ganz sicher nicht ausschließen, dass es auch bei den jüngeren Menschen erschreckende Entwicklungen gibt. Dieser Artikel setzt mehr den Fokus darauf, warum es nichts mit Realismus zu tun hat, wenn einige Menschen mit zunehmendem Alter weniger progressiv zu wirken. Weiter spiele ich auch im Artikel auf den Brexit an und darauf, dass die AfD in MV hauptsächlich von der Altersgruppe 35-59 gewählt wurde.
"Was, wenn andere Gesellschaften, in die ich später einwandern möchte, sich diese Praxis abschauen? Was, wenn ich einmal als „anders“ in dieser Gesellschaft wahrgenommen werde?"
Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich?
Eine Aufenthaltserlaubnis in einem fremden Land zu bekommen ist doch schon immer sehr schwierig gewesen und für manche unmöglich. Versuchen Sie's z.B. mal in der Schweiz. Da werden Sie nur erfolgreich sein, wenn Sie bestimmte Qualifikationen mitbringen. In den USA, Kanada, Australien gilt dasselbe. Selbst in afrikanischen Ländern sollten Sie zumindest eine Menge Geld mitbringen, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Ob "die Gesellschaft" sie dann dort jeweils "willkommen heißt" steht allerdings noch auf einem ganz anderen Blatt.
auf die Idee kommen, dass Links sein und die Vorstellung, die Welt grundlegend verbessern zu wollen, etwas Jugendliches und Naives ist
Na ja, als ich jung war, wollte ich die Welt noch verbessern. Ob ich links war? Wahrscheinlich, vielleicht. Die angemessenen Worte hatte ich drauf. Es war ein schmerzhafter Einsichtsprozess, zu erkennen, dass die Welt nicht verbessert werden will und dass es zu Gewalt führt, wenn ich darauf bestehe, sie zu verbessern. Weil, die Welt ist eigentlich perfekt. Wir Menschen sind es nicht, in unseren gegenläufigen Absichten. Wenn die unter einen Hut gebracht werden sollen, muss irgendjemand immer zurückstecken und das erzeugt Agressionen, regressum ad infinitum. Und ja, die Jugend kam zu früh für eine derartige Einsicht, zumindest für mich. Also habe ich mir den Kopf an den üblichen Mauern eingelaufen, bis ich müde geworden bin. Müdigkeit ist ein Faktor, von dem Jugend einfach nichts weiß.
dass man überhaupt erst ihr Alter erreicht haben müsse, um von sich behaupten zu können, die Welt verbessern zu wollen, ohne dabei naiv zu klingen
Schön wäre natürlich im Kontext, wenn Gesine Schwan nicht so fürchterlich naiv klingen würde, wenn sie in ihrem Alter davon redet, die Welt zu verbessern. Ich vermute, dass sie geänderte - oder auf euphemistisch: bessere - Organsitionsformen und Distributionen von Macht meint, und das, in der Tat, ist naiv.
Die Frage ist: wie viele Personen aus der Generation um Gesine Schwan wollen noch die Welt verbessern?
Die wirkliche Frage lautet: Wann erreicht die Einsicht eigentlich das Bewusstsein, dass Politikerinnen Machtmenschen sind, so dass von der Politik zwar erwartet werden kann, bestehende Strukturen im Sinne ihres Machterhalts zu sichern, aber nicht, dass diese Strukturen angetastet werden, sobald damit auch nur im Geringsten eine Antastung der Machtbasis einher geht?
Sie wollen die Welt verbessern? Dann haben Sie ein Paradoxon zu knacken. Es wird nicht ohne Machteinsatz gelingen. Setzen Sie aber Macht ein, werden Sie zu einem Subjekt der Macht und damit zu einem von denen, die Teil des Problems sind. Oder glauben Sie an Ihre Nicht-Korrumpierbarkeit? Das wäre naiv. Was schlagen Sie also vor, das etwas verbindlicher wäre als ein Appell an das gute Herz, aber gleichzeitig vermeidet, dass Sie Ihre Ansichten mit Macht durchsetzen müssen? Und wenn Sie nicht auf Machteinsatz verzichten zu können glauben, wie wollen Sie verhindern, dass Sie korrumpieren?
Was, wenn andere Gesellschaften, in die ich später einwandern möchte, sich diese Praxis abschauen?
Ich bezweifele, dass andere Gesellschaften darauf warten müssen, von uns bösartiges Verhalten zu erlernen. Die Art der Bösartigkeit variiert, die Basis ist überall dieselbe.
Kaum kommen nationalistische und faschistoide Strömungen aus dem Ausland ...
Als müssten andererseits ausgerechnet wir darauf warten, vom Ausland Faschismus zu erlernen.
Binärer Reduktionismus statt Diskurs. Loyalität ist nicht teilbar.
Das mag so sein oder nicht. Das Problem dahinter besteht darin, dass es ein Sosein hinter den Proklamationen gibt. Was wir sein wollen, setzt sich nur in den seltensten Fällen gegen das durch, was wir sind. Wir wollen soziale Wesen sein, aber wir sind Kleingruppensäuger geblieben, deren empathische Fertigkeiten ab Daumen mal pi 20 Personen dicht machen. Danach können wir noch Empathie spielen, aber wir sind nicht mehr davon zu solidarischer Handlung angespornt, wir müssen uns Solidarität intellektuell erschließen und damit ist der Antrieb durch natürliche Instinkte dahin.
Oder konkreter, in der Theorie sind wir alle weltoffene, humanistisch gesonnene, wohlwollende Menschen. In der Praxis sind wir das am liebsten wo anders und noch lieber begrenzt auf Urlaubszeiten in fernen Ländern. Wenn uns die fernen Länder aber in unserem eigenen Homeland auf die Pelle rücken, wird es erst ungemöglich, und dann werden ganz schnell wir ungemütlich.
Spricht man mir dann nicht meine demokratischen Rechte zur Teilhabe an beiden Gesellschaften ab?
Keine mir bekannte Gesellschaft dieser Welt verzichtet darauf, bei denen, die Teil von ihr sein wollen, Loyalität einzufordern, und zwar verbindlich einzufordern. Loyalität ist solange gegenstandslos, als sie nicht benötigt wird. Wenn aber ein Konfliktfall zwischen zwei Gesellschaften eintritt, können Sie nicht loyal zu beiden Gesellschaftformen sein; Sie können höchstens versuchen, sich auf eine Metaebene zuzurückzuziehen, müssen dann aber zusehen, dass Sie nicht von beiden Gesellschaften ausgespuckt werden. Und ja, das ist nicht schön. Es ist aber Realität, und Realität ist das, was nicht frommen Wünsche und Vorstellungen weicht.
Da ich hoffentlich auf dieser Erde noch mehr Zeit verbringen darf, als ich bis jetzt gelebt habe, lohnt sich für mich die Anstrengung, die Welt grundlegend zu verändern.
Natürlich^^ Sie schaffen das schon, einfach so aus der hohlen Hand, weil Ihre Generation schließlich die erste ist, die jemals grundsätzlich über derartige Problematiken nachgedacht und nach Lösungen gesucht hat. Genau so wie noch nie jemand so geliebt hat und so verwundet wurde, wie der/die Vierzehnjährige, als er/sie das erste Mal verlassen wurde^^ Das waren früher alles nur Idioten, aber das ist ja Gottseidank heute alles viel besser^^
lohnt sich für mich die Anstrengung, die Welt grundlegend zu verändern
Wenn Sie alle Ihre Kraft verwenden und jeden Gedanken an Bestrebungen nach persönlichem Glück beiseite schieben, um sich ausschließlich dem Wohl des unterdrückten Teils der Menschheit zu widmen, werden Sie bei genügendem Geschick kleine lokale Erfolge erleben. Von einer grundlegenden Änderung sind sie dann immer noch unzählige Quantensprünge entfernt.
Nehmen Sie das in diesen Fällen immer gern dargebotene Paradebeispiel Ghandi: Ja, gewaltfreier Widerstand hat in einer bestimmten historischen Situation tatsächlich zu Befreiung Indiens vom Kolonialismus geführt, zwar hauptsächlich deswegen, weil England eine Regenerationsphase nach dem zweiten Weltkrieg durchmachte, aber egal, es hat einmal funktioniert.
In der Folge kam es zum Bürgerkrieg, zur Aufspaltung in zwei Staaten, zu zwei neuen Atommächten und zu einer bis heute nicht befriedenden Feindseligligkeit zwischen den Bevölkerungsschichten in Indien und zwischen den Nachfolgestaaten Indien und Pakistan.
Für eine Person, die schon länger lebt, als sie wahrscheinlich noch leben wird, gibt es kaum rationale Gründe, so in die Zukunft zu denken.
Ich bin so eine Person, und was immer ich auch denken mag, hat nicht das Geringste mit kurzfristigem Nützlichkeitsdenken zu tun. Eher mit nachhaltiger Ernüchterung, verbunden mit dem Versuch, auf meiner Skala der Einflussmöglichkeiten Freundlichkeit zu vermitteln. Und je älter ich werde, desto mehr wird Freundlichkeit zu einem Zweck an sich; es gibt so wenig davon.
Haben wir nicht genug Beweise, dass sich Gruppen oder Gesellschaften mit mehr „Input“ besser entwickeln als stagnierende Gesellschaften, die unter sich bleiben?
Meinen Sie damit Gesellschaften wie die USA?
Es ist legitim, dass ihr auf Kosten der Generationen nach euch leben wollt
Danke für eure Großmütigkeit. "Wir" erkennen darin einen Widerhall unserer eigenen Großmütigkeit, als unsere Generation eure Generation durchgefüttert und euch die Windeln gewechselt hat, weil ihr noch nicht für euch selbst sorgen konntet. Aber so ist das nun mal mit der Biologie, sie wirkt, ob man will oder nicht, selbst wenn die Kids nichts lieber tun würden, als die Vorgänger rauszukicken.
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Nein, es wird beim allgemeinen Wuseln im größten allgemeinen Mischmasch bleiben. Und jede nächste "neue" Generation wird meinen, sie würde sich die Welt in einzigartig neuer Weise erwuseln. Die Ignoranz gegenüber dem Molekularrauschen ist Privileg der Jugend.
dass Politikerinnen Machtmenschen sind
dass PolitikerInnen Machtmenschen sind
Eine ganz hervorragende Erwiderung!
5 Sterne insbesondere für Aussagen wie die folgende - und zwar nicht weil die Erkenntnis so toll wäre, sondern weil diese so sehr der Realität trifft.
Wir wollen soziale Wesen sein, aber wir sind Kleingruppensäuger geblieben, deren empathische Fertigkeiten ab Daumen mal pi 20 Personen dicht machen. Danach können wir noch Empathie spielen, aber wir sind nicht mehr davon zu solidarischer Handlung angespornt, wir müssen uns Solidarität intellektuell erschließen und damit ist der Antrieb durch natürliche Instinkte dahin.
danke :-)
"Hurra, wir erben ..."
Zahlreiche Kapitalisten haben ihre Firma an Kinder überschrieben, um eine mögliche Erbschaftsteuer zu umgehen. Viele der Kinder, denen nun ein Unternehmen übertragen wurde, waren noch minderjährig. Das ergibt sich aus den bekannt gewordenen Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das die Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik ausgewertet hat.
Laut der Untersuchung gingen von den 144 Milliarden Euro an steuerfreien Firmenübertragungen - zwischen 2011 und 2014, für die Altersangaben vorliegen, 37 Milliarden Euro an Minderjährige. 29,4 Milliarden Euro davon hätten 90 Kinder im Alter von unter 14 Jahren erhalten. Von denjenigen, die unter 14 Jahre alt waren, bekam jeder Jugendliche durchschnittlich 327 Millionen Euro steuerfrei geschenkt.*
* Vgl. Zeit-Online, 8. Sept. 2016.
Damit sollten wir uns ernsthaft sozial- und gesellschaftspolitisch beschäftigen! In was für eine Gesellschaftsordnung wollen wir zukünftig leben? Weiterhin im heutigen Kapitalismus/Imperialismus und (realen) Erbschafts- und Bourgeoissozialismus - als bürgerlich-ideologische -modifiziert- hündische Sklaven im 21. Jahrhundert?
»Hurra, wir erben …«
... die Schulden des Wirtschaftsliberalismus, die Folgen des strukturellen Rückbaues des Staates seit 1982, das Dumpfbackengeschwätz der Mainstreammedien.
Die Seilschaft aus Wirtschaftsliberalen und ihren nützlichen Idioten in der Politik hat genau diesen Zustand der Gesellschaft gefördert.
Am Beispiel der Landtagswahlen in MeckPomm ist dies an den "Analysen" der Medien deutlich abzulesen. Gefiltert wird nach Alter, Bildung, Berufsstand und Geschlecht - und daraus werden Schlüsse gezogen.
Kein Schwein fragt nach den politischen Ursachen der letzten Parlamentsperiode in MeckPomm - warum auch, die Politik von Schwerin bis Berlin und Brüssel müßte dann eigene Fehler bearbeiten - das darf nicht sein, was nicht sein kann!
"So lange ein Boris Palmer ohne tiefergehenden Widerspruch aus der eigenen Partei Flüchtende vereinfachend für alles verantwortlich machen und rassistisch pauschalisieren kann ..."
Oh mein Gott. Oh mein Gott. Glauben Sie Ihr ganzes Geschreibsel wirklich? Und dann dieses ganze Linksfremdwortgesülze und die Sternchen und der Gebrauch von 'Flüchtenden' statt Migranten?
Wie unglaublich primitiv im Denken, und in der Darstellung dessen komplett falsch, was Palmer tatsächlich gesagt hat.
Über Sie persönlich mache ich mir keine Gedanken, aber es bereitet mir ernsthaft Sorgen, dass Menschen, die ähnlich schlichte und vereinfachende Denkmuster wie Sie besitzen, es seit den 68ern gechafft haben, sich im Marsch durch die Institutionen in Deutschland breitzumachen.
Den Salat sehen wir heute.
>>Zahlreiche Kapitalisten haben ihre Firma an Kinder überschrieben, um eine mögliche Erbschaftsteuer zu umgehen...<<
...und die Enkel verscherbeln den Laden an den meistbietenden Konzern. Natürlich von kreativen Chaoten, vulgo „Steuerberater“ so beraten, dass möglichst keine Steuern auf den Erlös fällig werden. Und der Konzern hat seinen Sitz dort, wo seine Manager die maximalen Steuerprivilegien aushandeln konnten, zum Wohle der Aktionäre (und ihrem Eigenen natürlich auch, denn dafür kriegen sie ihre Boni).
Wer hat das verbrochen? Die ganz Jungen* nicht, denn die müssen ja erst mal ein bisserl Karriere machen, bevor sie richtig dicke Sauereien auf den Weg bringen können.
>>Damit sollten wir uns ernsthaft sozial- und gesellschaftspolitisch beschäftigen!<<
Sollten wir, ja. Dafür wäre es allerdings nötig, nicht jedes Stöckchen zu apportieren, das professionelle Volksverblöder werfen. Sondern mal den eigenen Kopf benützen. Man muss den Leuten klar machen, dass das gar nicht weh tut, sondern sogar mehr Spass machen kann als immer nur zu denken was man denken darf.
* Die ganz Jungen nicht:
Die Jungen nicht, soweit sie keine Erben sind.
Den Einstieg Ihres Textes halte ich für oberflächlich und nicht plausibel (oder gar belegt):
"Die Politik der Alten ist mitunter rückwärtsgewandt und auf kurzfristige Lösungen bedacht. Wir Jungen werden mit den Konsequenzen in der Zukunft leben müssen."
Zunächst: Was soll das "mitunter"? Meinen Sie "in manchen Politikfeldern" oder "gelegentlich"? Und was sind die "Alten"? Die Alten, die nicht mehr berufstätig sind, bestimmen nicht die Politik - das sind die 40- bis 55-Jährigen. Die sehen in der Regel noch unbegrenzt viele aktive Jahre vor sich und sind alles andere als "rückwärtsgewandt". Im Gegenteil könnten eine Reihe von Problemen in Wirtschaft und Umwelt daher rühren, dass sie zu sehr an Innovation und Zukunft glauben.
Aus dem Foto und der Selbstbeschreibung schliesse ich, dass Sie zwischen 25 und 30 Jahre alt sind und sich in dieser Altersgruppe dort mit dem Begriff "Wir Jungen" verorten. Von dort aus gesehen sind alle Leute "alt", die im Beruf etabliert sind, Kinder haben und eine Reihe von Jahren verheiratet sind - also die 40- bis 55-Jährigen. Die Politikmacher. Als Angela Merkel Bundeskanzlerin wurde, war sie 51, mit 45 wurde sie Vorsitzende der CDU. Schröder war 55, als er Kanzler und Parteivorsitzender wurde. (Seehofer war bereits 59).
Die Macher in den Ministerien sind mindestens 10 Jahre jünger. Die Pläne für die katastrophale Deregulierung der Finanzmärkte hat der damals knapp 40-jährige Asmussen geschrieben und durchgedrückt - noch bevor er Staatssekretär im Finanzministerium wurde. Abteilungsleiter, Staatssekretär - das sind die Ebenen, auf denen wirklich die politischen Aktionen vorbereitet und eingefädelt werden. Die Minister heben oder senken dann noch den Daumen - meist heben sie den, weil sie gerne gut klingende neue Aktionen möchten.
Und weil sie als Politiker "kurzfristige Lösungen" möchten. Denn die nächsten Wahlen sind immer wichtig, und für diese werden die Konzepte gemacht.
Zusammengefasst:
Ihre Pauschalisierung "Wir Jungen vs. Die Alten" sollten Sie etwas konkretisieren.
Die Vorstellung, dass die Alten "rückwärtsgewandt und auf kurzfristige Lösungen bedacht" sind, halte ich für in sich unlogisch. Wer über grössere vergangene Zeiträume hinweg denkt - sei es als Historiker oder über lange Perioden des eigenen Lebens -, der erkennt als häufiges Muster die Irrtümer früherer Entscheidungen. Ein grosser Teil der Entscheidungen, die man als dauerhaft positive Lösungen gehalten hat, erwiesen sich als kurzfristig.
Wie der Ostblock zerfallen ist, wie die EU möglicherweise zerfällt, welche wunderbaren Aussichten die Kernkraft bot und wie die Probleme dann sichtbar wurden - das hat nichts mit alt oder jungen Entscheidern, sondern mit Zukunftsgläubigkeit und unkritischem Denken zu tun.
Nach meiner Beobachtung sind Junge wie Alte in ähnlichem Umfang zu unkritischem Denken begabt (d. h. zum kritischen Denken unbegabt), und lassen sich von der Aussicht auf kurzfristige Lösungen blenden.
In meinem Alter (68 Jahre) traue ich kurzfristigen Lösungen für gesellschaftliche Probleme nicht. Ich bin rückwärtsgewandt in dem Sinne, dass ich aus der Erfahrung der Jahre heraus die Probleme für komplizierter und die vermeintlichen Lösungen als tückischer sehe.
Ob eine zukünftige Regierung Erbschaftssteuern von 50 oder 90 oder gar 100 Prozent für die nächste Generation festlegt, ist mir persönlich egal. Ich habe auch nicht geerbt, warum sollen es die Kinder besser haben? Sie haben ihre Ausbildung/Studium erhalten, die habe ich bezahlen können; ich habe meine Ausbildung/Studium aus Stipendien und eigener Arbeit finanziert.
Ehe ich vollends rückwärtsgewandt werde, eine Schlussbemerkung: Alte und Junge vertragen sich meist besser als mit der Generation (Eltern / Kinder) dazwischen.
Liebes Nordlicht, danke für Ihr Feedback. Das Foto wurde vom Freitag eingefügt und mein Einstieg verändert um eine unveränderte Version zu sehen, schauen Sie doch bitte in meinen Blog: www.nilsberliner.de .
Mein Fokus lag eigentlich mehr darauf, warum es vollkommen normal ist, dass sich politische Ansichten mit dem Älterwerden verändern. Dass das jedoch nichts mit Naivität oder Egoismus, sondern mit teilweise verschiedenen rationalen Interessen zutun hat.
Wie Ihr und einige weitere Kommentare zeigen, habe ich mich da etwas missverständlich ausgedrückt. Es ging mir nicht darum ein "Wir" gegen "Euch" zu konstruieren sondern zum Dialog anzuregen.
Solche Missverständnisse sollten natürlich vermieden werden und darum danke ich für Ihren Kommentar, der mich erneut dafür sensibilisiert.