Fundamentalismus im Buchregal

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Fundamentalismus im Buchregal

Die Zweigstelle der städtischen Bücherei auf der Favoritenstraße Nummer 8 im vierten Wiener Gemeindebezirk bietet einen schönen Querschnitt durch die Welt der Bücher. Das Personal ist freundlich, die Räume sind hell und ansprechend. Viele Bereiche werden abgedeckt – wenn oft auch nur mit einer geringen Anzahl an Büchern.

Auch in der Abteilung „Politik“ finden sich mehrere Unterkategorien. Insbesondere die Sortierung unter dem Stichwort „Fundamentalismus“ und „Rassismus“ fand ich interessant.

Doch was versteht man eigentlich unter Fundamentalismus? Angesichts der Sortierung fand ich diese Frage mehr als berechtigt, zumal es sich bei diesem Begriff um ein schönes Plastikwort handelt, das schnell bei der Hand ist, jedoch selten eindeutig definiert wird. Dies hole ich an dieser Stelle nach:

„Als Fundamentalismus bezeichnet man eine Strömung innerhalb einer Religionsgemeinschaft, die nur die eigene Glaubensüberzeugung – die eigene Wahrheit – zulässt. Alle anderen Religionen werden abgelehnt.

Fundamentalismus gibt es in nahezu allen Religionsgemeinschaften. FundamentalistInnen berufen sich dabei stets auf die eigene Glaubenslehre – z.B. auf den Koran (Muslime im Islam), die Bibel (Christen/Christinnen im Christentum) oder den Talmud (Juden/Jüdinnen im Judentum). Teilweise wird auch mit Gewalt versucht, Andersgläubige zu bekehren und dem Fundamentalismus zum Durchbruch zu verhelfen. Während der Kreuzzüge im Mittelalter wollte die katholische Kirche ihren Glauben im Nahen Osten verbreiten.

Manchmal wird der Glaube aber nur zum Vorwand genommen, um die eigenen Ideen und Machtansprüche durchzusetzen oder zu verteidigen. So beruft sich die Terrororganisation Al Kaida zwar auf den Islam, eigentlich geht es dabei aber nicht um Religion, sondern darum, andere Länder oder Menschen zu terrorisieren (Terrorismus).“

Georg Bienemann beschreibt Fundamentalismus als eine Haltung, die in „entweder-oder“ polarisiere und kaum „kompromissfähig“ sei. Zudem gäbe es ein starkes Element der Kontrolle und der Hierarchie (Bienemann, 1997; 35).

Die obige Definition stammt aus dem "Politiklexikon für junge Leute", das 2008 im Verlag Jungbrunnen Wien, im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur herauskam. Ich habe die Textstelle deshalb ausgewählt, weil sie (a) sehr verständlich ist und (b) in einem offiziellen Kontext respektive einem österreichischen Bildungskontext steht. Sie bekommt dadurch einen lokalen und halbwegs offiziellen Charakter. Der Verdienst dieser Definition ist, dass Fundamentalismus nicht nur auf den Islamismus reduziert wird – obwohl das Al-Kaida-Beispiel den Fokus wieder verstärkt.

Fundamentalismus ist jedoch nicht nur auf „Religion“ zu beziehen. Auch in der Politik kommt der Begriff vor und heute verknüpft man generell mit Fundamentalismus etwas Schlechtes - wie in vielen Fällen, wenn sich an ein grundsätzlich neutrales Wort ein Suffix auf "-ismus" anschmiegt. Denn auch in der (partei)politischen Bewegung der „GRÜNEN“ unterschied man zumindestin der BRD zwischen „Fundis“ und „Realos“.

Jemanden als Fundamentalisten zu bezeichnen, kann auch ein rhetorischer Kniff sein, das Gegenüber zu diskreditieren. Man kann schnell jemanden als Fundamentalisten abtun, um eine vermeintlich starre Haltung in einer religiösen, gesellschaftlichen und/oder politischen Diskussion zu kritisieren. Spannend wird jedoch die Bezeichnung erst dann, wenn "fundamentalistisch" geprägte Personen die intendierten Beschimpfungen oder Schubladisierungen tatsächlich als Bedrohung und folglich als Bestätigung der eigenen Denkweise sehen (Bienemann; 1997; 35).

Was passiert aber, wenn man im weiten Bedeutungsfeld des „Fundamentalismus“ auch noch sehr auf „Reduktion“ setzt? Was passiert also, wenn wir den Fundamentalismus nicht nur auf religiöse Fragen, sondern auf eine besondere Spielart, wie jene des Islamismus, reduzieren? Das Risiko besteht darin, dass man sich ein Bedeutungsfeld auf genau das zurecht stutzt, was gerade „en vogue“ ist. Reduzieren bedeutet nämlich nicht nur weglassen, sondern auch „betonen“. Und es kommt weniger drauf an, was weg gelassen wird, sondern vornehmlich was übrig bleibt.

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Konkret: Wenn ich also in einer netten Bücherei, wie der Stadtteilbücherei Wieden, unter dem Schlagwort „Fundamentalismus“ fast nur Bände stehen habe, die sich mit dem Islamismus beschäftigen, werte ich den Islamismus zum Schwerpunkt auf und alle anderen fundamentalistischen Themen (Kreationismus, Abtreibungsgegner/innen etc.) ab. Die Tatsache, dass es sich um wenig Bücher handelt, macht es fast noch deutlicher. Der Islamismus wird so ins Scheinwerferlicht gestellt und alle anderen Themen landen im OFF. Auf der anderen Seite werden Menschen, die eine grundsätzlichere – einige würden auch orthodoxe – Glaubenshaltung in anderen Bereichen einnehmen nicht mehr wahrgenommen. Mit der Aufwertung ist natürlich auch eine Diskriminierung verbunden – oder genauer gesagt: die Möglichkeit der Diskriminierung im wortwörtlichen Sinn von „unterscheiden“ wird (teilweise) entzogen.

Alles in allem bleibt ein Bild bestehen, das eine einfache Gleichung zulässt. Buchrücken, die mit ihren (reißerischen) Titeln, ein eigenes Bild erschaffen, verstärken die Gleichung „Fundamentalismus ist gleich Islamismus ist gleich Islam“. In einem Land, in dem der Islam keinen sehr hohen Stellenwert hat, wird es schwer den Generalverdacht des Fundamentalismus aus der Welt zu schaffen. Wie nahe Islam, Islamismus und Fundamentalismus liegen, belegt eine Studie von „Gfk“ aus dem Jahr 2009. Ich zitiere:

„Ein genereller „Gewalt- bzw. Extremismusverdacht gegen den Islam ist nur bei einer – wenn gleich nicht unbeträchtlichen – Minderheit von rund einem Drittel der Österreicher feststellbar, allerdings halten zwei Drittel die islamischen Moralvorstellungen für überkommen und für das moderne Europa unpassend. (Ulram, 2009, 82)“

Eine solche Haltung spiegelt sich auch im Wiedner Buchregal wieder. Die einfache Rechnung, dass Fundamentalismus gleich Islamismus und Islamismus gleich Islam ist, wird sich weiterhin verbreiten. Wenn dann auch noch Bücher zu diesem Thema verstärkt angekauft und entsprechend präsentiert werden, scheint dies ein weiter kleiner Tropfen im großen Antisemitismusfass zu sein. Und auch der Begriff „Antisemitismus“ ist eigentlich eine Reduktion, denn die „Semiten“ bestehen nicht nur aus Jüd/innen.

Bibliograhie:

  • Univ.-Doz. Dr. Peter A. Ulram. INTEGRATION IN ÖSTERREICH. Einstellungen, Orientierungen, und Erfahrungen von MigrantInnen und Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung. Gfk, Wien 2009.
  • Reinhold Gärtner und Sigrid Steininger. Politiklexikon für junge Leute. Jungbrunnen, Wien 2008.
  • Georg Bienemann. Gefahren auf dem Psychomarkt. Beltz Juventa, 1997.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Neil Y. Tresher

Alle Angaben zu meiner Person sind Hörensagen mit Gewehr - äähm ohne Gewähr.

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