Hauptwege und Nebenschauplätze -

Reportage Zugegeben: ich habe ein ambivalentes Verhältnis zur Inneren Stadt. Wiens Zentrum ist trotzdem immer wieder einen Spaziergang wert. Eine Shoppingtour mal anders.

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Ich fahre selten in "die Stadt". Mit "die Stadt" meinen gelernte und geborene Wiener/innen den ersten Wiener Gemeindebezirk, auch als "Innere Stadt" bekannt. Seit Ursula Stenzl (ÖVP) Bezirksvorsteherin ist, entwickelt sich das Zentum Wiens zu einer regelrechten Attraktion. Die Kärnter Straße wurde saniert, viele große Brandings kamen, um zu bleiben. Flagshipstores breiten sich aus. Böse Zungen behaupten, die Innere Stadt verkäme immer mehr zu einer "Sissytown" oder zu einem Freilichtmuseum. Aber bevor man mir wieder vorwirft "zu mäkelig" zu sein oder zu sehr zu raunzen, kehre ich doch in den Erzählton zurück.

Anlass in "die Stadt" zu fahren, ist meist der Frisörbesuch meiner Frau. Das heißt: Sie geht zum Frisör, ich hole sie ab. Waschen, färben und schneiden - das Übliche halt. Das kann schon mal mit Wartzezeiten verbunden sein. Der Frisörsalon ihrer Wahl heißt "Mo'hair" und befindet sich auf der Marc-Aurel-Straße und ist ein wirkliches Kleinod. Eine große Glasfront öffnet den Weg zu einem schmalen Gang. Es gibt sechs Frisörsessel, dazu zwei Fauteuils für wartende Menschen. Alles wirkt ein wenig eng und erinnert an einen Haushalt, in dem sich über die Jahre fast organisch Dinge angesammelt haben. Zwischen den Sesseln werkt "Frau Conny"samt Lehrling, dass es eine reine Freude ist. Der Name des Salons "Mo'hair" erscheint dabei ein wenig unpassend für die noble Gegend. Dabei ist das Wortspiel ein Musterbeispiel an Mehrdeutigkeit und müsste den meisten Besucher/innen und Anrainer/innen im wahrsten Sinne des Wortes zu denken geben.

Der Frisör

Mo'Hair ist nicht nur ein Homonym für die Wolle der Angora-Ziege, deren Fell die Basis für eine besonders feine Wolle ist. Mohär oder in alter Schreibweise Mohair wird jedoch nicht nur für Textilien benutzt, sondern auch für das Fell hochwertiger Plüschtiere, was den Reiz des Wortspieles erhöht. Natürlich gibt es auch noch eine sehr bodenständige, ja fast banale Erklärung. Die Besitzerin des Salons hört auf den Vornamen "Monika". Und die vierte Ebene ist der Slang, der so gar nicht zur pikfeinen Marc-Aurel-Straße passen will. Mo'hair ist Slang für "more hair", wobei das "mo'" nicht für "mehr", sondern für "sehr viel" steht - zumindest laut urban dictionary. Mo'hair bedeutet also sehr viel Haar, was natürlich bei einem Frisörladen beste Voraussetzungen für ein gutes Geschäft sind. Ein Hauch von Street Style in einem Salon, der ein wenig schon die Patina der 80er Jahre angesetzt hat.

Die Buchhandlung

Da ich noch ein wenig warten musste, beschloss ich von der Marc-Aurel-Straße zur Fischerstiege zu gehen. Eigentlich hatte ich einen kleinen Spaziergang um den Häuserblock geplant. Ich stieß dabei auf die "a.punkt"-Buchhandlung. "Mein Gott, wie die Zeit vergeht", dachte ich beim Anblick der Auslage. "Ich kann mich noch erinnern, dass es hieß Brigitte Hermann macht wieder einen Laden auf. Das ist mittlerweile auch schon wieder über zehn Jahre her." Angefangen hat Brigitte Salanda, wie sie jetzt heißt, 1960 in der Wiener Traditionsbuchhandlung Heger in der Wollzeile. Ihren eigenen Laden und Lebensmittelpunkt schuf sich die Buchhändlerin jedoch mit der legendären “Buchhandlung Herrmann” in der Grünangergasse. Dort verkaufte und wirkte sie zwischen 1968 und 1992 in einem kleinen Laden. Danach ging es zurück in die Zentralbuchhandlung... auch wieder legendär. Also hinein. Ich denke, dass es Eva Riberits war, die mich gleich, fachfraulich in Empfang nahm und fragte, was ich suche. Dazu muss gesagt werden: Das Stöbern ist in dieser Buchhandlung ausdrücklich erwünscht und es kann sogar passieren, dass Touristen wieder weggeschickt werden, weil man keine Stadtpläne oder andere Sightseeingutensilien führt. Sie verlassen die Buchhandlung jedoch nicht ohne einen Hinweis, wo es das Objekt der Begierde zu kaufen gibt. Die Tatsache, dass die etwas versteckt liegende Buchhandlung nicht auf den Tourismus eingerichtet ist - was neben der Tatsache, dass es kein Schnickschnack wie Schreibutensilien und andere Geschenkartikel gibt - wirkte wohltuend auf mich - "Very old school - very cool." Die Regale sind so hoch, dass man eine Leiter baucht. Ja, die Literatur will hier noch erklommen werden.

Eines fällt auf. Die Buchhandlung ist sehr gut bestückt - ja Hochregale können was - und hier findet man auf Anhieb Dinge, die sich bei den großen Mainstreambuchhandlungen nicht finden lassen. Ich empfand es sogar als ungemein interessant, dass die hilfsbereite Dame sich quasi dafür entschuldigte, dass der Bereich "Mediation" etwas vernachlässigt worden sei. Der Schwerpunkt läge auf der Psychoanalyse. Natürlich fand sich auch österreichische Literatur. So etwa der neueste Band von Günter Vallaster.

Günter Vallaster, geboren in Schruns, ist/war nicht nur umtriebiger Verleger, sondern auch Lyriker und Autor an der Schnittstelle zwischen Ton, Bild und Experiment. Er steht, wenn man so will, in der guten alten Tradition der "Wiener Gruppe" und führt die Form der visuellen Literatur auch fort. So auch im neuen Lyrikband "Am Sims", der in der Edition Art Science 2013 erschien. Unter "Strophen" präsentiert der Autor Buchstabengedichte. Jedes Gedicht stellt einen Buchstaben des Alphabets dar. Es sind Bildgedichte in der Folge von Guillaume Appollinaires "Calligrammes". Folgerichtig arbeitet Vallaster bei den einzelnen Buchstabengedichten mit Stabreimen.

Die ebenfalls in "Am Sims" vorhandenen Sockengedichte sind für mich alte Bekannte. Sie wurden 2012 im read!!ing room bei der ersten Ausgabe des "Summer in the City - Summa in da Stadt" - Festivals vorgetragen. Die Gedichte sind kleine Miniaturen, die Semiotik und Prosa zu etwas Eigenständigem verbinden. Ähnliches wird auch von der "Büchse" zu sagen sein, mit dem Unterschied, dass die gebundene Form wesentlich mehr im Vordergrund steht als bei den "Socken". Last, but not least verpflichtet sich Günter Vallaster der Bildgeschichte, die er gleichzeitig in Simultanübersetzungen erzählen lässt (Russisch und Englisch). A propos Russisch... die gutturalen Laute waren heute wieder in der Innenstadt sehr stark zu vernehmen. Schön so etwas...

Der Juwelier

Wieder zurück auf die Tuchlauben - meine Frau erstrahlte inzwischen mit einer neuen Frisur - wo uns die Auslage eines Juweliers auffiel. Totenschädelringe, Rasiermesseranhänger, eine Gürtelschnalle. Sehr untypisch für diese Gegend. Sehr heavy metal und Rockerstyle. In der Nebenauslage klassische Ringe, einfach, glänzend mit großen Steinen. Ein wunderbarer Kontrast, der uns von der Inhaberin einfach erklärt wurde. Die Auslage mit den "schweren Stücken" gehöre ihrem Sohn, der seine Inspiration offenbar aus der Biker-Kultur und der Rockabilly-Szene bezieht. Die zweite Auslage, jene mit den klassischen polierten, glänzenden Stücken gehöre ihrem Mann. Der Sohn - Kurt Deltl - ist ebenso wie der Vater ausgebildeter Goldschmied und soll das seit 1904 existierende Geschäft weiter führen. Die Kundschaft wird sich an den neuen Stil gewöhnen.

Die Galerie

Unsere kleine Tour führte uns weiter hinauf zum Graben (wieso eigentlich hinauf - vielleicht wegen des leichten aber doch merklichen Gefälles, das die Tuchauben auszeichnet.) Wir drehten eine Runde über den Graben, der auch nach dem Remmi-Demmi des Silvesterpfades gut besucht war. Der Graben zeigte keine Spuren der Neujahrsfeierlichkeiten (Kompliment an die Wiener Stadtwerke), wir zogen weiter vorbei am Stephansdom, in die Rotenturmstraße hin zur Wollzeile. Meine Frau mag diese altehrwürdige Einkaufsstraße, die ja fast eine Kunstmeile ist. Das Dots - eher bekannt für seine exquisiten Sushi-Kreationen - hat einen contemporary Art Space eröffnet. Das schmale Eingangsgeschäft, das eine Art Museumsschop darstellt, gibt den Weg frei für ein breites Stiegenhaus, das in einem großen Kellerraum mündet, der wiederrum eine Bar respektive ein Restaurant beherbergt. Irgendwie undergroundig - im wahrsten Sinne des Wortes. Alles in den gediegenen Farben Schwarz und Weiß. Das Stiegenhaus wurde mit Kunstrasen ausgelegt. An den Wänden hängen Altherrenphantasien in High Definition. Der Künstler - Cyril Helnwein - inszenierte vor seiner Kamera fast jeden nur erdenklichen Fetisch (Latex, Pet-Play und was weiß der Teufel noch). Die abgelichteten Models könnten alle direkt einem Cartoon entsprungen sein. Die Grenze zwischen Kunst und Sexismus ist in diesem Bereich eine sehr schmale. Abgesehen von ein paar Kalauern - Stichwort "meine Heels bringen mich noch um" - , sind die meisten weiblichen Models in unterwürfiger Pose zu sehen. Vor allem das Sujet des bärtigen Sternenguckers im Umhang (Renaissance?) der sein "Fernrohr" auf dem verlängerten Rücken einer dunkelhäutigen nackten Frau positioniert und ausrichtet, lässt viele Interpretationen zu, zumal das Sujet eindeutig an die Entdecker und die Conquistadores der Neuzeit erinnert - mit allem historischen Ballast. Diese Anspielung wurde bewusst gewählt. Provokation scheint also in der Familie Helnwein weiter vererbt worden zu sein. Nun denn. Interessant finde ich, dass das LUMAS seine Pforten genau daneben geöffnet hat - und somit zeitgenössische Fotokunst gleich an zwei Standorten zu betrachten ist. Übrigens verlangt Herr Helnwein junior knapp 3000 Euro für seine Werke. Nach diesem Zwischenstopp in den Untergrund, ging es weiter hinunter über die Wollzeile, am guten Karl Lueger vorbei, der hoffentlich bald gekippt wird weiter zur neuen Mall auf der Landstraße.

Es scheint eine unumstößliche Wahrheit zu sein, dass die Nebenschauplätze interessanter sind als die Fußgängerzonen und Alleen. Wieso sollte Wien da eine Ausnahme sein. Und auch für die Innere Stadt gilt: Es ist noch nicht alles Museum und Walzerseligkeit.

Wir beschlossen unseren Spaziergang bei einer Ramien-Suppe bevor uns die Schnellbahn in unseren wenig spektakulären Heimatbezirk entführte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Neil Y. Tresher

Alle Angaben zu meiner Person sind Hörensagen mit Gewehr - äähm ohne Gewähr.

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