Vor 50 Jahren wurde Ernst Kirchweger getötet

Zeitgeschichte Am 31. März 2015 jährt sich zum 50. Mal der Faustschlag gegen den Antifaschisten Ernst Kirchweger, der zwei Tage später zu dessen Tod führte. Eine Wiederaufnahme

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"Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren." Was ein beliebter Spruch der deutschen Studentenbewegung war, war in den Vorlesungen von Taras Borodajkewicz gelebte Realität. Der Professor an der Hochschule für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität) hielt regelmäßig Vorlesungen mit öffentlichen antisemitischen Äußerungen und fiel durch seine Bemerkungen über "das Geflunker von der österreichischen Nation" auf. Der Protest gegen den offenkundigen Nationalsozialisten Taras Borodajkewicz führte vor genau 50 Jahren, am 31. März 1965, zum Tod von Ernst Kirchweger. Der damals 67-jährige Pensionist nahm Teil an den Demonstrationen gegen den Professor an der Schule für Welthandel. Als rechtskonservative und rechtsextreme Studenten versuchten, die Kundgebung zu stören, kam es zu Tätlich­keiten. Dabei wurde Kirchweger von dem als Neonazi bekannten Günther Kümel attackiert und so schwer verletzt, dass er am 2. April im Krankenhaus verstarb. Somit ist Ernst Kirchweger das erste Opfer einer nationalsozialistisch motivierten Aktion nach dem Ende des zweiten Weltkrieges.

Die bekannte Antifaschistin, Sozialdemokratin und österreichische Politikerin Rosa Jochmann beschreibt die Demonstration, bei der Kirchweger getötet wurde, mit folgenden Worten: "Sehr gut erinnere ich mich, denn leider sind solche Vorfälle schwer zu vergessen. An diesem Tag wartete ich mit meinen Freunden vom 'Bund Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus' vor dem Denkmal der Republik. Andere Gesinnungsgenossen hatten sich am Karlsplatz getroffen und sollten zu uns stoßen. Und da mußte ich mit ansehen, wie plötzlich Hunderte von Menschen auf der Rampe des Parlaments stürmten und schrien: 'Juden raus!' und 'Hoch Auschwitz'." (Rosa Jochmann; 1983; 143)

Wie kam es dazu?

1962 begann vor allem ein gewisser frisch promovierter Jurist namens Heinz Fischer, der heute das Amt des österreichischen Bundespräsidenten bekleidet, als Student auf die Äußerungen von Professor Borodajkewizcz aufmerksam zu machen. Der Professor war 1946 im Zuge der Entnazifizierung als "Minderbelasteter" eingestuft worden und seine Entlassung wurde im Jahr 1950 wieder aufgehoben. 1955 bekam er eine Professur für Geschichte an der Universität für Welthandel in Wien. Heinz Fischer beschrieb den Professor an der Schule für Welthandel in der Zeitschrift "Die Zukunft" als ehemaligen Nazi und gab die Äußerungen, die von einem anderen Studenten mitgeschrieben worden waren, in der Zeitschrift wieder. Bei diesem Studenten handelte es sich um den späteren Finanzminister Ferdinand Lacina. Borodajkewicz klagte gegen Fischer wegen Ehrenbeleidigung, was angeblich eine gern genutzte Waffe des Professors war. Es blieb jedoch nicht bei einem kleinen juridischen Geplänkel, das für Heinz Fischer zunächst mit einer Geldstrafe für Ehrenbeleidigung endete. Taras Borodajkewicz fühlt sich angeblich noch bestärkt, weiter seine antisemitischen Äußerungen in den Vorlesungen zu tätigen. Die Affäre kam ins Parlament. 1965 stellte die SPÖ Angeordnete Stella Löw-Klein eine erste parlamentarische Anfrage an den damaligen Unterrichtsminister Piffl-Percevic (ÖVP). Es kam zu einer parlamentarischen Anfrage die Äußerungen des Professors betreffend. Der Fall nahm an Dynamik auf, als der Kabarettist Gerhard Bronner in seiner Fernsehsendung „Zeitventil“ den Professor in einem fiktiven Interview mit Originalzitaten zu Wort kommen ließ. Bei einer Pressekonferenz im Auditorium Maximum am 23. März nahm der von Bronner aufs Korn genommene Professor für Geschichte Stellung. Er bekannte sich zu seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus und erntete tosenden Beifall. Daraufhin kam es zu einer Großdemonstration am 31.März 1965 bei der Ernst Kirchweger so schwer verletzt wurde, dass er zwei Tage später verstarb. Am Begräbnis nahmen 25.000 Menschen teil. Der Gewerkschaftler, Antifaschist und Widerstandskämpfer Josef Hindels sprach - unter anderen - bei dieser Veranstaltung. Hindels nannte Kirchweger "den ersten Märtyrer Österreichs in der Auseinandersetzung mit der neuen faschistischen Gefahr. Es ist von tiefer symbolischer Bedeutung, dass er einige Wochen vor seinem Tod mit dem Präsidenten der österreichischen Widerstandsbewegung ein Gespräch hatte und in diesem Gespräch brachte er seine Beunruhigung zum Ausdruck über jene neue Hitlerjugend aus der seine Mörder hervorgegangen sind."

Bruno Frei, kommunistischer Journalist und Exilant, berichtete in seinen Memoiren: "Wenige Wochen vorher hatte ich, eingekeilt, in der Menge, die im Halbrund der Feuerhalle schweigend wartete, an der Bahre Ernst Kirchwegers gestanden. Er war in meinem Alter, als ihn der junge Fanatiker niederschlug; ebenso gut hätte er mich niederschlagen könne. Auch ich war in der Reihe marschiert, im Gleichschritt der Kameraden, auch ich hatte meinen Zorn über den Nazigeist an den Wiener Hochschulen in lauten Rufen Ausdruck gegeben. Woran wir uns beteiligten, Kirchweger, ich und Tausende, war eine Kampfdemonstration einberufen von der Österreichischen Widerstandsbewegung. Am 31. März 1965." (Frei; 1972; 256) Frei berichtet, dass auch Rosa Jochmann bei der Trauerfeier sprach. Sie übte sich laut Frei in Selbstkritik und bedauerte dass sie und alle anderen, die an der Demonstration teilnahmen, nicht fähig gewesen seien "den Arm aufzuhalten", der den Kameraden erschlug.

Günther Kümel wurde wegen "Notwehrüberschreitung" zu zehn Monaten Arrest verurteilt, Borodajkewicz wurde im Mai 1966 zwangspensioniert. Kümel war kein unbeschriebenes Blatt und gehörte zur Burschenschaft Olympia, die wegen ihrer Verwicklung in den Bombenterror an der österreichisch-italienischen Grenze Anfang der 1960er-Jahre verboten wurde (Dez. 1961). Die Olympia wurde jedoch 1973 wieder zugelassen und stellte einige freiheitliche (Spitzen)politiker. Auch soll Kümel - laut Hans Waschek - bereits am 01. Mai 1958 Stinkbomben beim Aufmarsch der SPÖ geworfen haben. 1961 soll er mit Gerd Honsik - der auch heute immer wieder wegen Widerbetätigung vor Gericht steht - eine Brandbombe gegen die italienische Botschaft in Wien geworfen haben. Der Tod Kirchwegers löste eine bis dahin in Österreich einmalige Welle antifaschistischer Aktivitäten und Aufklärungsaktionen aus.

Allerdings sollte der Schock, den der Tod von Ernst Kirchweger ausgelöst hatte, nur sehr kurz anhalten. Schonungslos hier die Analyse von Hans Waschek: "Der alljährliche Schweigemarsch der Freiheitskämpfer am 12. Februar zum Gedenken an die Opfer des Faschismus am Wiener Zentralfriedhof wurde in den fünfziger und sechziger Jahren noch von Spitzenfunktionären der SPÖ angeführt, später blieben sie dieser Gedenkveranstaltung zumeist fern. Man hielt die Freiheitskämpfer in zunehmendem Maße für einen sozialistischen Veteranenverein, der zwar ehrbar war und über verdiente, ja sogar hochgeehrte Mitglieder wie Rosa Jochmann verfügte, stellte aber dessen Daseinsberechtigung wiederholt in Frage. Diese Tendenz ging einher mit zunehmender Entideologisierung der Sozialistischen Partei und einer damit in Zusammenhang stehenden Bagatellisierung der Gefahr von rechts. Der Schock, den die Affäre Borodajkewicz und der Mord an Ernst Kirchweger ausgelöst hatte, war bald wieder vergessen." (Waschek; 47; 1994)

Wer war nun Ernst Kirchweger?

Kirchweger wurde am 12. Jänner 1989 in Wien geboren und entstammte einer Wiener Arbeiterfamilie. Sein Vater, der als Handschuhmachergehilfe arbeitete, war bereits gewerkschaftlich organisiert und wurde Funktionär in seiner Berufsgruppe. Kirchweger besuchte die Volks- und Bürgerschule und absolvierte zunächst eine Drogistenlehre. Geprägt durch das Elternhaus ging Kirchweger zu den Kinderfreunden und trat 1916 der Sozialdemokratischen Arbeiterparei bei. Im Ersten Weltkrieg wurde er 1916 zur k. u. k. Kriegsmarine eingezogen und diente auf Schiffen in der Adria. Im Februar 1918 nahm Kirchweger als Matrose am Aufstand von Cattaro teil. 1918 kehrte Kirchweger aus der italienischen Gefangenschaft nach Wien zurück. Danach nahm er auf Seiten der Roten Garde an den revolutionären Kämpfen im November 1918 teil. Hier gibt es unterschiedliche Angaben. Kirchwegers Biograph schreibt: "Als im März 1919 in Budapest die Räterepublik ausgerufen wurde, ging Kirchweger nach Ungarn, um dort in den Reihen der neu aufgebauten Roten Armee zu kämpfen. Nach der Niederwerfung der Räterepublik Ende August 1919 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete zunächst als Angestellter der Arbeiterkonsumgenossenschaft." (Mugrauer, www.oeaw.ac.at) 1925 bis 1937 war er Bediensteter der Gemeinde Wien, genauer gesagt als Schaffner der Verkehrsbetriebe. Kirchweger folgte auch hier seinem Vater und arbeitete in der Gewerkschaft.

Mit dem Verbot der SDAP wechselte Kirchweger zur KPÖ . Kirchweger engagierte sich während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus unter Einsatz seines Lebens in den illegalen freien Gewerkschaften. Er organisierte seine Berufsgruppe und fungierte als Obmann der illegalen Gewerkschaftsgruppierung der Straßenbahner. Er redigierte die illegale Gewerkschaftszeitung. 1937 wurde Kirchweger Verwaltungschef des "Compass-Verlages". Der Compass gab ein Jahrbuch heraus, das Informationen zu den österreichischen Unternehmen enthielt. Sein Schwager war Besitzer des Verlags und die familiäre Beziehung dürfte wohl ausschlaggebend gewesen sein für den beruflichen Aufstieg. Kirchweger blieb bis zu seiner Pensionierung beim Verlagshaus. Er blieb der KPÖ auch nach dem Krieg treu und arbeitete im Umfeld des "Scala-Theaters". Auch hielt er Vorträge im Collegium Hungaricum. Er starb wie bereits gesagt am 02. April 1965,

Zum Gedenken an Ernst Kirchweger wurde der 1979 bis 1981 errichtete Gemeindebau in Ernst-Kirchweger-Hof benannt: So erinnert ein Gemeindebau der Sonnwendgasse 24 an das erste Todesopfer politischer Gewalt in der Zweiten Republik. Das Ernst-Kirchweger-Haus in der Wielandgasse trägt ebenfalls seinen Namen.

Der Tod von Ernst Kirchweger sollte gerade in diesen Tagen, im Rahmen der Jubiläumsfeier zum 650. Geburtstag der Hauptuniversität, ein wichtiger Baustein der Gedenkfeierlichkeiten sein, da der Tod von Ernst Kirchweger nicht nur mit der 600-Jahrfeier des Hauses am Ring zusammenfiel, sondern auch ein Beispiel für eine verfehlte Hochschul- und Personalpolitik nach dem zweiten Weltkrieg darstellt.

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Quellen:

  • http://www.dasrotewien.at
  • Frei, Bruno. Der Papiersäbel. Autobiographie. S. Fischer, 1972.
  • Rosa Jochmann. Zeitzeugin. Hrgb: Maria Sporrer und Herbert Steiner. Europaverlag, 1983.
  • Waschek, Hans (Hrgb.) Rosa Jochmann. Ein Kampf der nie zu Ende geht. Reden uns Aufsätze. Löcker Verlag; 1994.
  • Mugrauer, Manfred. Biographie des Monats März 2015. Das erste Opfer politischer Gewalt in der Zweiten Republik: Ernst Kirchweger . http://www.oeaw.ac.at/inz/forschungen-projekte/oesterreichisches-biographisches-lexikon/biographien-des-monats/maerz-2015/
  • Josef Hindels spricht bei der Trauerkundgebung für Ernst Kirchweger. Österreichische Mediathek. www.mediathek.at
  • Ereignisse, Dekrete, Kontroversen. Hrgb: Wolfgang Benz. Walter de Gruyter, 2011 -
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Geschrieben von

Neil Y. Tresher

Alle Angaben zu meiner Person sind Hörensagen mit Gewehr - äähm ohne Gewähr.

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