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Der Naziaufmarsch in Dresden scheint Geschichte, und damit Europas größter Naziaufmarsch. Ein Erfolg einer breiten antifaschistischen Bewegung.

„Aller guten Dinge sind drei“. So lautete der einer der Slogans der antifaschistischen Mobilisierung im Jahr 2012. Tatsächlich scheint der Naziaufmarsch nun Geschichte zu sein. Bereits am Montag den 13. Februar zum eigentlichen Trauermarsch, erwirkten über 5000 GegendemonstrantInnen durch Blockaden, dass die angereisten 1200 Neonazis nur eine sehr verkürzte Route um den Hauptbahnhof laufen konnten. Spätestens am 18. Februar selbst wurde klar: Kein Nazi wird durch Dresden marschieren. Tausende AntifaschistInnen setzten ein Zeichen und protestierten ebenfalls gegen die „sächsischen Verhältnisse“ die den Nazis jahrelang in der Ausübung ihrer Aufmärsche zuspielten und Gegenprotest mit teilweise völlig überzogenen Mitteln zu kriminalsieren versuchten. Klägliche Ersatzaufmärsche der Nazis in Gera, Worms oder Fürth erreichten kaum über 100 Teilnehmer, und wurden im Falle Worms vorzeitig aufgelöst.

Es war ein harter Weg bis an diesen Punkt. Seit dem Jahr 2000 organisierte die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland sowie freie Kameradschaften und NPD den Trauermarsch. Dieser wuchs rasch heran. Die Großaufmärsche an den Wochenenden nach dem 13. Februar wurden zu Events von Jung- und Altnazis. Dieser Großaufmarsch erreichte seinen Höhepunkt im Jahre 2009 mit über 7000 RechtsextremistInnen und war damit der ungeschlagen größte Naziaufmarsch Europas. 2009 stellte aber ebenso den Wendepunkt der antifaschistischen Mobilisierungen dar. In den Jahren zuvor gab es kaum Gegenproteste. AntifaschistInnen aus dem sogenannten antideutschen Spektrum übten sich in Kritik an der Zivilgesellschaft und boten mit dem provokanten Bejubeln der Alliierten keine Anknüpfungspunkte für Bürgerinnen und Bürger und standen auch in der antifaschistischen Linken isoliert da. Mit dem Bündnis „No Pasaran“ wurde erstmals ohne diese Rhetorik und mit dem Ziel der praktischen Verhinderung aus dem Spektrum der Bewegungslinken mobilisiert. 4000 Menschen folgten diesem Aufruf. Trotz des reibungslosen Ablaufs des Naziaufmarsches der hermetisch abgeschirmt war ein erster Erfolg. Bereits im Jahr darauf stellte sich das Bündnis breiter auf. Antifa, Kirchen und zivilgesellschaftliche Gruppen traten in einen Dialog. Mit gewaltfreien Blockaden sollte der Naziaufmarsch nun verhindert werden. Mit Erfolg. Über 10.000 Menschen im gesamten Stadtgebiet verhinderten erstmals den Großaufmarsch mit drei größeren Blockadepunkten im Jahr 2010. Die Frustration der Nazis lag tief.

Für das Jahr 2011 bahnte sich eine erneute Maximierung an. Die Nazis meldeten mehrere Demonstrationen an um so Blockaden umgehen zu können. Einen Sternmarsch, sollte es nach ihnen gehen. Letztlich steckten mehrere hundert Nazis am Hauptbahnhof fest, über 1000 gewaltbereite „Autonome Nationalisten“ bewegten sich frei von Randbezirken in die Stadt bis sie von der Polizei aufgehalten werden konnten. Wirklich marschieren konnten sie dennoch nicht. 20.000 Menschen in der Stadt verhinderten erneut einen Aufmarsch. Der Landespolizeipräsident Bernd Merbitz konstatierte, das die Blockaden sowie das Agieren militanter Autonomer den Aufmarsch verhindert hätten - die Sicherheitslage ließ einen Aufmarsch der Nazis nicht zu.

Mit der antifaschistischen Großdemonstration am 18. Februar 2012 in der Stadt, in der einst noch tausende Neonazis unproblematisch marschieren konnten, lassen sich zum Schluss die vergangenen drei Jahre wie ein Erfolgsrausch betrachten. Der Großaufmarsch ist passe, die JLO zog sich bereits dieses Jahr aus der Mobilsierung zurück, und ob die Nazis tatsächlich versuchen werden zumindest am 13. Februar nächstes Jahr erneut zu marschieren erscheint auch angesichts der Zerwürfnisse im rechten Spektrum als fraglich. Während Sachsens Innenminister Markus Ulbig noch zuletzt vor dem Hintergrund der ausufernden Ermittlungen gegen Anti-Nazi-Protestler, NSU und Dresdenproblematik peinlichst in einem Video davon sprach, das „Antifaschismus nicht die Lösung“ sei, konterte das Bündnis „Dresden Nazifrei“ mit einem „antifaschistischen Grundkonsens“ dem sich über 10.000 Menschen an diesem Tag anschlossen und über schlichte Symbolik und Rhetorik hinausgingen.

Dresdner Zustände und sächsische Verhältnisse

Das Dresden von einem Wallfahrtsort der Rechtsextremen zu einem sprichwörtlichen Desaster für eben Jene umschlagen würde, war lange Zeit mehr als fraglich. Bis zuletzt tat sich die Stadtregierung schwer mit der Problematik umzugehen. In den Jahren zuvor war merklich zu spüren, dass Gegenprotest als das eigentliche Übel gesehen wurde. Der schwierige Kontext des Gedenkens, das den Dresdner Mythos der „unschuldigen Stadt“ erst in den letzten Jahren aufarbeitete war ein Aspekt der die AntifaschistInnen als Störenfriede erscheinen ließ, und der den Rechten viele Anknüpfungspunkte lieferte. Das Schlagwort „Bombenholocaust“ seitens der Nazis und der Tenor der „angloamerikanischen Luftgangster“ der auch in der DDR angeblich von Politikern verwendet wurde, sorgte seitens der Nazis für eine geschichtsrevisionistische Täter-Opfer-Umkehr, deren Nährboden sich auch in den Dresdner Zuständen wieder fanden. Immerhin befanden 27 Prozent der Befragten einer Umfrage von 2005 den Begriff „Bombeholocaust“ für „nicht anstößig“.

Erst eine 2005 eigens einberufene Historikerkommission ermittelte realistische und belastbare Opferzahlen, die dem Ausmaß der Nazipropaganda die bis zu 250.000 Bombentote propagierte, den Boden entzog.

Viele Städte waren von verheerenden Bombardements im zweiten Weltkrieg betroffen. Das gesellschaftliche Gedenken in Dresden und die hohe Anteilnahme und Betroffenheit in der Stadt stellen in dieser Hinsicht jedoch eine bundesdeutsche Ausnahme dar und reproduzierten ob sie nun wollten oder nicht die Sonderstellung der Stadt. In solch einer emotionalisierten Tradition und der politisch konservativen CDU-Dominanz fanden die Rechten lange eine vortreffliche Lage. Auch durch die jahrelange Duldung bei der Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof wurde eine Bühne geliefert. Die Protestformen der sog. Antideutschen, die vielen AntifaschistInnen zuwider lief, ließ Dresden hinzukommend lange Zeit als rotes Tuch erscheinen und verschlimmerte die Lage der Gegenintervention, und manifestierte den Großaufmarsch der Rechten.

Als sich der notwendige breite Protest formierte, war die Politik aufgescheucht, die Dresdner verunsichert. Von den jeweiligen Inhalten und Bedeutungen befreit, wurden die „Extremisten“ zur Bedrohungslage. Antifaschistischer Protest stieß hier auf sächsische Verhältnisse. Der Erfolg von 2010 und 2011 trat eine ungekannte Ermittlungswelle los, in deren Rahmen Tausendfache Funkzellenabfragen und hunderte Ermittlungsverfahren gestartet wurden die im Gesamtmaß außerhalb der Verhältnismäßigkeit liegen. Politikern wurde die Immunität entzogen und der §129a der noch aus Zeiten der RAF-Verfolgung stammt wurde massenhaft angewandt. Hausdurchungswellen die zum Teil rechtlich stark umstritten sind (Thüringen), oder auch skurrile Vorwürfe wie gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König der Aufgrund des Abspielens bestimmter Musik die Menge zur Gewalt aufgewiegelt haben soll zeigen die blanken Nerven der Justiz und Landespolitik.

Gerade die CDU sperrte sich lange vor Protest und wollte letztlich guten Willen beweisen durch die Beteiligung an einer mehrere tausend Menschen umfassenden Menschenkette. Diese fand fernab der Nazis statt und war auch keinesfalls zur Verhinderung gedacht, auch wenn Medien dies fälschlicherweise aufgriffen.

Dem Druck der auf die örtliche Politik entstand, konnte sich auch die Stadtregierung nicht länger entziehen, die sich zuletzt auch für Protest in Hör und Sichtweite aussprach. Auch der Gedenkdiskurs veränderte sich. Gedenken stand nun auch im Kontext des zweiten Weltkriegs und die Luftangriffe wurden als Folge des deutschen Vernichtungskrieges begriffen. Auch die Aufarbeitung der Rolle Dresdens im NS und die Widerlegung des Mythos der „unschuldigen Stadt“ ließen nur noch wenig Raum den Gegenprotest zu diskreditieren und die Rechten zu dulden.

Das der Großaufmarsch und mit ihm der Mythos Dresden nun mit großer Wahrscheinlichkeit Geschichte sind, liegt aber letztlich an den tausenden engagierten Menschen die sich zum Ziel setzten, das Nazievent entschlossen zu verhindern. Den Dank erhalten Aktive und BlockiererInnen aus Sachsen weiterhin persönlich: Von der Staatsanwaltschaft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastien Nekyia

freier journalist www.twitter.com/s_nekyia

Sebastien Nekyia

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