Revolutionäre Farbenlehre

Modebewusstsein Auch in Kopenhagen findet modebewusster Protest statt. Woran liegt es nur, dass die Guten auch besser aussehen als die Bösen? Eine kleine Geschichte des Proteststylings

Früher einmal war die Revolution so rot wie der Stern auf Che Guevaras Barett. Das war noch einfach! Aber ach, gänzlich antikommunistisch individualisieren sich im Spätkapitalismus auch die Protestbewegungen, selbst wenn sie sich auf ein sozialistisches Erbe berufen.

Die Hippies brachen als erste mit dem roten Farbdiktat, machten die Revolution bunt und befreiten sie nebenbei von ihrem Manko der Spaßfreiheit. Blumenkränze, Flicken-Röcke, neongelbe Schlaghosen, sogar Pelzmäntel (bevor Letztere als unethisch ausgesondert wurden) – modische No-Gos gab es schlichtweg nicht. In den späten 60ern wurde der Protest nicht nur mehrheitsfähig, sondern auch schick.

Pin-Up-Che

Sicher, anfangs haftete den Blumenkindern ein gewisses Gammel-Image an, doch spätestens, als Model Uschi Obermaier in die Berliner Kommune 1 einzog, war es mit der zwanghaften Naturbelassenheit des Körpers vorbei: Obermaier, so etwas wie das Pin-Up-Pendant zu Che Guevara, machte die Revolution in Deutschland sexy.

Denn sind wir mal ganz ehrlich: Ein wenig bieder sah Rosa Luxemburg schon aus. Auch wenn sich Obermaier, was die politischen Inhalte anging, eher vornehm zurück hielt („Über die Einleitung bin ich nie heraus gekommen. Buchstaben sind mir einfach zu unattraktiv“, sagte Obermaier einmal dem Spiegel zum Thema Revolutionsliteratur à la Marx und Mao), so gilt sie doch immerhin als Verfechterin der sexuellen Revolution und erstes deutsches Groupie.

Heutzutage sehen netterweise nicht nur die Frauen, sondern auch die revolutionierenden Männer gut aus, gibt es doch schließlich für den modebewussten Protestler viele Möglichkeiten, seine politischen Motivationen auch nach außen zu tragen. Es ist schon augenfällig, wie viele junge und vor allem schöne Menschen sich in Demonstrationszügen finden lassen, und wie sehr sie auf ein ausgefeiltes Styling achten.

Reduzierte Verhaftungsgefahr

Manche Protestler könnte man glattweg in einem Hochglanzmagazin abbilden: Weibliche Revoluzzer treten gerne im Minirock zum Protestieren an, die Haare sind aufwendig frisiert. Auch kombinieren die jungen Wilden Protest-Evergreens wie die schwarze Wollmütze (schützt im Notfall vor Tränengas und mindert, übers Gesicht gezogen, den Wiedererkennungsfaktor) mit modischen Assecoires wie dem schmalen Intellektuellen-Schal oder tragen ein schickes Jackett lässig überm "Free Mumia"-T-Shirt.

Richtig Mutige präsentieren ihren – natürlich fitnessstudiogestählten, ästhetischen Körper – gleich ganz ohne Hüllen, um ihren politischen Willen kundzutun.

Einen praktischen Nebeneffekt hat das durchdachte Outfit übrigens auch: Die Gefahr, verhaftet zu werden, reduziert sich deutlich, denn was so schön ist, kann nicht böse sein! Darüber hinaus kann man gleich im Anschluss an die Demo in den Club, ohne sich vorher umziehen zu müssen.

In Lila gegen den Bonsai-Duce

Auch Ches eingangs erwähnter Stern erfreut sich bis heute großer Beliebtheit. Allerdings laufen andere Farben dem Blutrot den Rang ab: Grün zum Beispiel steht seit den Glanzzeiten des olivfarbenen Parkas (gelegentlich gepimpt mit Deutschland-Flaggen-Applikation auf dem Ärmel) hoch im Kurs. Nicht nur die Ökobewegung bediente sich ihrer (aus naheliegenden Gründen), sondern jetzt auch die iranische Opposition, deren Anhänger übrigens auch immer viel schöner anzusehen sind als Ahmadinedschads Prügelschergen. Und die Gipfelstürmer in Kopenhagen haben sich gleich komplett grün angemalt.

In der Mode werden einmal bewehrte Trends ja gern recycelt. Lila war einst die Frauenfarbe, jetzt hat die italienische Anti-Berlusconi-Bewegung sie vereinnahmt: Bei der Großdemo in Rom vergangene Woche gegen den Bonsai-Duce war von der Fahne bis zur Strumpfhose alles Lila.

Der Klassiker bleibt natürlich schwarz. Kein Wunder: Schwarz macht schließlich schlank und ist deshalb nie aus der Mode gekommen. Nicht nur der Schwarze Block, der auf keiner linken Demo mehr fehlen darf, sondern auch die derzeit streikenden Studenten favorisieren es: Von oben aus gesehen war der Berliner Demonstrationszug im November ein einheitliches schwarz-in-schwarz.

So beschrieb es zumindest am Tag darauf die taz, die übrigens schon links war, bevor das Trend wurde, und sich heute, um weiterhin Antihaltung zu demonstrieren, als subversiven Akt einen 16 Meter-Pimmel an die Fassade nagelt. Naturgetreu in rosa. Sofern man Barbie nicht als Gegenbewegung verstehen will, ist das farbtechnisch mal was Neues.

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Geschrieben von

Nele Jensch

Autorin des Freitag

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