Autonomes Hafenarbeiterkollektiv CALP: „Wir sind Antimilitaristen, keine Pazifisten“
Interview „Die Revolution ist kein Galadinner“: José Nivoi und sein autonomes Hafenarbeiterkollektiv CALP in Genua blockieren Schiffe mit militärischem Gerät auf dem Weg nach Saudi-Arabien oder in Richtung anderer Kriegsparteien
Der Veranstaltungsraum am Kottbusser Tor in Berlin ist so voll, dass einige in einem Nachbarraum auf einer Leinwand verfolgen müssen, was José Nivoi zu sagen hat. Nivoi, Gewerkschafter und 15 Jahre lang Arbeiter im Hafen von Genua, und seine Kollegen haben mit Blockaden und Streiks gegen das Verschiffen von Kriegsgerät am Hafen von Genua in den letzten Jahren auch über die Grenzen Italiens hinaus für Aufsehen gesorgt.
José Nivoi war Arbeiter mit einer Spezialisierung auf Waren und Transportmittel im Genueser Hafen. 2011 gründete er mit anderen das Collettivo Autonomo Lavoratori Portuali (CALP), ein autonomes Hafenarbeiterkollektiv in Genua, dem 25 Arbeiter – nur Männer – angehören. Das CALP sieht sich in der Tradition früherer an
2;herer antimilitaristischer und antifaschistischer Docker am Hafen von Genua, die zum Beispiel Waffenlieferungen nach Vietnam oder an die Junta in Chile verhinderten.der Freitag: José Nivoi, welche Rolle spielt der Antikriegsprotest für das autonome Genueser Hafenarbeiterkollektiv CALP, dem Sie selbst angehören? Sind Sie Pazifisten?José Nivoi: Nein. Wir sind Antimilitaristen. Wir suchen bei Aktionen nicht jedes Mal krampfhaft den Zusammenstoß mit der Polizei, nur um als militant dazustehen, das hängt vom Kontext ab. Doch wir sind nicht für Gewaltfreiheit. Der Pazifismus ist eine wichtige Praxis, aber wir hängen ihm nicht an. Weil, wie Gramsci gesagt hat: Die Revolution ist kein Galadinner. Wir haben schon Aktionen mit pazifistischen Gruppen, etwa mit katholischen, gemacht, aber auch welche, bei denen es zu Gewalt – zum Beispiel gegen Faschisten – kam. Und auch am Hafen machen wir nicht nur Blockaden, Streiks oder Demonstrationen, sondern attackieren mitunter auch Schiffe, zum Beispiel, indem wir Leuchtraketen abfeuern.2019 haben Sie und Ihre Kollegen mit einem Streik und einer Blockade Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien verhindert. Was genau ist da passiert?An dem Streiktag im Mai 2019 waren verschiedene Gruppen beteiligt, wir standen in einem Austausch mit Arbeitern in Le Havre in Frankreich, die schon das Verschiffen von französischem Kriegsgerät auf dem Frachtschiff Bahri Yanbu bestreikt hatten. Das Schiff fuhr zwischen den USA und Saudi-Arabien mit verschiedenen Zwischenstopps hin und her. Auch wir wollten verhindern, dass Kriegsgerät in Genua auf die Bahri Yanbu verladen wird. In Genua hatten wir dafür mit mehreren Gruppen den Tag in verschiedene Phasen geteilt. Der erste Teil war der militante Teil zwischen fünf und sechs Uhr morgens, bei dem wir mit den anarchistischen und kommunistischen Genoss:innen vermummt in den Hafen reingegangen sind. Als die Bahri Yanbu, auf die in Italien gefertigte Generatoren verladen werden sollten, von denen wir vermuteten, dass sie für Drohnen im Jemen-Krieg vorgesehen waren, anlegen wollte, haben wir das Schiff mit Leuchtraketen beworfen und so versucht, zu verhindern, dass es anlegt.Haben Sie das geschafft?Es war sehr viel Polizei da. Wir konnten das Anlegen des Schiffes nicht verhindern, aber verzögern. Danach hat der Streik angefangen – 90 Prozent der Arbeiter an der Anlegestelle haben sich daran beteiligt. Während des Streiks haben wir mit dem Kapitän des Schiffes, dem Manager des holländischen Unternehmens GMT, das das Terminal betreibt, und dem Präsidenten der Hafenbehörde verhandelt und dabei klargemacht, dass wir uns weigerten, die Generatoren auf das Schiff zu laden. Es wurde dann beschlossen, dass sie in ein Warenlager knapp außerhalb des Hafengeländes gebracht werden sollten. Als die LKWs kamen, um sie abzuholen, und an unserem Streikposten vorbeifuhren, war das ein Moment großer Freude für uns – wir hatten die Verladung der Generatoren verhindert.Was passierte denn dann mit den Generatoren?Die Generatoren befanden sich noch zehn Tage in dem besagten Warenlager – wir haben es bewacht, damit sie nicht doch noch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeholt werden und das Schiff vielleicht noch mal anlegt. In den Tagen nach dem Streik haben wir noch zwei Kundgebungen vor der Hafenbehörde gemacht. Schließlich kam es zu einem Vertrag zwischen dem Betreiber der Bahri-Flotte und Delta – das ist eine Tochterfirma des Gastaldi-Unternehmens, eines alten Genueser Familienunternehmens, das Geschäfte mit der Verschiffung am Hafen macht. Mit diesem Vertrag hat sich Bahri verpflichtet, am Hafen von Genua kein Kriegsgerät mehr zu laden oder zu entladen. Das war der eigentliche Sieg, zehn Tage nach dem Streiktag.Es werden also keine Waffen mehr in Genua verladen?Ganz so ist es leider nicht: Waffen, die beispielsweise zwischen Ländern der EU oder innerhalb Italiens transportiert werden oder die indirekt in Kriegsgebiete gelangen, gehen weiter über den Hafen von Genua. Aber wir verladen jetzt keine Waffen mehr, die direkt an Kriegsschauplätze gehen. Damit stimmen wir übrigens mit dem italienischen Gesetz überein, das solche Waffenlieferungen eigentlich verbietet.Unternehmen Sie auch etwas gegen diese weiterhin stattfindenden Waffenlieferungen?Ja, zum Beispiel: Wenn eine Ladung nach Iskenderun in der Türkei verschickt wird, geben wir kurdischen Genoss:innen Bescheid, machen Fotos der Waffen, die da verschickt werden, damit sie vorbereitet sind – zu ihnen pflegen wir seit 2020 guten Kontakt.Placeholder image-1Hat das CALP auch Waffenlieferungen in die Ukraine blockiert?Wir würden es tun. Aber die kommen nicht über Genua, hier ist der Hafen von Triest der Umschlagplatz, von dort werden die Waffen nach Polen geliefert – also auch nicht direkt in die Ukraine, womit es technisch gesehen kein Gesetzesverstoß ist. Aber wir gehören alle auch der Basisgewerkschaft USB an, und da sind auch Arbeiter des Flughafens Pisa organisiert. Diese haben im Frühjahr Waffenlieferungen in die Ukraine, die als humanitäre Hilfe getarnt waren, spontan blockiert.Was würden Sie Gewerkschaftern in der Ukraine denn raten?Puh. Na ja. Es ist eine Sache, hier in Berlin zu sitzen oder vor Ort zu sein. Als die Kurd:innen in Nordsyrien sich mit den USA verbündet haben, konnte ich das auch nicht nachvollziehen, aber auch da galt: Aus dem gemütlichen Wohnzimmer heraus lässt sich leicht herummäkeln, etwas anderes ist es, vor Ort zu sein. So ist es in der Ukraine auch. Wenn ich in Russland wäre, wäre ich gegen Putin. Wäre ich in der Ukraine, wäre ich gegen Selenskyj. Generell denke ich: Es wäre wichtig, eine politische Lösung zu finden, damit der Krieg endet. Diejenigen, die am meisten unter einem Krieg leiden, sind immer die Unterdrückten, und die Ersten, die fliehen, wenn er ausbricht, sind nicht die Armen, sondern jene mit Geld.Sie und Ihre Kollegen planen einen sogenannten transnationalen antimilitaristischen Streik gegen alle Kriege – was kann man sich darunter vorstellen?Wir sind seit einer Weile vernetzt mit verschiedenen antimilitaristischen Gruppen, weil wir allein als CALP am Ende nicht viel ausrichten können. Diesen Sommer waren wir in Brüssel und haben uns mit Leuten von 45 Organisationen aus verschiedenen Ländern getroffen, die Interesse daran haben, sich an einem solchen Aktionstag zu beteiligen. Er soll bald stattfinden. In Italien werden wir unter dem Slogan „Nieder mit den Waffen, hoch mit den Löhnen“ zu Streiks mobilisieren.Sie sagen, allein kann das CALP nicht viel ausrichten. Aber eigentlich hat es mit 25 Leuten einiges erreicht – das hat offenbar damit zu tun, dass Sie an einer empfindlichen Stelle arbeiten, die Verhandlungsmacht ist dementsprechend groß. Was machen denn andere Beschäftigte im Hafen, die da in einer schwierigeren Lage sind?Wir sind uns dessen bewusst, und deshalb stellen wir unsere Verhandlungsmacht auch anderen Beschäftigtengruppen zur Verfügung. Zuletzt beispielsweise bezüglich der verpflichtenden Corona-Tests: Die Unternehmen am Hafen wollten die Arbeiter verpflichten, die vor der Arbeit auf eigene Kosten machen zu lassen. Im Oktober 2021 haben wir dann zwei Tage lang gestreikt, um für alle – nicht nur für die Docker, sondern für alle, die mit dem Hafen zu tun haben – durchzusetzen, dass es innerhalb des Hafens und auf Kosten des Unternehmens Stellen gibt, an denen man einen Test durchführen lassen kann. Erst haben alle Unternehmen gesagt, das ginge auf keinen Fall, dann hat das erste schon nach unserer Streikankündigung der Forderung zugestimmt, weitere nach dem ersten Streiktag und der Rest schließlich nach dem zweiten. Diese Auseinandersetzung haben wir gewonnen – für alle Beschäftigten im Hafen von Genua.Placeholder authorbio-1
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