Sahra Wagenknecht und die Linkspartei: Keine Friedensverhandlungen mehr
Spaltung Gerüchte gibt es schon lange. Nun ist es wahrscheinlicher denn je, dass Sahra Wagenknecht und Unterstützer:innen eigene Wege gehen werden. 2024 warten wichtige Wahlen. Wie geht die Linke um Dietmar Bartsch, Janine Wissler & Co. damit um?
Noch sind die Wege Sahra Wagenknechts unergründlich
Foto: Marzena Skubatz/Laif
Anfang des Monats machte Sahra Wagenknecht klar Schiff: „Eine erneute Kandidatur für die Linke schließe ich aus“, sagte sie der Rheinpfalz. Die 53-Jährige sitzt seit fast 20 Jahren für die Linke beziehungsweise die PDS in Parlamenten. Nach Ende der Legislaturperiode werde sie als Publizistin arbeiten oder aber „es ergibt sich politisch etwas Neues“.
Gerüchte über „etwas Neues“, etwa eine „Liste Wagenknecht“, kursieren schon lange. Im vergangenen Jahr ist eine Spaltung der Linken allerdings wahrscheinlicher geworden: Mit der „Friedensfrage“ ist das letzte Themenfeld, das lagerübergreifend noch Identität stiftete, zum Großkonflikt geworden. Dieser geht zwar quer durch die Partei-Ström
enfeld, das lagerübergreifend noch Identität stiftete, zum Großkonflikt geworden. Dieser geht zwar quer durch die Partei-Strömungen, wird aber maßgeblich zwischen dem sogenannten Wagenknecht-Lager und Teilen des Parteivorstands ausgetragen. Damit vertritt die Linke in kaum einer zentralen Frage noch gemeinsame Positionen. Sie ist de facto schon gespalten. Ob Wagenknecht samt Unterstützern nun ein auf sie zugeschnittenes Projekt startet? Sie selbst sagte: „Darüber wird an vielen Stellen diskutiert.“Was Sevim Dağdelen sagtIn der Tat: Diskutiert wird an der Basis der Linken, in der Parteizentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus, in der Bundestagsfraktion und seit Wagenknechts Ankündigung in den Medien. Kurz vor dem Rheinpfalz-Zitat hatten in Berlin etwa 30.000 Menschen bei der von ihr und Alice Schwarzer ausgerufenen Friedenskundgebung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine protestiert und dafür, dass sich die Bundesregierung für Verhandlungen einsetzt. Der Linken-Parteivorstand rief nicht zur Kundgebung auf, beteiligte sich stattdessen an anderen Aktionen zum Jahrestag des Kriegsbeginns. Am Brandenburger Tor war Wagenknecht derweil der Hauptact – die Kundgebung dürfte sicher auch dafür gedient haben, zu prüfen, wie groß und mobilisierbar die Unterstützung für eine „Liste Wagenknecht“ ist.Ende Februar sagte Wagenknecht bei Hart aber fair, sie glaube, viele Menschen seien im Parteienspektrum nicht repräsentiert und „dass wir in Deutschland Bedarf an einer Partei haben, die all diese Menschen vertritt“. Sie wünschte, „das wäre die Partei, der ich noch angehöre“. Noch.„Unentschuldbar“ nannte dann wenige Tage später ihre enge Vertraute, die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, in der Junge Welt die Distanz der Parteispitze zur Kundgebung. Der Focus veröffentlichte eine Umfrage, der zufolge sich 19 Prozent der Befragten vorstellen können, eine von Wagenknecht angeführte Partei zu wählen. Tags darauf folgte deren Ansage, nicht mehr für die Linke zu kandidieren. Ob gewollt oder zufällig: Die Choreografie dieser Ereignisse sorgte für maximale Aufmerksamkeit. Sie nährt die Gerüchte, dass es diesmal ernst sein könnte mit dem baldigen Ende der Linkspartei, wie wir sie kennen.Was Gregor Gysi versuchteSelbst Gregor Gysi, 75, ist da machtlos. Er hatte sich Ende 2022 intensiv bemüht, eine gemeinsame Erklärung zum Ukrainekrieg auf den Weg zu bringen, unterschrieben von ihm, Wagenknecht, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, sowie den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Es sollte ein Zeichen der Einheit sein, nach außen und in die Partei, vor allem an die Ost-Verbände, die der Konflikt um die Positionierung zum Krieg zu zerreißen droht oder – wie im Fall der inzwischen gespaltenen Stadtratsfraktion in Potsdam – schon zerrissen hat. Ein weiteres und vielleicht letztes Mal, dass Gysi das Auseinanderfallen seiner Partei verhindert. Doch dazu kam es nicht.Anders als noch beim Bundesparteitag 2018, als die damaligen Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger nach offen ausgetragenen Konflikten um Migration und offene Grenzen am Ende doch mit Wagenknecht und Bartsch, die seinerzeit gemeinsam die Bundestagsfraktion führten, zusammen auf der Bühne standen, ist heute nicht mal mehr ein Formelkompromiss möglich.Nicht nur das Wagenknecht-Lager scheint seine Zukunft außerhalb der Partei zu sehen. Viele, die hinter deren Führung stehen, wünschen sich inzwischen lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende. Dieser Teil, der eine sozialökologische, moderne sozialistische Mitgliederpartei sein will, arbeitet daran, sich im Falle der Spaltung aufzurappeln. Gut möglich, dass hier die Töne bald schon deutlicher werden: Im Karl-Liebknecht-Haus muss man sich fragen, ob die Zeit nicht reif ist, mit einer eigenen Erzählung zu Krise und Zukunft der Partei in die Offensive zu gehen, um dieses Thema nicht Wagenknecht zu überlassen. Der Versuch Wisslers und Schirdewans, die Spaltungsfrage zu umgehen und inhaltlich Akzente zu setzen, war bisher nicht erfolgreich. Aus dem Parteitag im vergangenen Jahr sind die beiden zwar gestärkt hervorgegangen, als eine deutliche Mehrheit dort ihren Kurs bestätigte, auch in der Ukraine-Frage. Spätestens seit ihrer Rede im Bundestag im Herbst aber bestimmt wieder Wagenknecht die Debatten rund um die Linke.Regierung ohne Linke in BerlinSeit Jahresbeginn erlebt die Linke einen überdurchschnittlich hohen Verlust an Mitgliedern. Anders als in den vergangenen Jahren, da sich die Austrittsbegründungen stets die Waage hielten zwischen denen, die wegen Wagenknecht der Partei den Rücken kehrten, und denen, die es taten, weil sie in der Partei gemobbt werde, streichen jetzt vor allem jene die Segel, die die Positionen des Wagenknecht-Lagers zum Krieg für unerträglich halten: Der immer wiederkehrende Verweis auf eine Mitverantwortung des Westens, und das, was die Austretenden als Appeasement gegenüber dem russischen Regime begreifen.In der Hauptstadt, wo der Landesverband um Klaus Lederer dezidiert als „Berliner Linke“ zur Wiederholungswahl antrat, geht nun das Leuchtturmprojekt der Regierungsbeteiligung verloren. In Hessen droht im Herbst der Fall unter die Fünf-Prozent-Hürde. Und im Bundestag soll mit der Wahlrechtsreform die Grundmandatsklausel abgeschafft werden – nur dank dieser und dank dreier Direktmandate ist die Linke im Bundestag noch in Fraktionsstärke vertreten. An ein Zusammenraufen für die Bundestagswahl 2025 glaubt niemand mehr, mit dem man spricht – weder aus dem Wagenknecht-Lager noch aus dem Umfeld des Parteivorstands.Dietmar Bartsch gibt nicht aufDie Lager stehen sich nur noch gegenseitig im Weg stehen und kannibalisieren sich so: Die als Mosaikprojekt einst erfolgreich gestartete Sammlungspartei, die 2007 aus der Vereinigung von PDS und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) hervorgegangen war, gibt es nicht mehr. Einige scheinen dennoch unbedingt an ihr festhalten zu wollen: Etwa Dietmar Bartsch, der vor Jahren in der Bundestagsfraktion ein Machtbündnis mit Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen eingegangen ist und der gerade erst wieder im Nordkurier für Einigkeit und eine stärkere Integration Wagenknechts in die Linke warb. Bartsch betonte zuletzt noch, ihm fehle die Fantasie dafür, dass Wagenknecht ernst mache und eine eigene Partei gründe. Er werde alles dafür tun, dass sie Mitglied der Fraktion bleibe. Auf die Bundestagsfraktion hätte eine auch formal vollzogene Abwendung Wagenknechts sicherlich den unmittelbarsten Effekt, da ein Teil der Abgeordneten mit ihr gehen würde. Denkbar ist, dass Wagenknecht der Partei den Rücken kehrt, aber bis 2025 Teil der Fraktion bleibt.Bartschs eigene politische Zukunft hängt auch daran, ob er es schafft, den Status quo in der Fraktion zu bewahren. Im Herbst finden die nächsten Fraktionsvorstandswahlen statt. Einer verlässt schon mal die Kommandozentrale: Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, erklärte, dass er nicht mehr für diesen Posten antreten werde. Eine Nachricht, die nicht überraschend, aber früher kam, als Beobachter es erwartet hatten. Konferenz in HannoverAuch wenn Bartsch die Fantasie dafür fehlt: Bemühungen, sich für ein neues Projekt mit Wagenknecht an der Spitze zu sammeln und zu organisieren, gibt es – sowohl bei einigen Abgeordneten in der Fraktion, als auch in- wie außerhalb der Partei. Richtungsweisend könnte eine Konferenz der Was-tun-Initiative werden, die Anfang Mai in Hannover stattfinden soll. Auf Einladung mehrerer sich oppositionell verstehender Zusammenhänge der Linken hatten sich je etwa 350 Personen, so die Strömung Sozialistische Linke, um die Jahreswende an zwei Onlineberatungen beteiligt – Mitglieder, die einen anderen Kurs als den des Vorstands in einer fortbestehenden Linken wollen, Noch-Mitglieder, die mit einem Bein draußen sind, und Ex-Mitglieder. Wagenknecht selbst war nicht dabei.Auf der Konferenz in Hannover wird das Friedensthema, aber auch die Möglichkeit einer neuen politischen Organisation, die vielleicht eine Kandidatur zu den Europawahlen betreiben könnte, sicherlich eine wesentliche Rolle spielen. Einige aus dem Kreis sähen eine solche lieber früher als später, weil sie sie für dringend geboten halten. Allein: Ohne Wagenknecht geht es nicht. Und diese hält sich diesbezüglich noch zurück. Gegenüber der Rheinpfalz wählte sie, sicher nicht aus Versehen, eine Passivformulierung, die ihre eigene Rolle bei der Gründung eines neuen Projekts offen ließ – „oder es ergibt sich politisch etwas Neues“.„Aufstehen“scheiterteOb sie, die aus ihrer eigenen Unfähigkeit, Gruppen zu organisieren, keinen Hehl macht, inzwischen genug fähiges Personal um sich hat, das dies kann, wird nach dem Scheitern ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“ eine entscheidende Frage sein. Helfen könnte der Erfahrungsschatz einiger, die vor 20 Jahren die WASG mitgegründet hatten – also schon mal ein Wahlprojekt gestartet haben, das eine sehr heterogene Mischung von Menschen anzog.Dass die Chancen für ein solches Projekt bei Wahlen nicht schlecht stehen, denken sogar Gegnerinnen Wagenknechts. Ein möglicher Zeitplan: eine Abspaltung nach dem Europawahlparteitag in diesem Spätherbst und eine eigene Kandidatur bei den Europawahlen im Frühjahr 2024. Im Herbst 2024 stehen dann Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen an.2024 ist EuropawahlMöglich ist aber auch, dass es zur Gründung einer Liste Wagenknecht (vorerst) nicht kommt. Dann könnte es ein – erneutes – offenes Kräftemessen zwischen der Parteiführung und der, möglicherweise wiedergewählten, Fraktionsführung sowie Wagenknecht im Hintergrund beim Parteitag 2024 geben, sollten etwa die Hessen- und die Europa-Wahl schlecht laufen. Darüber lässt sich nur spekulieren, doch klar ist: So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, weil dann – frei nach Erich Fried – die Partei nicht bliebe, sondern sich endgültig selbst verschlingen würden. Dann gäbe es links von Sozialdemokratie und Grünen auf Wahlebene vorerst keine Opposition mehr in der Bundesrepublik. Das kann allerdings ebenso im Falle einer Spaltung drohen. Das ist die schlechte Nachricht: Es existiert mehr als ein düsteres Zukunftsszenario für die Linke. Aber einen guten Weg zurück gibt es auch nicht mehr.