Ein Mann mit Mercedes

Alltag I ... oder wie man Vormittage verbringt

"Sie arbeiten doch ohnehin nicht, könnten Sie also bitte morgens staubsaugen, man hört ja sein eigenes Wort nicht mehr", kläfft es aus dem Hörer. "Und Sie? Ihre Arbeit ist wohl das Nachspionieren hinter Gardinen?" fällt mir ein, allerdings erst viel später. Gern würde ich morgens mit einer Aktentasche zielstrebig zur U-Bahn flitzen, um meinen Nachbarn einen Gefallen zu tun; aus eben diesem Grund halte ich einem Unbekannten ( vielleicht ein Verwandter von denen hinter den Gardinen?) möglichst freundlich die Haustür auf. Er ist groß, schwarzweiß gekleidet, in Lackschuhen und hat einen riesigen Aktenkoffer bei sich. Ein Manager? - Bitteschön, gern geschehen, ebenfalls. - Wir steigen die Treppe hoch, ich fummle am Türschloss herum. Er bleibt hinter meinem Rücken stehen. Ich trete ein, noch nicht eingeschüchtert und drehe mich zur strengen Stimme des Unbekannten um.

Wissen Sie zufällig, was das ist? - er hält ein aufgebrochenes Plastikpäckchen vor meine Augen.

Ich fühle mich ertappt.

- Ein Waschmittel?

- Nein! - der Mann lächelt und geht auf mich zu, ich mache einen Schritt in die Wohnung zurück.

- Vitamine?

- Aber nein!!! - freudig erregt schüttet er die weißen Krümel in seine Handfläche und schiebt sie mir unter die Nase.

- Erlauben Sie mir bitte, einen Moment ...

Ich fühle mich in meinem kleinen Korridor mit dem großen Unbekannten und seinem riesigen Aktenkoffer eingeengt.

Da streut er das krümelige weiße Pulver über den braunen Teppichboden und tappt, wackelig wie ein dicker Pinguin um den Fleck herum. Es wird noch enger. - Wir machen ein Fenster, ein Viereck, - antwortet der Mann auf die noch nicht gestellte Frage, schiebt mich zur Seite, macht einen Bogen um den weißen Fleck und schreitet ins Zimmer.

Er mustert das Zimmer, ich sammle schnell Kleiderstücke vom Boden, die um seine Füße herum liegen. Der Riese klappert mit den Schlössern seines schwarzen Koffers, meine Gefühle wechseln rasch von Scham zu Angst. ›Räuber! Oder ein Wahnsinniger. Wieso habe ich das nicht gleich bemerkt? Vielleicht ein Serienmörder? Was ist in dem Koffer: eine Säge, eine Axt, eine Foltermaschine?‹

- Das ist wie ein Mercedes, und was haben Sie hier stehen? Aha. Aus dem MediaMarkt? In Mark oder in Euro? Und woher kommen Sie? - summt der Große und packt einen in Einzelteile zerlegten Staubsauger aus. Wann hat er es bloß geschafft, seinen Mantel abzulegen und auf dem Bügel aufzuhängen?

Der Mercedes ist einsatzbereit, der Mann steht mit dem Staubsauger in der Hand vor mir.

- Nun, woher kommen Sie? Aha, das ist sehr schön, sehr schön. Aus Russland also ... Dort gib es ja vieeeel Schnee. Sie wissen wohl, wie man die Teppiche im Schnee sauber macht? Mit Schnee einreiben, und ...? Genau! - er grunzt vor Freude, dass er eine Eselsbrücke zu meinem Herzen fand: - Ausschlagen! So, nach diesem seit Ewigkeiten erprobten Prinzip, funktioniert auch unsere Maschine. Russland ist ein schönes Land! Ich war dort dienstlich als Ingenieur, vor der Wende. Wir haben dort ein Hotel gebaut ... Erlauben Sie bitte! - der Mann macht sich an den weißen krümeligen Fleck ran.

- Aber erlauben Sie mir bitte doch, es mit meinem Staubsauger zu versuchen.

- Nein, nein, ich mache es lieber mit meinem. Und wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Ich richte mich auf.

- Aber ich habe doch nicht Ihren Staubsauger, ich muss es doch mit meinem können.

- Sehen Sie, - er stößt mich leicht zur Seite und dringt zu der Steckdose vor - sehen Sie, was jetzt mit dem Fleck passiert? Und wie sind Sie hierher gekommen, mit Ihrem Mann?

Er hockt an der Steckdose, nun stehe ich mit meinem Staubsauger in der Hand über ihm.

- Aber erlauben Sie mir bitte, es mit meinem zu versuchen. Außerdem: ich habe hier erst eine Arbeit gefunden und dann geheiratet. Ich bin nicht von einem Mann per Anzeige hierher geholt worden. Ich habe auch nie Sozialhilfe beantragt, wenn Sie das wissen wollen.

Ich reiße seinen Stecker heraus und schalte meinen Staubsauger ein.

- Sehen Sie, das Weiße geht nicht ab. Mein Staubsauger schafft das nicht! Wozu brauche ich dann ihr weißes Puder für meinen braunen Teppich? - ich bin laut geworden und gehe einen Schritt auf ihn zu. Unerwartet geht dem Großen die Luft aus:

- Gute Frage, - sagt er nachdenklich und tritt zurück.

- Was verkaufen Sie denn, Pulver oder Staubsauger? Diesen Mercedes kaufe ich sicher nicht, und das Pulver ist für mich nutzlos. Und außerdem, entschuldigen Sie, aber ich muss gehen.

- Zur Arbeit?

- Ja. - Ein gelungener Versuch meine Würde stellvertretend und nachträglich vor den Nachbarn zu retten.

- Und wo arbeiten Sie?

- Ich gebe Russischunterricht, gelegentlich. Die Firmen schicken manchmal ihre Leute, wissen Sie, dorthin, in die GUS. Dazu brauchen sie die Sprache ...

Wir stehen uns eine Weile gegenüber, jeder mit seinem Staubsauger in der Hand. Er tut mir Leid, ich füge hinzu:

- Wie Sie sehen, springt bei meinem Job auch nicht viel raus. Schade, dass Sie Ihre Zeit mit mir verschwendet haben. Ich kann mir die Maschine nicht leisten.

Es dauert bis der Mann die Mercedesutensilien wieder in den Koffer gezwungen hat. Er hockt auf dem Boden. Der Kragen an seinem weißen Hemd ist abgetragen, seine glänzenden Schuhe aus Kunststoff haben Risse an den Beugestellen, sein sorgfältig gekämmtes Haar ist stumpf. Jetzt weiß ich, wie viel Mühe ihn sein scheinbarer Glanz kostet hat.

Als er an der Türschwelle ist, frage ich ihn: - Wie teuer ist denn ihre Maschine?

Er dreht sich um, ein Blitz von Hoffnung in den Augen: - In Raten? Ohne Raten? Mit Rabatt?

- Nein, nein ich habe einfach nur so gefragt! - Die Tür schlägt zu.

Der Riese klingelt an der Nachbarstür. Auf meinem braunen Teppich bleibt ein weißer Fleck.

Kleine private Statistik, für die, die tagsüber aus dem Haus müssen:

An jenem Tag haben sich an meiner Wenigkeit noch vier Mal allerlei Manager versucht: Drei Mal hat die Klingel die frohe Botschaft verkündet, dass neue Superangebote auf mich warten. Am Telefon befragte mich eine strenge Frauenstimme im Auftrag einer Gesundheitsstudie zu verschiedenen Parametern meiner Wohnung. Bei der Frage, ob ich Milben zu Hause habe, stolpere ich, die Frau kommt mir zur Hilfe: "Sie haben sicher Milben, wenn sie die Teppiche haben, wissen sie, was das ist? Das sind ekelige Parasiten, und nur wir können Ihnen helfen sie loszuwerden!"

Ich lege auf.


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