Rambo im Kaukasus

Reaktionäre Untertöne Aleksej Balabanov übersetzt die Formeln des Action-Kinos ins Russische

"Wir können kein amerikanisches Kino machen - das gibt es schon. Wir machen russisches Kino. Über uns. Deswegen mag man meine Filme in Russland und eben nicht im Westen", sagt Aleksej Balabanov, zur Zeit der erfolgreichste Filmemacher in Russland. Seine Regie-Karriere begann Balabanov Anfang der Neunziger mit eigenwilligen Beckett- und Kafka-Verfilmungen. Mit seinem Actionfilm Brat (Der Bruder) stieg er 1997 ziemlich unerwartet zum Kultregisseur auf. Der Film wurde zum ersten Kassenhit des postsowjetischen Kinos; er spielte in Russland mehr Geld ein als Star Wars-Episode 1. Ein Ergebnis, das erst drei Jahre später übertroffen wurde - von Brat 2 (Der Bruder 2), Balabanovs noch actionreicherer Fortsetzung.

Wie bei den entsprechenden Vorbildern aus Hollywood leistet der geschickte Einsatz populärer Musik einen wichtigen Beitrag für Balabanovs Filmerfolge. In Der Bruder ist es die Petersburger Band Nautilus Pompilius - ein Urgestein der russischen Rockmusik -, die mit ihren Songs eine Art Parallel-Erzählung im Film schafft. "Du legst dein schönes Kleid ab / und frische Narben zeigen sich auf deinem samtenen Rücken", wird da gesungen und tatsächlich zieht sich das Bild der erniedrigten, schutzbedürftigen Frau durch Balabanovs Werk und lässt sich als Metapher für das gepeinigte Heimatland lesen. Diese Verbindung von moderner Popkultur und althergebrachten Nationalmythen ist Balabanovs eigentliches Erfolgsrezept: Einerseits betätigt er sich als genialer Übersetzer, der die Formeln des populären amerikanischen Kinos - action plus hipster Musik - auf russisch buchstabiert. Anderseits greift er auf reaktionäre Idiome zurück - vom Thema der "geschändeten Heimat" ergeben sich fast zwangsläufig Übergänge zu militanter Xenophobie.

Seine Heimat liebt denn auch der zentrale Held der Bruder-Filme, Danila Bagrow. Gerade erst aus dem Militärdienst an der Front (Tschetschenien) entlassen, sehen wir im ersten Teil, wie er vom orientierungslosen Herumtreiber zum Rächer für die Schwachen und Entrechteten wird. Der Schauplatz seiner Abenteuer ist das heutige Petersburg in seiner morbiden Pracht: In den riesigen, einst kommunalen Wohnungen haben sich breitbeinige Mafiosi eingenistet; vor den klassizistischen Fassaden der Altstadt verkaufen ärmliche Menschen wertlosen Plunder. Trist ist das Leben dieser kleinen Leute, der Hang zum Alkohol tut sein Übriges. Danila aber hat Mut zur Rebellion; er will nicht mehr Opfer der Umstände sein, sondern Subjekt, sprich: Täter.

Wenn Danila seinen Kampf allein gegen die Mafia aufnimmt, zeigt uns die Kamera seine schweren Schritte im Herbstmatsch - und siehe da, seine Füße stecken noch immer in jenen klobigen, hässlichen Armeestiefeln, die ihm Mutter Heimat beim Militärdienst aufzwang. Mit "unserem Bruder" kann sich auf diese Weise jeder identifizieren. Mit Ausnahme der Tschetschenen natürlich - Vertreter der Kaukasus-Völker treten im Film ausschließlich als Kriminelle in Erscheinung.

Trotz einiger Festivalpreise im Ausland wurde Der Bruder denn auch mehrfach wegen seiner Behandlung des Gegensatzes von "wir" und "die anderen" kritisiert. "Meine Filme sind nicht politisch, da kenne ich mich gar nicht aus. Politische Korrektheit ist eine Sache, die Realität eine andere. Wenn es diese Situationen tatsächlich gibt, warum soll ich sie nicht zeigen?", erwidert Balabanov seinen Kritikern, wobei er unterschlägt, dass sein Danila keinesfalls Realität, sondern ein Konstrukt ist: ein Wunschobjekt, in welcher der Regisseur das Bedürfnis zur Rebellion von Millionen fokussiert hat.

Nachdem Danila im ersten Teil der Saga in Petersburg aufgeräumt hat, beginnt Der Bruder 2 in Moskau, wo er erneut in Konflikt mit der Mafia gerät. Deren Fangarme reichen diesmal bis nach Amerika, weshalb der Großteil der Handlung dann in den USA spielt. Dort wird zum Einen vorgeführt, dass die postsowjetische Mafia der amerikanischen weit überlegen ist, und zum Zweiten eben erst ein junger Mann wie Danila kommen muss, um mit ihr fertig zu werden. Er hilft einem Eishockeyspieler, der sich bei einer amerikanischen Mannschaft verdingen muss, sein Gehalt einzutreiben, und befreit nebenbei eine russische Prostituierte aus den Händen farbiger (!) Zuhälter.

Viele Action-Szenen, ein kommerzieller Soundtrack, der die zur Zeit beliebtesten Pop-Gruppen Russlands versammelt, und ein ungeniert antikapitalistisches, sprich antiamerikanisches Pathos sicherten Bruder 2 einen begeisterten Empfang beim russischen Publikum. Mit dem zweiten Teil wurde deshalb auch offenbar, dass Balabanovs Filme symptomatisch sind für die Stimmung einer Gesellschaft, die sich auf der Suche nach ihrer nationalen Identität von einem als bedrohlich empfundenen Anderen abgrenzen muss.

Höhepunkt der Handlung in Bruder 2 ist eine Szene, in der Danila bis zum Herzen des Bösen vordringt - in das Hinterzimmer eines Nachtclubs, wo Hardcore-Pornos vertrieben werden. Nachdem er sich bis hierher vorgeballert hat - eine Vielzahl an Opfern am Wege lassend -, zerschießt Danila als letzten "Feind" einen Fernsehbildschirm, auf dem ein sadistischer Porno läuft. Applaus im Kinosaal.

Bruder 2 ist so gesehen vor allem auch eine Abrechnung mit der Konsumwelt Amerika - und der lang gehegten sowjetischen Sehnsucht danach. Wieder sind es Nautilus Pompilius, die das mit einem Song in der letzten Szene - die Helden kehren in die Heimat zurück - noch einmal zusammenfassen: "Good bye, Amerika, wo ich niemals sein werde / Deine ausgewaschenen Jeans sind mir zu eng geworden / Zu lange sehnten wir uns nach deinen verbotenen Früchten".

Großen Anteil an der Popularität der beiden Filme gehen auf das Charisma des Hauptdarstellers Sergej Bodrow jr. zurück, der im Zusammenspiel von jungenhaftem Charme und Reibeisen-Timbre das Vorbild einer neuen, unverbrauchten Männlichkeit lieferte. Im September vergangenen Jahres kam Bodrow bei Dreharbeiten im Kaukasus ums Leben - sein tragischer Tod machte ihn endgültig zur Kultfigur der jungen Generation.

Außerhalb Russlands wurde Bodrow jedoch durch einen anderen Film bekannt: Gefangen im Kaukasus (1996), bei dem sein Vater Regie führte, gelangte sogar im Westen ins Kino; zu einem Kassenmagnet in Russland wurde er nicht. Warum? Vielleicht weil Gefangen im Kaukasus ein "politisch korrekter" Film ist, mit deutlicher Antikriegs-Botschaft; vielleicht auch, weil der Regisseur Gut und Böse sorgfältig auf Kaukasier und Russen verteilt. Das kam nicht so gut an.

Mit seinem dritten Action-Film, der den programmatischen Titel Der Krieg trägt, begab sich Balabanov 2002 schließlich ins Zentrum jenes Konflikts, der sich latent durch die Bruder-Filme zieht - der Tschetschenien-Krieg. Laut Aussagen des Regisseurs will der Film die Wahrheit über den Krieg im Kaukasus erzählen. "Jeder Mensch hat seine eigene Wahrheit. Für mich ist es wichtig, dass das Gezeigte glaubwürdig ist", so Balabanov. Glaubwürdig an seinem Film, der gleich zu Beginn den grausamen Umgang der Tschetschenen mit ihren russischen Kriegsgefangenen herausstellt, ist jedoch einzig das Ausmaß von Misstrauen und Hass zwischen beiden Völkern. Verachtend hört man die Russen von Kaukasiern als den "Schwarzen" sprechen, während der tschetschenische Feldkommandeur verkündet, Russen seien Hammel, die man schlachten müsse. Sergej Bodrow taucht hier nur in einer Nebenrolle auf, die Hauptrolle hat ein jüngerer übernommen. Im ramboesken Privatfeldzug befreit der zwangseinberufene Rekrut Iwan verschiedene Geiseln aus der Hand geldgieriger Tschetschenen, unterwegs bekommen arrogante Westler, sensationsgeile Journalisten und weitere gängige Feindbilder ihr Fett ab. Und: unzählige Tschetschenen werden umgebracht.

Wie gesagt: "Wir machen russisches Kino. Über uns, und für uns".

Nellja Veremej, in der Sowjetunion geboren, lebt seit 1994 in Berlin und arbeitet als freie Journalistin für Zeitungen in Russland, dem ehemaligen Jugoslawien und Deutschland.


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