Die doppelte Staatsangehörigkeit

Migration Bundesinnenminister Friedrich ist gegen die Entstehung einer Minderheit und der Vererbung von türkischen Attributen durch die doppelte Staatsbürgerschaft. Problemanalyse

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Die doppelte Staatsangehörigkeit

Foto: Alex Grimm/Getty Images

Die umstrittene Debatte der Forderung nach einer doppelten Staatsangehörigkeit wirft nicht nur im gesellschaftlichen und politischen Diskurs Fragen auf, sondern auch im rechtlichen Sinne. Das eigentliche Problem hierbei ist, dass Menschen nicht alle vor dem Gesetz „gleich“ sind, sondern nach wirtschaftlichen und außenpolitischen Aspekten einer Rangfolge und Wertigkeit strukturell untergeordnet werden. Die differenzierten Rechtsauffassungen dieser Thematik und Struktur führen zur Ungleichbehandlung, trennen Mitbürger explizit von der „Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz“ nach Artikel 3(1) und spalten nach Herkunft und Abstammung, Artikel 3 (3), in Unionsbürger und Drittstaatenangehörige. Somit ist mit Blick auf die Integration der europäischen Bürger eine rechtliche Gleichstellung gewahrt und eine Mehrstaatlichkeit anerkannt. Die Rechte der Einwanderungsgesellschaften aus den Anwerbeabkommen mit Drittstaatenländern, wie der Türkei, Marokko, Tunesien und dem ehemaligen Jugoslawien (Kroatien, Bosnien, Serbien und Mazedonien) und ihrer Nachkommen, die einige Jahrzehnte in diesem Land arbeiten und leben, sind im rechtlichen Sinne nicht gleichgestellt. Es kommt zu dem Konflikt, dass Unionsbürgern, die neu zuwandern und sich niederlassen können, mehr Rechte zustehen als den schon in 3. oder 4. Generation hier lebenden Einwanderern. Hierbei betrifft das Unverständnis der Ungleichbehandlung die hier lebenden Einwanderer im Sinne des Anwerbeabkommens und nicht so sehr potenzielle oder mögliche Zuwanderer.

Um die Thematik zu verdeutlichen, möchte ich hier Auszüge der Mehrstaatlichkeitsregelungen und der reformierten Staatsangehörigkeitsrechte von der Seite des Auswärtigen Amtes zitieren:

„Das Prinzip der Vermeidung von Mehrstaatigkeit bleibt kennzeichnend für das Staatsangehörigkeitsrecht. Einbürgerungswillige müssen also prinzipiell ihre bisherige Staatsangehörigkeit ablegen. Jedoch enthält die Reform im Vergleich zu früher großzügige Ausnahmeregelungen, durch die die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit gestattet wird. Diese gelten z.B. für ältere Personen und politisch Verfolgte. Wenn die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit rechtlich unmöglich oder den Betreffenden nicht zumutbar ist, z.B. wegen zu hoher Entlassungsgebühren oder entwürdigender Entlassungsmodalitäten, dürfen diese gleichfalls ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten. Dies gilt auch, wenn mit der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile, insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art verbunden wären. Besondere Erleichterungen bei der Beibehaltung der alten Staatsangehörigkeit gibt es im Verhältnis zu den meisten EU-Ländern.“

Mehrstaatigkeit – Unionsbürger

Im Zuge der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 hat der Bundesgesetzgeber im Hinblick auf das Ziel der fortschreitenden europäischen Integration eine spezielle Regelung getroffen. Von den Unionsbürgern wird nicht verlangt, dass sie vor der Einbürgerung in Deutschland ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben, wenn der andere EU-Mitgliedstaat im Gegenzug bei der Einbürgerung von Deutschen ebenso verfährt. Deutschen, die sich in einem EU-Mitgliedstaat einbürgern lassen, wird über eine Genehmigung gestattet, die deutsche Staatsangehörigkeit beizubehalten.

Diese Regelung findet aktuell in Bezug auf die EU-Staaten Griechenland, Großbritannien, Irland, Portugal, Schweden, Frankreich, Belgien und Italien, Ungarn, Polen, die Slowakische Republik, Malta etc., bei den Niederlanden und Slowenien hingegen nur in Bezug auf bestimmte Personengruppen statt.

Deutsche Staatsangehörige und eine Mehrstaatlichkeit

„Deutsche, die eine ausländische Staatsangehörigkeit erwerben, können nunmehr unter erleichterten Voraussetzungen ihre deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten. Dabei bei der Entscheidung über eine Beibehaltungsgenehmigung öffentliche und private Belange abzuwägen. Bei Deutschen im Ausland ist insbesondere zu berücksichtigen, ob diese fortbestehende Bindungen an Deutschland haben. Diese Bindungen können etwa nahe Verwandte in Deutschland oder aber auch Eigentum etwa an Immobilien sein. Bitte beachten Sie, dass die Genehmigung über die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit vor Erwerb der ausländischen Staatsangehörigkeit erhalten worden sein muss.“

Es scheint, dass die Ausweitung eines national-völkischen Identitätsmusters zum europäischen Identitäts- und Integrationskonzept gelungen ist, aber sich hier danach Grenzen und Mauern aufzeigen, die alle anderen Nationalitäten von gleichen Rechten kontinuierlich aus- und abgrenzen. Wieso kann man das Kriterium, dass Bindungen durch Verwandte im Ausland sowie Eigentum oder Erbrechte durch Verwandtschafts- oder Freundschaftsverhältnisse bestehen, nicht auch bei Drittstaatenbürgern anerkennen? Was ist der Grund für die Ungleichbehandlung von Menschen im Hinblick auf die Herkunftsländer und wieso kommt es zu solch einer Rechtsauffassung?

Optionspflicht für Drittstaatenangehörige

„Kinder von Ausländern erwerben bei Geburt in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie müssen sich allerdings zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr entscheiden, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit oder die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten wollen“

Diese bestimmten Voraussetzungen beziehen sich auf die Aufenthaltsdauer der Eltern und ihren Aufenthaltsstatus, der ausschlaggebend ist für ein Recht auf eine deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Option hierzu als Pflicht zu deklarieren bedeutet Zwangsentscheid zu einer Identität, obwohl man 23 Jahre lang eine doppelte Identität gepflegt hat.

Diese strukturellen und institutionellen Unterschiede durch Präferenzen und Selektionen in „Wir“ und „Ihr“ und „Andere“ sind nicht integrationsfördernd, sondern bremsen die Integrationsbemühungen aus. Es entsteht ein Widerspruch zu jeglicher Eingliederung als Mensch in die Gesellschaft, dem die gleiche Würde und die gleichen Gleichheitsgrundsätze und Rechte verwehrt werden. Diese Strukturen und selbst konstruierten Grenzen des Rechtsanspruchs sowie die ablehnende Haltung hinsichtlich einer Akzeptanz der außereuropäischen Identitäten schaffen die Basis für gesamtgesellschaftliche Konflikte, die zu Diskriminierungen im Alltag, zu Rassismus und Hasskriminalität führen. Dies ist im Sinne einer demokratischen und freiheitlichen Grundordnung eines Rechtsstaates nicht länger hinnehmbar und es sollten hier schnell zufriedenstellende rechtliche Lösungen gefunden werden.

Erstveröffentlichung 02/13 Feinsinn
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Neşe Tüfekçiler

Kolumnistin, Lyrikerin und freie Journalistin

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