Frauen in der Gaming-Community

Stereotype Männer sind die besseren Computerspieler, lautet ein weit verbreitetes Vorurteil. Eine Studie räumt nun damit auf

Obwohl mittlerweile beinahe die Hälfte aller Computerspieler weiblich sind, bleibt die Gaming-Community Frauen gegenüber in gewisser Weise feindlich gestimmt.So spiegelt beispielsweise die GamerGate-Kontroverse, die 2014 begann und eine Schikanekampagne von bekannten Videospielerinnen, Journalistinnen und Designerinnen betraf, eine jahrelange unterschwellige Frauenfeindlichkeit und Sexismus in der Spielergemeinschaft wieder. In einigen Fällen wurden diejenigen, die den Sexismus in Frage stellten, sogar mit Vergewaltigung oder dem Tod bedroht.

Da ist außerdem dieses lange gehegte Stereotyp, dass Männer einfach bessere Spieler sind als Frauen. Weibliche Gamer werden meist als inkompetente Spieler wahrgenommen, die nicht wirklich am Spiel interessiert sind, sondern nur Aufmerksamkeit erregen wollen. Wenn eine Spielerin dann tatsächlich gut ist, dann wird sie oft als Hacker verspottet, denn, Zitat: „es kann gar nicht sein, dass eine Frau so gut ist“.

In einer aktuellen Studie wollten wir untersuchen, ob Männer tatsächlich die besseren Spieler sind und, wenn ja, wodurch der Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern begründet liegt. Wir verglichen, wie schnell Männer und Frauen in Massive Multiplayer Online-Spielen (MMORPG)– also Online-Welten, in denen tausende von Spielern Charaktere entwickeln, sich anfreunden, in Gruppen zusammenkommen, Aufgaben lösen und zusammen Drachen erlegen – höhere Level erreichten.

Sollten Männer tatsächlich bessere Spieler sein als Frauen, dann müssten sie in derselben Spielzeit zu höheren Levels aufsteigen können. Doch sollten sie dagegen nicht schneller aufsteigen, dann könnten diese Ergebnisse dabei helfen, eines der verbreitetsten Stereotype zu widerlegen, das in der Gaming Community existiert.

Das nächste Level erreichen

Für unsere Untersuchung nutzten wir die anonymen Server-Daten von über 10 000 Männern und Frauen in den MMORPG „EverQuest II“ aus den USA und „Chevaliers‘ Romance III“ aus China. Wir kannten das tatsächliche Geschlecht jedes Spielers durch seine bei der Registrierung angegebenen Account-Informationen. Wenn Spieler in MMORPGs Aufgaben lösen und Monster töten, erhalten sie Erfahrungspunkte. Wenn die gesammelten Erfahrungspunkte eine gewisse Grenze erreichen, dann steigt der Spieler in das nächste Level auf, was wiederum neue Fähigkeiten und Zugang zu neuen Inhalten freischaltet. Wie in den meisten Videospielen zeigen die Level den Spielfortschritt eines Spielers an.

Natürlich ist es wahrscheinlicher, höhere Level zu erreichen, wenn man längere Zeit spielt. Deshalb ist die Geschwindigkeit des Erreichens höherer Level in unsere Studie ausschlaggebend für die Leistung, und nicht das erreichte Level an sich. Bevor wir zu unseren Ergebnissen kommen, möchten wir einige wichtige Komponenten ansprechen, die wir berücksichtigten.

Erstens: Spieler, die in den Spielen bereits das höchstmögliche Level erreicht hatten, wurden in unserer Analyse ausgeschlossen. Da Spieler auf Top-Level nicht weiter aufsteigen können, lag ihre Aufstiegsrate natürlich bei null. Wir entfernten diese Spieler aus der Analyse, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, jedoch bedeutet dies auch, dass wir für die Top-Spieler die Geschlechterunterschiede nicht messen konnten.

Zweitens: Unsere Analyse berücksichtigt, dass die Geschwindigkeit, mit der Spieler neue Level erreichen, abnimmt, je weiter sie im Spiel fortgeschritten sind. Zum Beispiel benötigt es mehr Zeit und Aufwand für einen Spieler, der sich bereits auf Level 60 befindet, um aufzusteigen, als für einen Spieler auf einem Niveau von Level 30. Daher verglichen wir in unserer Analyse Gleiches mit Gleichem und evaluierten nur die Leistungen der Spieler, die auf demselben Level waren.

Im Widerspruch zu dem Klischee fanden wir heraus, dass das Geschlecht des Spielers selbst keine Leistungsunterschiede ausmacht. Die Wahrnehmung von Frauen als schlechte Spieler wird vielmehr durch andere Faktoren angefeuert: Zum Beispiel fanden wir heraus, dass Frauen insgesamt weniger Zeit zum Spielen aufwandten als Männer und eher helfende Charaktere wie beispielsweise Priester wählten, die sich besser im Heilen anderer Gruppenmitglieder machten, als selbst zu kämpfen. Solche Faktoren berücksichtigten wir, indem wir sie in der Analyse statistisch kontrollierten. Der Leistungsunterschied verschwand: in beiden Spielen erreichten Frauen genau so schnell wie Männer höhere Level.

Wir stellten außerdem fest, dass unterschiedliche Spieler sich für unterschiedliche Aspekte der MMORPGs interessierten, und dass einige dieser Unterschiede mit dem Geschlecht korrelierten. Es gibt eine gewisse empirische Evidenz, dass Männer eher geneigt sind, sich in Videospielen auf Fortschritte zu fokussieren – schnell neue Level erreichen, einen hohen Status innerhalb des Spiels erzielen, sich mit den Mitspielern messen – während Frauen sich mehr für soziale Interaktionen interessieren, wie beispielsweise anderen Spielern zu helfen oder langanhaltende Beziehungen aufzubauen.

Dies lässt vermuten, dass Männer schneller im Spiel aufsteigen als Frauen. Jedoch haben wir das Gegenteil herausgefunden: Frauen stiegen mindestens genauso schnell auf wie Männer. Berücksichtigt man also die unterschiedlichen Spielmotivationen (diesen Wert konnten wir nicht in unsere Studie integrieren), dann dürfte dies unsere Schlussfolgerungen sogar untermauern.

Jenseits von Videospielen

Das Klischee, dass Frauen die unterlegenen Gamer sind, ist nicht nur falsch, sondern entmutigt Frauen in erster Linie, überhaupt zu spielen. Natürlich existiert dieses Vorurteil über Geschlechterunterschiede auch in einer Reihe anderer Kontexte. In der Software-Community GitHub werden Frauen beispielsweise als schlechtere Programmierer angesehen als Männer.

Unsere Studie hat bedeutende Auswirkungen für diese gesellschaftliche Problematik. Studien haben gezeigt, dass Videospiele ein wichtiger Zugang zu Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) sind. Wenn Stereotype Mädchen davon abhalten, Videospiele zu spielen, dann könnte dies dazu beitragen,Geschlechterungleichheit und Stereotypisierung in diesen Berufsfeldern noch zu stärken.

Eine Herangehensweise an diese Problematik ist es, stereotypfreie Spieleerfahrungen für Mädchen und Frauen zu ermöglichen, wie es frauenfördernde Gaming-Communities wie PMS Clan tun – eine der ältesten und angesehensten an Frauen gerichtete Gaming Communities der Welt. Wissenschaftler wie Gabriela Richard an der Universität von Pennsylvania haben herausgefunden, dass Mitglieder dieser Gemeinschaften selbstbewusster sind und sich als bessere Spieler wahrnehmen.

Spieledesigner können ebenfalls helfen. Sie haben die Möglichkeit, Spiele so zu konstruieren, dass sie Frauen gegenüber weniger feindlich konzipiert sind, sondern sie willkommen heißen. So haben Riot Games beispielsweise das „Tribunal“ etabliert, ein System, das der Spielergemeinschaft ermöglicht, schlechtes Verhalten der Mitspieler zu melden und dann darüber abzustimmen, ob der Täter bestraft wird. Gesperrte Spieler erhalten außerdem eine „Reform Card“ mit den Details ihres Fehlverhaltens sowie dem Urteil des Tribunals. Auf diese Weise hat das Tribunal Online-Schikane deutlich reduzieren können.

Während Programme wie das Tribunal ein guter Ausgangspunkt im größeren Kampf gegen Geschlechter-Stereotype sind, ermöglichen unsere Forschungsergebnisse weiblichen Videospielerinnen hoffentlich zu realisieren, dass – wenn es um inhärente Fähigkeiten geht – einheitliche Wettbewerbsbedingungen herrschen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf netzpiloten.de

Cuihua Shen ist Professorin für Kommunikation an der Universität von Kalifornien. Sie studiert soziale Dynamik in Computerspielen und anderen Online-Gemeinschaften, einschließlich Social Media-Plattformen wie Facebook und Gemeinschaftsprojekten wie Wikipedia.
Rabindra Ratan hat eine Assistenzprofessur bei AT&T bei der Abteilung der Staatlichen Universität von Medien und Informationen in Michigan. Er ist Mitglied der Fakultät des Programms der Pädagogischen Hochschule in der Bildungspsychologie und Bildungstechnologie.

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Rabindra Ratan, Cuihua Shen | Netzpiloten

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