Wie ein Brand die Regierung stürzte

Rumänien Bei dem Brand in einem Bukarester Nachtclub starben dutzende Menschen. Das löste Demonstration aus, der Premierminister trat zurück. Doch die Unzufriedenheit hält an
Proteste gegen die Regierung Victor Ponta Anfang des Monats in Bukarest. Am 4. November trat der Ministerpräsident zurück
Proteste gegen die Regierung Victor Ponta Anfang des Monats in Bukarest. Am 4. November trat der Ministerpräsident zurück

Foto: DANIEL MIHAILESCU/AFP/Getty Images

Es war eine Freitagnacht in Bukarest und auf einer Party im Nachtclub “Colectiv” wurde das neue Album der Metalband “Goodbye to Gravity” vorgestellt. Ein Feuerwerk markierte das Ende der Show. Weniger als zwei Minuten später brannte der Club lichterloh. Fast 150 Menschen wurden verletzt – viele von ihnen schwer – und mehr als 30 Personen starben.

Rumänien fiel in einen tiefen Schock. Und dann, als Details darüber ans Licht kamen, was am 30. Oktober 2015 passiert war, ging die kollektive Empathie in eine allgemeine Wut gegen das System über, womit der Sturz möglich war.

Es sollte mehr als ein Feuer in einem Nachtclub brauchen, um eine Regierung zu stürzen. Und trotzdem wurden schnell Verbindungen zwischen dem Feuer und der politischen Kultur gesehen, die von Rumäniens Premierminister Victor Ponta genährt zu sein schien. Tausende Menschen fanden sich zum Protest zusammen – und innerhalb von Tagen war Ponta zurückgetreten. Warum?

Zwei Seiten der Krise

Es gibt zwei Arten von Fehlern, die zu einer Krise beitragen: latente und aktive. Aktive Fehler sind menschliche Fehler, die direkt an die Folgen eines Ereignisses gekoppelt sind, während latente Fehler aus Umständen und Systemen entstehen, die diese möglich machen.

Diese Unterteilung ist die Wurzel der Ereignisse nach dem Desaster. Einige Rumänen nahmen an, dass das Feuer im “Colectiv” ein Ergebnis von aktiven Fehlern war, und verwiesen auf die Entscheidung, das Feuerwerk innen abzuhalten, was für einen unangemessenen Ort gehalten werden kann. Die Besitzer wurden verhaftet und wegen Totschlags angeklagt. Sie wurden beschuldigt, zu viele Menschen in den Club gelassen und keine feuersichere Schalldämmung genutzt zu haben.

Aber das rumänische Volk hat instinktiv gespürt, dass das politische System selbst latente Fehler hervorbringt und dass dies geändert werden muss, um solche Tragödien in Zukunft vermeiden zu können.

Ein paar Tage nach dem Feuer veröffentlichte Andrei Sosa, der Besitzer eines der belebtesten Nachtclubs in Bukarest, einen offenen Brief auf seiner Facebookseite, in dem er darlegt, wie einfach man eine Nachtclublizenz erhalten kann und wie oberflächlich die formalen Inspektionen der Clubs sind (tatsächlich fand im “Colectiv” am Tag des Brandes eine Gesundheits- und Sicherheitsinspektion statt). Sosas Brief verbreitete sich rasant und schien der Anlass zu dem Erwachen des kollektiven Gefühls zu sein, dass, während Menschen möglicherweise auf Abwege geraten und dafür bestraft werden können, der Schüssel zu einer realen und dauerhaften Veränderung die Verbesserung des Systems ist.

Am nächsten Tag gingen die Rumänen in Bukarest und jeder anderen größeren rumänischen Stadt auf die Straße und forderten ein Ende der Korruption auf allen Regierungsebenen. Sie machten die Korruption für die schwache Umsetzung der Sicherheitsbestimmungen verantwortlich, die die Tragödie versucht zu haben schien.

Sie protestierten außerdem gegen die Kultur der Toleranz gegenüber der Korruption, die zu einer finanziell motivierten und ansteckenden Schlamperei geführt habe. Schließlich blieb Ponta im Amt, obwohl er sich wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Geldwäsche vor Gericht zu verantworten hat. Sein Innenminister muss sich ebenfalls Fragen über den Missbrauch von öffentlichen Mitteln stellen.

Die latenten Bedingungen, die zu der Krise führten, sind weitreichend. Neben diesen berühmten Beispielen gibt es die Ansicht, dass Korruption auf den höchsten und niedrigsten Ebenen grassiert. Es gibt außerdem umfangreiche Befürchtungen über den Verlust von qualifizierten Mitarbeitern im Gesundheitswesen, eine alternde Gesellschaft und die Auswirkungen von Bemühungen zur Steigerung der Wirtschaftsleistung, die Budgetkürzungenim Gesundheitswesen und in den Hilfsdiensten beinhalteten.

Über die Tragödie hinaus

Das Feuer im “Colectiv” war das erste in Rumänien, aber nicht in der Welt. Schlecht umgesetzte oder fehlende Regulationen und/oder Korruption scheinen insgesamt die Hauptschuldigen für solche Unfälle zu sein, aber keiner der vorherigen führte zum Rücktritt eines Politikers – am wenigsten zu dem eines Staatsoberhaupts. Damit ist die Lage in Rumänien anders.

Es war nicht das erste Mal, dass eine rumänische Regierung durch einen Volksaufstand gestürzt wurde. Einige der Menschen, die nun auf die Straße gingen, erinnern sich sicherlich noch an die Revolution zum Ende des Kommunismus 1989. Aktueller, im Jahr 2012, brachten Proteste über die Sparmaßnahmen eine weitere Regierung zum Fall – und gaben den Weg frei für Victor Ponta.

Das Feuer im Nachtclub am 30. Oktober könnte der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, aber es folgt Jahre des wachsenden Ärgers über den Zustand des Staates unter Ponta. Einige Zeit lang haben jüngere Rumänen stärkere demokratische Prozesse und ein Ende der Korruption angemahnt.

Einfach ausgedrückt: Die “Colectiv”-Tragödie hätte keine Regierungskrise ausgelöst, wenn es keine andauernde und tiefe Unzufriedenheit mit dem politischen System in Rumänien gegeben hätte. Die zivile Solidarität der Rumänen, die als Folge auf den 30. Oktober aufkam, hat sich als erstaunlich effektiv erwiesen, aber die Euphorie muss mit Vorsicht genossen werden. Genau wie 1989 und 2012 könnte die Folgezeit nach diesen bemerkenswerten Ereignissen, so positiv sie sich auch anfühlen mögen, in der Zukunft auch neue Krisen ausbrüten.

Dieser Text erschien zuerst auf netzpiloten.de

Adina Dudau hat einen Doktortitel in Management Studies und unterrichtet Public Management an der University of Glasgow. Ihr Hauptforschungsinteresse gilt Partnerschaften im öffentlichen Sektor

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Adina Dudau | Netzpiloten

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