Vor wenigen Tagen scherzte Yoani Sánchez in einem Tweet: „Nun muss ich mich nicht mehr mit den Flügeln des kleinen blauen Twitter-Vögelchens begnügen. Dieses Mal fliege ich tatsächlich mit dem Flugzeug!“ Kurz darauf stieg Kubas prominenteste Bloggerin in Havanna in eine Maschine Richtung Brasilien. Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass sie die Insel verlassen darf.
Im Ausland wird die 37 Jahre alte Autorin des Blogs Generación Y als Heldin verehrt und mit Auszeichnungen überhäuft. In den vergangenen Jahren erhielt sie unter anderem den Ortega-y-Gasset-Preis der spanischen Tageszeitung El País, den Weblog-Award der Deutschen Welle, und das US-amerikanische Times Magazine kürte sie 2008 zu einer der hundert einflussreichsten
e 2008 zu einer der hundert einflussreichsten Personen der Welt. Persönlich entgegennehmen konnte Sánchez bisher keine der Ehrungen. Die Regierung Kubas bezeichnet die Bloggerin als „Cybersöldnerin im Dienst der USA“ – und verwehrte ihr immer wieder die tarjeta blanca, die Ausreiseerlaubnis. Insgesamt 18 Versuche hat Sánchez in den vergangenen vier Jahren gemacht.Nun also doch. Seit der Lockerung der kubanischen Reisebestimmungen im Januar macht sich unter Kubas Oppositionellen das Reisefieber breit. Yoani Sánchez gehört zu den Ersten, die die neue Bewegungsfreiheit nutzen. Ein Video im Internet zeigt die schmale Frau am Flughafen von Havanna, winkend passiert sie die Ausreisekontrolle und zieht einen kleinen Rollkoffer hinter sich her, ein weiß aufgesprühtes „Y“ prangt darauf – das Logo ihres Blogs desdecuba.com/generationy.Drei Monate lang wird Sánchez unterwegs sein und bis zu zwölf Länder besuchen, womöglich auch Deutschland. Um ihr neues Buch vorzustellen, Journalisten und Politiker zu treffen und zu „erfahren, wie eine moderne Redaktion funktioniert“. Nach ihrer Reise möchte sie in Kuba ein unabhängiges Medium aufbauen. Vor allem aber, so erklärt sie noch vor der Abreise, wolle sie endlich einmal „ohne Zensur ins Internet gehen, ohne blockierte Seiten und ohne Beamte, die mir über die Schulter blicken, um zu beobachten, welche Seiten ich öffne. Wie ein freier Mensch.“Vor vielen Jahren hat sie diese Erfahrung schon einmal gemacht. Zwei Jahre lang lebte sie in der Schweiz, doch 2004 kehrte sie nach Kuba zurück – aus familiären Gründen, hieß es damals. Später schrieb sie, ihr sei klargeworden, dass ihr Platz nicht außerhalb Kubas sei, sondern „in einem anderen Kuba“.Sánchez teilt den Patriotismus vieler Kubaner, und sie sieht keinen Widerspruch darin, ihr Land zu lieben und zugleich die Regierung zu kritisieren. Meinungsfreiheit und „politische Vielfalt statt Propaganda“ sind ihre zentralen Forderungen, das Internet ist für sie Leidenschaft und Ventil, Twitter ihr ständiger Begleiter. Sánchez hat Philologie studiert, doch irgendwann habe sie „entdeckt, dass der Binärcode mehr Transparenz besitzt, als jede gekünstelte Intellektualität“.Vor fünf Jahren begann Sánchez ihr digitales Tagebuch zu führen. Ihren „persönlichen Exorzismus“, wie sie es nennt, betreibt sie in Form kurzer Alltagsbetrachtungen. Daraus ist ein Blog geworden, dessen Texte inzwischen in 20 Sprachen übersetzt werden. Die wöchentlichen Einträge sind schnörkellos, Links gibt es kaum, die wenigen Videos sind selbstgedrehte Interviews. Meistens begnügt sich Sánchez mit einem Foto, darunter drei, vier Absätze: Mal sinniert sie darüber, wie die Vielfalt an Hunderassen auf den Straßen die sozialen Gegensätze widerspiegelt oder sie erinnert sich an den staatlich inszenierten „Bürgerprotest“, den sie als Kind erlebte.Sánchez selbst bezeichnet sich als „Stimme des Volkes“, doch in Kuba ist ihr Blog weniger bekannt. Drei Jahre lang sperrte die kubanische Regierung den Zugang, Unterstützer im Ausland stellten die Texte für sie ein. Seit 2011 ist er wieder zugänglich, doch Sánchez berichtet von Abhöraktionen, Einschüchterungsversuchen und kurzzeitigen Verhaftungen. „Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich wegen eines friedlichen und moderaten Blogs, der vom täglichen Leben meiner Familie, meiner Freunde und meiner Landsleute erzählt, polizeilich überwacht und öffentlich verteufelt werden würde“, sagte sie bei einem Auftritt im brasilianischen Parlament.Solche Worte bescheren ihr nicht nur feste Plätze in den Kolumnenspalten ausländischer Zeitungen, sondern auch Kritik in ihrer Heimat. Das Staatsorgan Granma stellt Sánchez als Marionette der US-Politik dar und bezeichnet sie als „patentierte Vaterlandsverkäuferin“.Allerdings ist auch in Kuba längst ein Raum digitaler Opposition entstanden, der das verfassungsmäßige Staatsmonopol der Medien aushebelt: eine Szene unabhängiger Blogger, die sich nicht in das alte Freund-Feind-Schema aus Zeiten des Kalten Krieges einordnen lassen. Viele schicken ihre Texte per SMS als Bild- oder Grafikdateien in andere Länder, um sie von dort aus ins Netz stellen zu lassen. Für eben diese Szene steht nun Sánchez.Weil ihr von den Behörden untersagt wurde, eine Blogger-Akademie einzurichten, trifft sie sich mit Gleichgesinnten bei sich zu Hause. Nun wird der Radius ihrer Aktivitäten also auch im analogen Raum größer. Die Begrüßung am Flughafen im brasilianischen Recife fiel jedoch zunächst wenig freundlich aus: Eine Gruppe von Castro-Anhängern empfing sie mit Pfiffen und Protestrufen, wedelte ihr mit Dollarscheinen entgegen und reckte Plakate mit der Aufschrift „Persona non grata“ in die Höhe. Sánchez reagierte gelassen mit der lakonischen Art, die auch ihren Texten eigen ist: „Das ist Demokratie“, rief sie den Demonstrierenden lächelnd zu.
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