Der Freitag: Frau Muholi, in Ihrem Film „Difficult Love“ sprechen Sie von Ihrer Kindheit. Sie sagen: „,Museum‘ war nicht Teil meines Wortschatzes.“ Heute werden Ihre Fotografien in renommierten Galerien gezeigt.
Zanele Muholi: Ich bin im Südafrika der Apartheid aufgewachsen, in einer Township. Galerien oder Museen gab es dort nicht. Die waren in den weißen Gegenden – dort, wo Schwarze nur mit einem passbook, mit speziellen Ausweispapieren, Zugang hatten. Wir waren dort nicht willkommen. In der Schule stand Kunst nicht auf dem Lehrplan. Ich bin ein Kind der Bantu Education …
... des separaten Bildungssystems für Schwarze in der Apartheid.
Ja. Dieses System war darauf ausgerichtet, Schwarze so klein wie möglich zu halten. Meine Mutter arbeitete als Hausangestellte bei einer weißen Familie. Meine Welt war der staubige Fußballplatz in der Township, wo ich mit meinen Freunden spielte. Wie sollte jemand wie ich je in einem Museum landen? Außerdem war Fotografieren Männersache. Ein Verwandtermeines Vaters war Familienfotograf, er nahm die Hochzeit meiner Schwester auf. Ich kann mich nicht erinnern, je eine Frau mit einer Kamera gesehen zu haben.
Was hat Sie dann motiviert, Fotografin zu werden?
Als ich älter wurde und mich als lesbisch outete, merkte ich, dass ich keine positiven Bezugspunkte hatte. Es gab einfach keine Bilder von schwarzen Lesben. Also beschloss ich, diese Bilder selbst zu machen. Zuerst wurde ich Pressefotografin, das war für Schwarze in meiner Generation immerhin schon möglich. Aber als Künstlerin arbeiten? Kunst galt in meiner Familie als extravaganter Zeitvertreib, und ich habe das selbst auch so gesehen. Bis ich begriffen habe, dass Kunst eine geeignete Form ist, über Menschenrechtsverletzungen zu sprechen.
Sie bezeichnen sich selbst als visuelle Aktivistin. War der Aktivismus zuerst da, vor der Kunst?
Absolut. Als Lesbe musst du ständig deine Identität und deinen Raum verhandeln, du musst dafür kämpfen, als Person anerkannt zu werden. Der Moment, in dem ich beschlossen habe, das nicht weiter hinzunehmen – dieser Moment war der Ausgangspunkt.
In Ihren Arbeiten thematisieren Sie die Gewalt gegen Lesben und Menschen mit Transidentität in Südafrika wie die „curative rapes“: Frauen werden vergewaltigt, mit dem Ziel, ihre Homosexualität zu „korrigieren“. Zugleich hat Südafrika eine der modernsten Verfassungen beim Schutz vor Diskriminierung. Wie passt das zusammen?
In den 80ern wurde über die Rechte von Schwulen, Lesben, Transgender nicht gesprochen, der Fokus lag auf dem Widerstand gegen die Apartheid. In den 90ern herrschte allgemeine Begeisterung über die neue Verfassung, da war nicht viel Platz für Kritik. Lesben und Schwule hatten nun zwar Rechte, blieben aber unsichtbar. Die, die sich öffentlich zeigten, haben viele Verletzungen davongetragen. Die Homophobie in der Gesellschaft wurde sichtbarer. Es reicht eben nicht, nur die Gesetze zu ändern. Wir müssen auch unsere Bilder verändern.
Und das sehen Sie als Aufgabe?
Ja. Ich arbeite daran, ein Archiv über schwarze lesbische Frauen und Transgender zu schaffen. Und ich sage explizit: schwarz. Denn bei einigen afrikanischen Politikern gibt es ja die Tendenz, zu behaupten, Homosexualität und Transidentität seien „unafrikanisch“.
Diese Vorstellung ist wohl ein Erbe kolonialer Politik und Gesetzgebung. Welche Rolle spielen die evangelikalen Kirchen dabei?
Wenn ein Priester seiner Gemeinde erzählt, dass Schwule und Lesben keinen Respekt verdienen, bedeutet das konkret: Menschen wie ich haben in der Kirche keinen Platz. Das überträgt sich auf Schulen, Krankenhäuser … Die extreme homophobe Gewalt, die wir erleben, ist das Ergebnis solcher Reden. Viele Menschen in Südafrika können nicht lesen. Bilder erreichen jeden.
Ihr neuestes Werk heißt „Of Love & Loss“. Worum geht es da?
Ich zeige schwule und lesbische Hochzeiten und verbinde dies mit Aufnahmen von Begräbnissen aus der Community, von Menschen, die ermordet wurden. Eigentlich geht es, wie in all meinen Arbeiten, um Liebe. Der Mensch, der gestorben ist, wurde ja von anderen Menschen geliebt, von einem Partner oder einer Partnerin, von seiner Familie.
Es gibt auch einen – intimen – Teil, der Sie selbst und Ihre Partnerin zeigt.
Sie ist Französin, ich bin Südafrikanerin und Zulu. Es gibt jede Menge Unterschiede zwischen uns: die Sprache, die kulturelle Zugehörigkeit, die Sozialisation, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie die Gesellschaft uns sieht. Das bringt Irritationen. Über gleichgeschlechtliche „gemischte“ Beziehungen wird wenig gesprochen. Wenn ich mit einer weißen Partnerin in einem Restaurant bin, wird automatisch angenommen, dass sie bezahlt. Diese Art der Herabsetzung hat mich sehr beschäftigt und geärgert.
Ihre Arbeiten sind nicht nur oft sehr persönlich, sondern auch angriffslustig. Sie haben zum Beispiel eine Tapete mit Ihrem Menstruationsblut bedruckt.
Ich seziere alles, was ich bin und was ich tue. Ich bin schwarz, lesbisch, Südafrikanerin, lebe in einem weiblichen Körper. Das Blut repräsentiert mich und viele andere. Es stellt einen Bezug zur Gewalt dar, die um mich herum erlebt wurde. In meinen frühen Arbeiten habe ich mich vor allem mit meinem eigenen Körper beschäftigt.
„Faces & Phases“, eine fortlaufende Porträtserie lesbischer Frauen und Transgender, ist Ihr vielleicht bekanntestes Werk. Viele der Porträtierten haben Gewalt und Diskriminierung erfahren, auf den Bildern zeigen sie sich selbstbewusst und stolz.
Die meisten Leute, die ich fotografiere, kenne ich. Wenn nicht, lerne ich sie kennen. Ich möchte genau wissen, wer diese Person ist, wo sie arbeitet, wie sie lebt, was sie antreibt. Beim Fotografieren geht es letztlich um Beziehungen. Was ich fühle, wenn ich jemanden fotografiere, ist enorm wichtig. Ich versuche, diese Menschen mit zu den Ausstellungen zu nehmen. Sie sollen selbst zu Wort kommen. In Berlin hat mich eine Aktivistin aus der Fotoserie begleitet.
Ihre Bilder waren bei der documenta und bei der Biennale in Venedig zu sehen. Sie geben Fotografieworkshops für Mädchen in den Townships und haben die Organisation Inkanyiso für queeren Medienaktivismus gegründet. Wie kriegen Sie das eigentlich alles zusammen?
Inkanyiso habe ich gegründet, weil ich das, was ich erreichen will, allein nicht schaffe. Ich ermuntere alle, selbst den eigenen Blick zu dokumentieren. Auf die Medien können wir uns nicht verlassen. In Afrika ist die Berichterstattung über Gewalt an Lesben oft sensationalistisch. Das bringt unser Leben noch mehr in Gefahr.
Die Kunst taugt also als Waffe?
Kunst ist meines Erachtens immer politisch. Weil sie von Menschen handelt und diese Menschen mit anderen verbunden sind. Ich zeige Menschen, die in die Rolle gedrängt werden, „anders“ zu sein. Sie sind aber Freundinnen, Schwestern, Kolleginnen, heiraten, ziehen Kinder groß. Jeder hat in seinem Leben irgendeine Verbindung zu queeren Menschen, das ist überall auf der Welt so. Man kann nicht so tun, als wäre das Kunst, die nichts mit dem eigenen Leben zu tun hat.
Das Gespräch führte Nana Heidhues
Im Schwulen Museum Berlin sind Zanele Muholis Fotografien noch bis 30. Juni zu sehen
Zanele Muholi wurde 1972 in Durban, Südafrika, geboren und hat als Fotografin und Filmemacherin internationale Preise gewonnen. Sie lehrt als Honorarprofessorin an der Universität Bremen. In ihrer Heimat wird sie oft angefeindet; 2012 brachen Unbekannte bei ihr ein und stahlen 20 externe Festplatten, auf denen Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren gespeichert waren
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