Brücken in die Zukunft

Srebrenica Srebrenica gilt als Synonym für Völkermord. Das soll nicht so bleiben. Der junge TV-Journalist Ado Hasanovic versucht das Bild seiner Heimat zu verändern

Es sind die Tage vor dem großen Auftritt. Auf der Bühne des Jugendclubs im bosnischen Srebrenica steht Ado Hasanovic und singt über die Liebe: „Aus meinem Herzen wächst eine Brennnessel.” Der Saal des Jugendzentrums ist fast menschenleer. Nur ein paar Mädchen lehnen an Tischen, die kreuz und quer im Raum stehen. Als Ado Hasanovic auf der Bühne erneut den Refrain singt, schließt er die Augen. Er will alles geben, auch bei den Proben. Srebrenica sucht den Superstar, die Stadt wählt ihre schönste Stimme. Und Ado Hasanovic glaubt fest an sich.

Srebrenica, es war dieses grüne Tal im Osten des Landes, in das am 11. Juli 1995 bosnisch-serbische Einheiten einfielen und mehr als 8.000 muslimische Männer töteten. Der größte Massenmord in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Jedes Jahr zum Gedenktag bricht die Presse über Srebrenica herein. Journalisten aus aller Welt laufen dann durch die Straßen, sprechen mit Zeitzeugen, filmen zerschossene Häuserwände und geborstene Fensterscheiben. Auch die alten Frauen mit den Kopftüchern gibt es noch.

Gemischtes Team

Das aber ist alles nur ein Teil der Wahrheit. Diese Stadt hat auch eine andere Seite, und der 23-jährige Hasanovic kennt sie gut. Er lebt sie und kämpft dafür, dass auch andere sie wahrnehmen. Nicht nur im Ausland, auch in Srebrenica selbst. Das ist der Grund, warum Hasanovic Fernsehjournalist wurde. Er sagt: Damit sich hier das Leben verändert, müssen sich auch die Nachrichten ändern. Die Redaktion, in der Hasanovic seine Video-Beiträge schneidet, wurde 2005 gegründet. Das fünfköpfige Team ist gemischt: An den Computern und Filmkameras arbeiten orthodoxe Serben und Muslime. Streit gab es zwischen ihnen nie, sagt die Chefin Dragana Jovanovic. „In der Stadt herrscht noch großes Misstrauen zwischen den Volksgruppen. In der Redaktion ist das anders. Wir teilen eine Vision und versuchen, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen.“ Zudem gilt in Srebrenica wie anderswo: Je jünger die Bewohner, desto unbefangener sind sie. Das Durchschnittsalter der Redakteure liegt bei Mitte zwanzig.

Fünf bosnische Fernsehsender haben die Beiträge der Redaktion abonniert. Jeweils zum Monatsende produzieren Hasanovic und seine Crew zudem das Video Zurnal, eine etwa 45-minütige Auswahl der besten Beiträge. Die Vorstellung des Info-Films im Gemeindesaal zählt in Srebrenica zu den Höhepunkten. Kulturveranstaltungen gibt es nur wenige in der Stadt. Auch bei Youtube wird das Video Zurnal hochgeladen.

Kyrillisch und lateinisch

Dass nicht alle Medien in Srebrenica so spielend ihre Arbeit verrichten, zeigt das Beispiel des Serben Miro Pejic, der seit 27 Jahren Journalist und einer der beiden Chefredakteure der Lokalzeitung Zurnal (sein Pendant ist Muslim). Mit einer Auflage von rund 2.500 Exemplaren erreicht das Blatt etwa 15.000 Leser. Das Besondere dabei: Es wird sowohl von Serben als auch Muslimen gelesen. Normalerweise nimmt jede Volksgruppe hier nur „ihre“ Zeitung zur Hand.

Der Brückenschlag beginnt bei der Schrift: Seit der Gründung 2004 erscheint die Hälfte der Beiträge in kyrillischen Zeichen, der Schrift der Serben, die andere Hälfte in lateinischen Zeichen, der Schrift der Muslime. Zudem wird bei der Themenauswahl die Politik weitgehend ausgeklammert. In dieser Hinsicht ist man sich in Srebrenica einig: Es waren immer die Politiker, die der Stadt Unheil brachten. Pejic berichtet daher lieber über die zehn Rückkehrer-Familien, die jetzt in Baracken leben. Dazu kommt das Neueste aus dem Fußballclub. Wenn das Zurnal doch über den Krieg berichtet, wie zum Gedenken an das Massaker vor 14 Jahren, sind die Chefredakteure um Ausgeglichenheit bemüht: Der Völkermord an den Muslimen bekommt dann ebenso viel Platz eingeräumt wie die Tötung von mehreren Tausend Serben in der Region während der Kriegsjahre.

Srebrenica hat Zukunft

Doch der Gratiszeitung fehlt es an Geld. Sie wird ausschließlich durch Anzeigen und Spenden finanziert und davon gibt es derzeit nicht genügend. Aber bald will Pejic wieder in die Tasten hauen. Das UN-Entwicklungsprogramm hat für die nächsten drei Jahre seine Unterstützung zugesagt. Unterschrieben sei zwar noch nichts, aber er hoffe, dass es klappt, sagt Pejic.

Von Geldsorgen gequält sind Hasanovic und seine Kollegen nicht. Die Redaktion genießt das Vertrauen einiger europäischen Spender. Bald will das Team täglich fünf Stunden senden und noch mehr Zuschauer erreichen. Die Kernbotschaft aber soll bleiben: Srebrenica ist nicht nur Vergangenheit, Srebrenica hat Zukunft. Und Ado Hasanovic glaubt fest daran, dass auch die Leute anderswo ihr Bild über seine Stadt ändern werden. Genauso überzeugt ist er, dass er in ein paar Tagen die Bühne betreten und mit seinem Lied "Brennessel" Superstar von Srebrenica werden wird.

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