Das letzte Mal, dass in Europa eine öffentliche Rundfunkanstalt ihren Betrieb einstellen musste, war vor vier Jahren in Griechenland. Im Zuge der von der EU verordneten Austeritätspolitik entschied sich die Regierung 2013, die Radio- und Fernsehprogramme von Ellinikí Radiofonía Tileórasi (ERT) abzuschalten und so ein paar Millionen Euro einzusparen. Zwei Jahre später löste Ministerpräsident Tsipras eines seiner Wahlversprechen ein und brachte ERT wieder auf Sendung. Als Nächstes könnte es die schweizerische SRG treffen. Ein Happy End mit Wiedereröffnung wäre wenig wahrscheinlich. Anders als in Griechenland liegt das Schicksal des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz in den Händen der Bevölkerung. Sie entscheidet in diesem Jahr, am 4. März, in einer Abstimmung über ein komplettes Gebührenverbot. Stimmt eine Mehrheit zu, verlöre die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft auf einen Schlag drei Viertel ihres jährlichen Budgets von 1,6 Milliarden Franken (1,37 Milliarden Euro). Eine Weiterexistenz wie bisher wäre unmöglich, ein Großteil der rund 6.000 Arbeitsplätze akut gefährdet.
Zahlen will keiner
Dass die Schweiz darüber befinden wird, ob sie eine tragende Säule ihres Mediensystems kappt, geht auf eine Initiative rechter Jungpolitiker zurück. Ein Komitee aus zumeist libertär orientierten Vertretern von Junger SVP und Jungliberalen hat 100.000 Unterschriften zusammengetragen, die erforderlich sind, damit man über eine Verfassungsänderung abstimmen kann. Den Initiatoren stoßen die „Zwangsgebühren“ sauer auf. Alle sollen selbst entscheiden können, für welche Medien sie ihr Geld ausgeben. Dafür brauche es auch keine Billag mehr, wie die Gebühren-Inkassofirma in der Schweiz heißt. Darum nennt sich ihr Vorschlag auch „No Billag“-Initiative.
Wie früher die GEZ in Deutschland genießt auch die Billag keine großen Sympathien in der Bevölkerung. Genau damit scheinen die Jungrechten zu punkten. Die Programme findet man schon okay, aber zahlen will man nichts dafür. Dass es Information und Unterhaltung (vermeintlich) kostenlos gibt, hat man im Internet gelernt. Auch darum schlugen die Sympathiewerte für die „No Billag“-Initiative in ersten Umfragen erstaunlich hoch aus. Zwei Monate vor der Abstimmung wagt aber niemand, ein Ergebnis vorauszusagen. Selbst professionelle Auguren gehen nur so weit, einen knappen Ausgang zu prognostizieren. Das war bereits bei der letzten medienpolitischen Abstimmung so. Nur eine hauchdünne Mehrheit gab vor zwei Jahren den Ausschlag für die Einführung einer allgemeinen Medienabgabe anstelle der heutigen Empfangsgebühr. Heute zahlt ein Haushalt mit Radio- und TV-Gerät 451 Franken im Jahr (387 Euro), mit der beschlossenen Abgabe wird sich dieser Betrag auf 365 Franken (313 Euro) reduzieren. Ob das neue System aber 2019 in Kraft tritt, hängt davon ab, ob dann überhaupt noch ein öffentlicher Rundfunk existiert.
Lange Zeit pflegte man ein nüchternes Verhältnis zur SRG. Doch mit dem dräuenden Untergang kommen Emotionen in eine Debatte, die sich schon in den letzten Jahren intensiviert hatte. Neben der Fundamentalkritik von rechts außen, die seit je auf eine Abschaffung der SRG zielt, gibt es ein breites Spektrum an mittlerer bis größerer Unzufriedenheit, das inzwischen im Tagestakt seine Abbildung in den Medien findet. Bedingungslose Unterstützung erhält die SRG selten. Selbst entschiedene Gegner einer Gebührenabschaffung halten die existenzbedrohliche Lage, in der sich die SRG befindet, für teils selbstverschuldet. Zu lange auf dem hohen Ross gesessen, lautet der Vorwurf. Solche Kritik, wie sie insbesondere im Mainstream der bürgerlichen Tagespresse zu finden ist, zielt auf die Ära der letzten beiden Generaldirektoren der SRG. Unter Armin Walpen und bis unlängst unter Roger de Weck steuerte man einen Expansionskurs. Zuerst mit zahlreichen neuen Radio- und TV-Programmen, später mit dem forcierten Ausbau der Internet-Aktivitäten. Das alles erfolgte unter dem vermeintlich schützenden Rubrum des Service public, der öffentlichen Dienstleistungen. Man suggerierte so die Kompatibilität mit dem Verfassungsauftrag. Allerdings verformte sich der Begriff ins Tautologische: Was die SRG macht, ist Service public.
Am lautesten erschallt die Forderung nach einer verkleinerten SRG, die nur noch einen wie auch immer definierten Kernauftrag erfüllen sollte, vonseiten der privaten Verlagshäuser. Einzelne Verleger, etwa Peter Wanner von den AZ Medien, zeigen unverhohlen Sympathien für „No Billag“. Dabei geht es auch um Eigeninteressen. Eine geschwächte SRG würde privaten Anbietern mehr Raum lassen, so die Hoffnung. Nur: TV-Produktion kostet viel Geld. Und gerade Publikumsmagnete wie der alpine Skisport sind Verlustgeschäfte, die sich eben nur ein Veranstalter leisten kann, der nicht nur auf Quote aus ist. Was genau geschieht, wenn sich im März eine Mehrheit für ein totales Subventionsverbot aussprechen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Für die SRG selbst scheint der Fall klar zu sein. Es gibt keinen Plan B, betont der amtierende Generaldirektor Gilles Marchand Mal für Mal. Ohne öffentliche Mittel bleibt nur die Abwicklung. Derweil beschwichtigen Gebührengegner und bringen alternative Finanzierungsmöglichkeiten ins Spiel. Sie wollten ja gar nicht die SRG abschaffen, sondern lediglich die „Zwangsgebühren“. Wenn die Sendungen doch eine so große Akzeptanz genössen, ließen sie sich auch freiwillig finanzieren, etwa mittels Pay-TV oder via Werbung. Was sie dabei ausblenden, ist das mehrsprachige Angebot der SRG. Damit auch die französisch- und italienischsprachige Schweiz in den Genuss vergleichbarer Programmleistungen kommt wie die dominante Deutschschweiz, wird ein beträchtlicher Teil der Gebühren den Programmen der sprachlichen Minderheiten zugeteilt. Diese Solidarität ließe sich mit einer reinen Markt- oder Nutzerfinanzierung nicht aufrechterhalten. Womit auch klar wird, dass es tatsächlich keinen Plan B gibt, wie das bisherige Angebot in gleicher oder ähnlicher Form erhalten werden könnte, sondern bestenfalls ein Rumpfangebot für den vergleichsweise großen Markt des deutschsprachigen Landesteils. Entsprechend heißt bisher auch keine der großen Parteien die Forderung nach einer Gebührenabschaffung gut. In der parlamentarischen Beratung fiel die „No Billag“-Initiative sang- und klanglos durch. Keine Chance hatte auch der Vorschlag von einem Teil der SRG-kritischen Parlamentarier, eine Halbierung der Gebühren als moderate Variante ebenfalls zur Abstimmung zu bringen.
Ambivalent verhält sich einzig die Schweizerische Volkspartei, die seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zur SRG pflegt. Den öffentlichen Programmen wirft sie regelmäßig Linkslastigkeit vor, gleichzeitig weiß sie die prominente Plattform zu schätzen. In Diskussionssendungen, etwa der freitäglichen Arena des Schweizer Fernsehens, zählen SVP-Politiker zu den Stammgästen.
Jodeln und Schlager in Gefahr
Dennoch unterstützen Teile der Partei die „No Billag“-Initiative. Es sind insbesondere die nationalliberalen Kreise um Christoph Blocher, die aus ideologischen Gründen einen schwachen bis inexistenten öffentlichen Rundfunk wünschen. Gleichzeitig betonen sie, dass die „No Billag“-Initiative auf ihrer Agenda nicht oberste Priorität genösse, was auch mit der Spaltung der Partei in dieser Frage zu tun haben dürfte. So gibt es auch eine ganze Reihe SVP-Exponenten, die vor einer Schwächung der SRG warnen. Prominenteste Figur ist dabei Nationalrat Jürg Stahl. Als Präsident von Swiss Olympic, der Dachorganisation von 86 Sportverbänden, weiß er nur zu gut, was die SRG für die Sichtbarkeit des Sports leistet. Andere SVP-Vertreter sorgen sich um die Volkskultur. Gerade in bäuerlich geprägten Landstrichen genießt der Radiosender SRF Musikwelle große Popularität, der sich samt und sonders der Jodel-, Schlager- und Blasmusik widmet. Damit die Schweiz nicht zu einem medienpolitischen Sonderfall wird, gilt es bis zum 4. März vor allem jene von der Brisanz eines Gebührenverbots zu überzeugen, die mit einer Zustimmung zu „No Billag“ ihr Missfallen über dieses oder jenes TV-Programm artikulieren wollen. Denn darum geht es nicht. Am 4. März geht es um die Systemfrage: Öffentlicher Rundfunk – ja oder nein? Noch haben das nicht alle verstanden. Anders als damals in Griechenland wird in der Schweiz kein Ministerpräsident daherkommen und die Sender wieder einschalten.
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