Klimawandel Nur der Kuckuck ist noch unterwegs: Weil der Frühling hierzulande immer früher beginnt, bekommt der Langstreckenflieger inzwischen Probleme
Eigentlich ist er die meiste Zeit unterwegs, Afrika und so. Hier pflanzt der Kuckuck sich aber fort
Illustration: der Freitag; Material: Adobe Stock
Auch das letzte größere Hindernis hat er inzwischen wohl schon überquert: Nach 9.000 Flugkilometern von seinem Winterquartier standen da noch die Alpen im Weg, bevor der Kuckuck sein Ziel erreichen konnte. „Ende April erreichen die ersten Kuckucke Deutschland“, sagt Angelika Nelson, Biologin beim Landesbund für Vogelschutz in Bayern. Weiter oben, im Norden Deutschlands, wird der Kuckuck Anfang Mai erwartet. Das Dumme ist nur: Alle anderen Vögel sind schon da!
Das wird zunehmend zur Bedrohung. „Der Kuckuck gastiert bei uns nur ein paar Monate, die meiste Zeit ist er unterwegs“, sagt die Biologin Nelson. Allerdings sind das entscheidende Monate: Hier paart sich Cuculus canorus und zieht seine Jungen auf. Das heißt: Er lässt aufziehen.
#228;sst aufziehen. Statt sich nämlich selbst zu kümmern, legt er seine Eier in die Nester von Wirtsvögeln – Teichrohrsänger, Gartenrotschwanz oder Grasmücke.Nach nur zwölf Tagen Brutdauer schlüpfen die Kuckuckskinder, in der Regel eins pro Nest. Zwölf Tage – das ist für die „Geschwister“ viel zu schnell. Die Jungkuckucke stoßen kurz nach ihrem Schlüpfen in einem enormen Kraftakt die anderen Eier aus dem Nest, damit sich die Wahleltern voll und ganz auf sie konzentrieren. In der dritten Woche sind die Jungkuckucke bereits größer als die ausgetricksten Pflegeeltern. Ausgewachsen erreichen sie Taubengröße. Im August starten die exzellenten Langstreckenflieger ihren Weg zurück ins Winterquartier.Der innere Kompass haktAllerdings beginnt der Frühling hierzulande immer früher. Die Phänologie, die Lehre vom Einfluss der Witterung und des Klimas auf die jahreszeitliche Entwicklung von Pflanzen und Tieren, kann hier weiterhelfen. Phänologen interessieren sich beispielsweise für den Beginn der Blatt-Entfaltung, für den Beginn der Blüte und der Blattverfärbung oder das Ende des Laubfalls. Die älteste phänologische Beobachtungsreihe geht auf das Jahr 705 zurück: Gelehrte des japanischen Kaiserhofes notierten seitdem „Sakura“ – den Tag, an dem die japanische Kirschblüte beginnt. 2021 kam Sakura so früh wie noch nie.Leugner des Klimawandels wird man unter Phänologen nicht finden, zu eindeutig ist die Datenlage. Zum Beispiel der Beginn der Apfelblüte in Hessen: Im Mittel der Jahre 1961 bis 1990 begannen die Bäume am 126. Tag zu blühen, also in der ersten oder zweiten Maiwoche. Im Zeitraum von 2010 bis 2018 öffneten sich die Apfelblüten durchschnittlich bereits am 112. Tag – zwei Wochen früher. Das hängt auch damit zusammen, dass der Winter in Deutschland immer kürzer wird: Im Durchschnitt der Jahre 1961 bis 1990 dauerte er 120 Tage, im Zeitraum von 1991 bis 2018 waren es durchschnittlich nur noch 103 Tage.Genau das aber wird jetzt für den Kuckuck zum Problem. Der immer früher beginnende Frühling setzt ihn unter Druck. Arten wie Teichrohrsänger, Grasmücke oder Bachstelze, die im Winter weniger weit nach Süden fliegen, sind viel eher zurück, ihr Brutbeginn richtet sich nach Temperatur und Nahrungsangebot. Vielerorts sind sie längst Eltern, wenn der fernreisende Kuckuck eintrifft. Die Kuckucksweibchen haben deshalb zunehmend Probleme, jemandem ihre Eier unterzuschieben. „Bislang deutet nichts darauf hin, dass sich der innere Kompass des Kuckucks geändert hat – anders als der Frühjahrsanfang“, sagt Angelika Nelson.Seit vielen Jahren beobachtet der bayrische Landesbund für Vogelschutz das Eintreffdatum der Kuckucke. Auch in diesem Jahr hat der Verband dazu aufgerufen, ihm den ersten Kuckucksruf des Jahres zu melden. „Wir kartieren das, um herauszufinden, ob sich die Ankunftszeit des Vogels langfristig verändert“, sagt Markus Erlwein, Sprecher des Landesbundes. Im vergangenen Jahr wurden dem Verband 7.000 Kuckucksrufe gemeldet, große Terminverschiebungen konnten bislang aber nicht festgestellt werden.Das sollte auch nicht verwundern, schließlich segelt der Kuckuck mit exaktem Zeitplan durch die Welt: Im Herbst überfliegt er die Sahara, danach gönnt er sich 45 Tage Erholung in der östlichen Sahelzone. Von dort geht es 5.000 Kilometer Richtung Zentralafrika, um rechtzeitig nach der Regenzeit das üppige Nahrungsangebot der Tropenwälder zu erreichen. Aber auch dort bleibt dem Kuckuck nicht viel Zeit, Anfang Februar tritt er seine Rückreise nach Mitteleuropa an, mit Zwischenstopps in Westafrika und Italien.Hat er es Ende April endlich über die Alpen geschafft, heißt es immer häufiger: Alle anderen Vögel sind schon da – und immer häufiger eben auch schon deren Nachwuchs. Das ist ein Problem, weil der Kuckuck ja nicht beliebig auswählen kann, sein Schwindel darf nicht auffallen: Er muss die Farbe seines Eis exakt jener der Eier der Wirtseltern anpassen. Von Hellblau über Dunkelbraun bis hin zu gesprenkelten Farbtönen – Ornithologen haben in den Nestern von mehr als 125 verschiedenen Vogelarten Kuckuckseier gefunden, mit 125 verschiedenen Farbvarianten.Er steht auf der Roten ListeWie der Kuckuck erkennt, welche Farbe er für welches Nest auswählen muss, das ist noch nicht gut erforscht. „Es gibt starke genetische Anzeichen dafür, dass er sein Ei jener Art ins Nest legt, bei der er selbst aufwuchs“, sagt Biologin Angelika Nelson, die über Vogelrufe promoviert hat. Das bedeutet andererseits, dass es keinen Plan B zu geben scheint: Ist der Nachwuchs im Hause Rotkehlchen, Zaunkönig oder Sperbergrasmücke bereits geschlüpft, geht der Kuckuck leer aus, der einst selbst dort groß wurde. In Deutschland steht er mittlerweile mit einer Vorwarnung auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Weniger als 69.000 Paare soll es hierzulande noch geben, Tendenz abnehmend.Dabei ist der Kuckuck nur ein Beispiel dafür, wie der Klimawandel die Natur aus dem Takt bringt. Igel zum Beispiel schlafen normalerweise von November bis April. In dieser Zeit fahren sie ihren Stoffwechsel so weit herunter, dass sie von den angefutterten Reserven leben können. Allerdings brauchen sie für diesen Ruhezustand beständig kühle Temperaturen. Der Februar 2020 war in Deutschland der zweitwärmste Februar seit Messbeginn, vielerorts wurden zweistellige Temperaturen registriert. Frühlingshafte Verhältnisse holen die Igel aus ihrer Winterstarre, doch so früh im Jahr finden sie noch keine Nahrung. Oder die Brockenanemone: Nur im Harz gibt es sie, die auch sommers kühle Temperaturen braucht. Weil es aber immer wärmer wird, ist sie bis ganz nach oben gewandert – kann nun aber nicht weiter. Der Brocken im Harz ist ja nur 1.141 Meter hoch.Brauchen wir Igel, Brockenanemone oder Kuckuck denn? Oder können die vielleicht weg? Horst Korn arbeitet beim Bundesamt für Naturschutz, er antwortet mit einer Gegenfrage: „Brauchen wir denn den Kölner Dom?“ Der Biologe meint das völlig ernst: „Wir Menschen haben Verantwortung – für das Überleben des Kuckucks genauso wie für den Erhalt dieses berühmten Gotteshauses.“ Die Erderwärmung sei kein Naturphänomen, „sie ist menschgemacht“. Es stelle sich aber auch die Überlebensfrage für die Menschheit: „Funktionierende Ökosysteme sind unverzichtbar für uns, als Lieferant für Trinkwasser, Rohstoffe und Nahrung, als Speicher für Kohlendioxid, als Produzent nährstoffreicher Böden.“ Und zu einem funktionierenden Ökosystem gehöre nun einmal der Kuckuck genauso wie die Brockenanemone: „Das Zusammenspiel der Arten in der Natur ist so komplex, dass wir die Zusammenhänge noch gar nicht alle verstanden haben.“ Horst Korn schlägt den Bogen zur Corona-Krise: „Für die Gesundheit der Menschen sind intakte Lebensräume genauso wichtig wie für Tiere und Pflanzen“, sagt er. So hat der rasante Verlust von Lebensraum in der jüngsten Vergangenheit immer wieder zum Ausbruch von Krankheiten und Epidemien beigetragen. „Wenn der Druck auf die Natur immer größer wird, dann schlägt das auf jene zurück, die den Druck verantworten – auf uns, die Menschen.“Biologin Angelika Nelson will aber auf noch etwas dringend hinweisen. Nicht nur die Erderwärmung bedroht den Bestand des Kuckucks: „Auch die intensive Landwirtschaft mit ihrer Chemie ist eine Gefahr.“ Genauso wie die exzessive Landnutzung, der Verkehr. „In der Regel sind es übrigens Männchen, die rufen.“ Kuckuck, Kuckuck – nicht aus dem Wald ruft es, sondern den Weibchen in Flussniederungen oder Heiden hinterher. Der Landesbund für Vogelschutz bittet: Melden Sie ihn, wenn Sie ihn hören!Placeholder authorbio-1