Der britische Philosoph William Stanley Jevons beschrieb 1865 das Phänomen zum ersten Mal: Durch technologischen Fortschritt in der Kohlenutzung wurde immer weniger Kohle notwendig, um dieselbe Energiemenge zu gewinnen. Doch das führte nicht dazu, dass weniger Kohle in der englischen Industrie verfeuert wurde. Sondern mehr.
Zunächst hieß das Jevons-Paradoxon: Technischer Fortschritt, der es erlaubt, effizienter mit einem Rohstoff umzugehen, führt nicht dazu, dass der Verbrauch sinkt, im Gegenteil. Heute sagen wir „Rebound-Effekt“ dazu: Zwar sind die Motoren unserer Autos heute effizienter als in den 1990er Jahren. Die Autos sind aber doppelt so schwer, weshalb sie mehr Treibstoff brauchen. Zwar sind unsere Häuser heute besser gedämmt, weil wir
weil wir aber doppelt so viele Quadratmeter bewohnen wie unsere Eltern vor 30 Jahren, verbrauchen wir ähnlich viel Heizenergie. Natürlich sind die Kühlschränke heute effizienter als vor einer Generation! Allerdings sind sie doppelt so groß, weshalb sie in Summe mehr Strom verbrauchen.Für den Klimaschutz sind diese Effekte ernüchternd: Trotz milliardenschwerer Investitionen in energetische Sanierung und die Effizienz der Heizkessel ist der Heizenergieverbrauch in Deutschland seit 2010 kaum gesunken. Trotz Elektroautos und CO₂-Grenzwerten stößt der Verkehr heute mehr Treibhausgase aus als 1990. Und mit knapp 518 Milliarden Kilowattstunden wurden 2021 in Deutschland zehn Prozent mehr Strom verbraucht als vor 30 Jahren.Damals, am 7. November 1990, beschloss das Kabinett von Helmut Kohl (CDU) das erste deutsche Klimaziel: minus 25 Prozent Treibhausgas bis 2005. Dafür sollten die Bundesministerien Vorschläge erarbeiten, für „die rationelle und sparsame Energieverwendung“ oder die „verstärkte Nutzung umweltfreundlicher Energiesysteme“, wie es in der Pressemeldung zum Kabinettsbeschluss hieß. Der größte Teil der Reduktion sollte über Effizienzsteigerungen erzielt werden. Das ging krachend schief, 2005 lagen die deutschen Emissionen lediglich 20,5 Prozent unter dem Niveau von 1990. Ein Grund: schlechte Politik. Der andere: der nicht bedachte Rebound-Effekt.Wer diesen weiterdenkt, trifft auf das Kernproblem des Klimaschutzes: Unsere Eltern brachten ihre kaputten Radios noch zur Werkstatt, heute kaufen wir alle zwei Jahre ein neues Smartphone (weil das mehr kann als das alte). Früher ließ man abgelaufene Schuhe neu besohlen. Heute ist das teurer als neue Schuhe.Dazu kommt der „Sonntagsbraten“ sieben Tage die Woche, Biokartoffeln aus Marokko und beim Durchschnittsdeutschen zweimal Urlaub im Jahr: Wenig verwunderlich verpasste Deutschland auch sein zweites Klimaziel. Geplant waren 40 Prozent weniger CO₂ ab 2020. Tatsächlich lagen die Emissionen 2021 trotz Corona nur 38,7 Prozent unter dem Niveau von 1990.Grönland: Schnelle SchmelzeSicherlich: Der technische Fortschritt bereichert unser Leben und erbringt Wohlstand. Aber diese Entwicklung verläuft rücksichtslos und unverantwortlich: Weder die planetaren Grenzen noch die Solidarität mit Menschen im Globalen Süden spielten eine Rolle, geschweige denn die Warnungen der Wissenschaft.Eine neue Studie von Anfang November besagt, dass der Grönländische Eisschild sechsmal schneller abtaut als bislang berechnet. Damit häufen sich die Warnungen: Dieser Eispanzer gilt als Kippelement; einmal angetaut, lässt sich die Schmelze nie wieder stoppen. Die in der Spitze 3.300 Meter hohe Oberfläche taut nach unten in immer wärmere Schichten ab. Schmilzt das Grönlandeis komplett, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter! Wir könnten das noch stoppen, wenn wir sofort aus der fossilen Verschwendung aussteigen. Aber wir haben uns derart eingerichtet in diesem Leben, dass auch ein Krieg vor der Haustür bei vielen nicht zur Bereitschaft führt, auf 22 Grad Zimmertemperatur zu verzichten.Immer mehr, besser, größer – dass William Stanley Jevons den Rebound-Effekt am Anfang des Kapitalismus entdeckte, kommt nicht von ungefähr: Er ist eine seiner Grundlagen, der kleine Bruder des Wachstums. Ohne Rebound-Effekt und Wachstum funktioniert dieses Wirtschaftssystem nicht. Deshalb wird es ohne Systemwechsel auch immer so weitergehen.Der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen warnte gerade: Deutschland wird auch sein neues Klimaziel für 2030 verfehlen. Und zwar deutlich.