Wer derzeit in Frankfurt über die Oderpromenade zu schlendern versucht, wird sich damit schwertun, den Verwesungsgeruch zu ignorieren. Tausende tote Fische treiben im fünftlängsten Fluss Deutschlands. Noch ist ungeklärt, was genau die Ursache dafür ist, aber eine Möglichkeit wäre, dass das Fischsterben mit etwas zu tun hat, das man hier in Frankfurt leicht übersieht. Am anderen Ufer, auf der polnischen Seite, ragen frisch betonierte Steinwälle ins Wasser – Buhnen, die die Fließgeschwindigkeit der Oder erhöhen.
Durch die Barrieren wird die Strömung in die Mitte gezwungen, wo sie so stärker wird, der Fluss gräbt sich tiefer in sein Bett ein. Ziel der Flussbauten ist, dass die Oder in ihrem unteren Bereich in mindesten
mindestens elf Monaten eines Jahres die Wassertiefe von 1,80 Meter aufweist, wie es im „Stromregulierungskonzept“ heißt. Das hatte 2014 die Karlsruher Bundesanstalt für Wasserbau im Auftrag der polnischen und deutschen Schifffahrtsverwaltungen erarbeitet und Buhnen mit einer „Neigung von 1:10, beidseitig“ verordnet. Seit März rollen die Bagger.Naturschützer sind entsetzt. Denn die Oder ist neben der Elbe und der Weichsel einer der letzten großen Flüsse in Mitteleuropa, die noch nicht zur genormten Schifffahrtsrinne degradiert worden sind. „Das Projekt kanalisiert die Oder für die Binnenschifffahrt, zerstört die Natur und verschlechtert so die Hochwassersicherheit“, konstatiert Radosław Gawlik von Polens „Ökologischem Verband EKO-UNIA“. Rocco Buchta, Fluss-Experte beim Naturschutzbund NABU, sagt: „Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, Flüsse in guten ökologischen Zustand zu bringen. Die Ausbaupläne erreichen das Gegenteil.“Der Ausbau der Oder ist ein MegaprojektDie Bundesanstalt erklärt in ihrem „Stromregulierungskonzept“ dagegen trocken: „Eine Verbesserung des ökologischen Potentials der Grenz-Oder“, sei „kein definiertes Ziel“ des Auftraggebers gewesen. Vielmehr geht es darum, dass Polen direkt vor Usedom einen riesigen Containerhafen bauen will. „Es soll die gewaltige Summe von 3,5 Milliarden Złoty investiert werden“, sagt Przemysław Słowik, Co-Vorsitzender der Partia Zieloni, der polnischen Grünen. Nach aktuellem Umrechnungskurs wären das 750 Millionen Euro.Fachmedien wie der Tägliche Hafenbericht beschreiben das Projekt so: Direkt an der Mündung der Swine, dem Oder-Abfluss zwischen Usedom und der Insel Wolin, soll bei Świnoujście (Swinemünde) ein 1,3 Kilometer langes Container-Terminal in die Ostsee gebaut werden. Ausgelegt ist die Anlage für jährlich zwei Millionen Standardcontainer, die über die Oder ins Landesinnere verschifft werden sollen. Und darüber hinaus bis nach Prag, Wien, Budapest oder Belgrad: Polen, Tschechien und Ungarn verfolgen ein Kanalprojekt, das die Ostsee mit dem Schwarzen Meer verbindet, den sogenannten Oder-Donau-Kanal.Den Plänen zufolge soll die Oder in ihrem kanalisierten Oberlauf mit der Elbe verbunden und von dort per neuem Kanal bis nach Wien an die Donau angeschlossen werden: über 320 Kilometer mit einem Höhenunterschied von 124 Metern. Allein den tschechischen Steuerzahler wird die Umsetzung mindestens 283 Milliarden Kronen (Elf Milliarden Euro) kosten. Ende 2020 stellte die Regierung des damaligen Premierministers Andrej Babiš trotzdem die ersten 15 Milliarden Kronen (550 Millionen Euro) zur Verfügung, mit denen die Oder vom tschechischen Ostrava bis zur polnischen Grenze schiffbar gemacht werden soll.Was in Frankfurt neben dem Verwesungsgeruch und den Betonwällen noch auffällt, ist das extreme Niedrigwasser. In dieser Woche fiel der Frankfurter Pegel unter die Ein-Meter-Marke, Schifffahrt ist hier schon lange nicht mehr möglich. Nicht einmal, wenn das „Stromregulierungskonzept“ tatsächlich umgesetzt werden würde. 1,80 Meter Fahrwassertiefe werden hier zur jährlichen Ausnahme, wenn der Fluss nicht aufgestaut wird.Jetzt kommt auch noch LNGMit Hochdruck gebaggert wird derzeit bei Swinemünde: Neben dem geplanten Container-Terminal gibt es nämlich bereits einen Hafen für Flüssigerdgas, also LNG. Seit 2015 landen am „Lech-Kaczyński-Terminal“ Transportschiffe an, jetzt wird die Kapazität dafür, das LNG wieder zu verdampfen und in Rohrleitungen einzuspeisen, ausgebaut. „In Swinemünde wurde bereits ein Schiff mit Flüssig-Erdgas nur für Deutschland entladen“, erklärt Tobias Puklavec vom Anlagenbauer TGE. Das Bonner Unternehmen treibt den Ausbau mit voran.Damit steigt der Druck auf die Oder weiter: Wirtschaftlich günstiger lässt sich das LNG-Geschäft vor Usedom betreiben, wenn der Hafen um das Container-Terminal erweitert wird. Das wiederum lebt von einer kostengünstigen Verschiffung über die Oder. Zwar hat das Verwaltungsgericht in Warschau im Juni 2022 dem Projekt die Baugenehmigung mit „sofortigem Vollzug“ entzogen. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Weshalb trotz Verwaltungsgerichtsurteil am Fluss kräftig weitergebaggert wird: Derzeit werden nördlich von Słubice, das Frankfurt an der Oder gegenüberliegt, Buhnen in den Fluss getrieben. Der Kampf um die Oder ist noch nicht entschieden.Doch was hat das mit dem Fischsterben zu tun? Eine mögliche Ursache dafür wäre eine hohe Quecksilber-Konzentration im Wasser. Wolf von Tümpling ging im Deutschlandfunk zunächst von einer „Altlast“ aus: „Wenn ein Fließgewässer ausgebaggert wird, dann sind Remobilisierungen möglich“, so der Experte vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Gebaggert wird überall dort, wo neue Buhnen in den Fluss getrieben werden. Aber vielleicht sind es ja gar nicht die Arbeiten zum „Stromregulierungskonzept“, die der Oder derart zusetzten. Vielleicht ist es insgesamt unser Umgang mit den Flüssen.Placeholder infobox-1